Warum ein Ungar nicht mit Bier anstößt
Am 15. März feiern die Ungarn einen ihrer drei Nationalfeiertage. Es wird der Revolution im Jahre 1848 gedacht, die als friedliche Demonstration anfing und als Unabhängigkeitskrieg endete.
Ungarn am 15. März 1848. Zu dieser Zeit regierten die Habsburger in der Österreich-Ungarischen Monarchie. In Budapest zogen friedliche Demonstrationen durch die Straßen. Wie schon zuvor in Paris und Wien forderten auch die ungarischen Demonstranten unter anderem Presse- und Versammlungsfreiheit, die Aufhebung der Zensur und ein Ministerium in Budapest, da bisher alle Macht in Österreich-Ungarn von Wien ausging. Insgesamt 12 Punkte lang war die Liste der Forderungen, die der kaiserliche Gouverneur, gebeugt durch die Macht der Proteste, auch annahm. Im Juli fand die erste Parlamentssitzung in Budapest statt. Lajos Kossuth wurde zum Finanzminister ernannt, Batthyány Lajos zum Premierminister. Sie errichteten durch die Märzgesetze ein demokratisches Ungarn. Doch nach dem tödlichen Anschlag auf den österreichischen Feldmarschall Philipp Franz von Lamberg befahl Österreich die Auflösung des ungarischen Parlaments. Und so begann im Oktober der Unabhängigkeitskrieg zwischen Ungarn und Österreich. Die Wiener Armee besetzte Budapest, in Debrecen (nun kurzzeitig Hauptstadt Ungarns) wurden auf Kossuths Befehl hin die Habsburger entthront, die ungarische Armee eroberte sich Budapest wieder zurück. Im August 1849 wurde letzendlich der Freiheitskampf von Österreich mithilfe des russischen Zaren niedergeschlagen. Die Generäle und einige Offiziere wurden hingerichtet und tausende Soldaten gefangen genommen. Ungarn hatte verloren.
In Wien wurde der Sieg und die Hinrichtung von unter anderem Kossuth Lajos groß gefeiert. Man saß in den Bars zusammen, lachte, trank Bier und prostete sich mit den Bierkrügen zu. Die Ungarn hat das so aufgebracht, dass sie sich schworen, die nächsten 150 Jahre nie wieder mit Bier anzustoßen. Auch wenn dieser Schwur 1999 auslief, halten sich doch noch immer viele, vor allem Ältere, steng an diesen stummen Protest.
Trotzdem wird dieser Tag groß gefeiert in Ungarn. Überall sieht man die rot-weiß-grüne Flaggen, ziemlich jeder trägt eine Kokárda in den Nationalfarben, eine Art Abzeichen, die man sich an die Jacke über dem Herz ansteckt.
Überall im ganzen Land werden Zeremonien abgehalten. Es gibt offizielle Ansprachen von Seiten der Politiker – auch mit Blick auf die Wahlen in drei Wochen -, Folkloregruppen führen Tänze auf, es wird Musik gespielt und natürlich auch gegessen. Sogar während der Revolution gab es um die Mittagszeit eine Pause, schließlich kann der Ungar auf sein Mittagessen ja nicht verzichten. Spaßeshalber wird das Mittagsessen auch als der 13. Punkt auf der Liste aufgeführt.
Wir beginnen den Tag mit einem Kaffee. Damals, so wird mir erzählt, wurde die Revolution auch bei einem Kaffee begonnen. Es wurde sich zusammen gesetzt und die 12 Punkte ausgearbeitet. Erst danach ging man auf die Straße. Zum Kaffee wird selbsgemachte Bukta herumgereicht. Das ist ein Gebäck, das mit Marmelade gefüllt und im Ofen gebackenn wird. Denn laut der Legende gab es nur eins, was den Demonstranten im März 1849 Sorgen bereitete – zu sterben oder gefangen genommen zu werden, ohne davor nochmal das typisch ungarische und wirklich köstliche Gebäck gegessen zu haben. Danach geht es in die Puszte. Im Vogelkrankenhaus in Hortobágy wurden zur Feier des Tages die wieder gesunden Vögel freigelassen. Doch bevor sie im stürmischen Wetter ihre Flügel Richtung Freiheit schwingen konnten, wurde ihnen ein rot-weiß-grünes Band um den Hals gebunden. Und der Arzt und Chef des Krankenhauses erzählte stolz, dass die Störche jedes Jahr um den 15. März aus dem Süden nach Ungarn kommen und um den 23. Oktober (ein weiterer Nationalfeiertag) wieder in den Süden fliegen. Viele Familien mit Kinder verbringen den Feiertag hier im Vogelkrankenhaus und einige Kinder dürfen auch einen Vogel in die Freiheit entlassen – ich übrigens auch.
Der Freiheitskampf der Ungarn wurde vor vielen Jahren niedergeschlagen, die Vögel bekommen an diesem Tag ihre Freiheit zurück.