Warum eigentlich Europa?
"Ich mache im nächsten Jahr einen Europäischen Freiwilligendienst." "Oh, Frankreich oder England?" - diese Reaktion kenne ich inzwischen. Ich gehe jedoch weder nach Frankreich noch nach England und auch wenn ich mich selbst bei weitem nicht für das exotischste europäische Land entschieden habe, möchte ich doch allen Mut machen, der europäischen Vielfalt mit Neugier zu begegnen!
Für mich kam der Traum vom Ausland zuerst. Ich wollte einmal etwas anderes sehen, neue Menschen kennen lernen, eine andere Sprache sprechen. Ich wollte neue Meinungen vorfinden, andere Probleme sehen. Von Au-Pair über Work and Travel bis zum Freiwilligendienst, zuerst einmal fühlte ich mich beinahe erschlagen von der Vielzahl der Möglichkeiten. Beworben habe ich mich letztendlich jedoch nur für den Europäischen Freiwilligendienst. Einige Monate später hatte ich Zusagen von drei Projekten in Luxemburg, Schweden und Spanien und meine Wahl fiel auf Spaniens lebendige Hauptstadt Madrid.
"Aber wieso denn Spanien? Das ist doch gar nicht so weit weg!", entgegnete mir mal jemand, dem ich von meinem Freiwilligendienst erzählte. Wenn von Freiwilligenarbeit gesprochen wird, denken viele an Lateinamerika und Afrika, Kontinente, auf denen Entwickungshilfe geleistet wird, denn dort wird die Hilfe doch am meisten benötigt, oder? Außerdem kann doch jeder einmal nach Spanien in den Urlaub fahren - da lohnt es sich ja kaum, ein ganzes Jahr dort zu verbringen. Länder wie Bolivien, Togo & Co. sind da doch viel spannender!
Manchmal kann ich über solche Reaktionen nur den Kopf schütteln. Ja, ich bin auch der Meinung, dass Entwicklungshilfe wichtig ist. Gerade über Länder auf dem afrikanischen Kontinent gibt es meiner Meinung nach noch viel zu viele Vorurteile, die es gilt abzubauen. Ja, auch ich finde diese Länder wirklich spannend, kann mich sehr für afrikanische Kultur begeistern, und finde total spannend, was eine Freundin von mir erlebt hat, als sie ein Jahr in Bolivien verbracht hat. Und doch fiel meine Entscheidung für einen Europäischen Freiwilligendienst ganz bewusst.
Oft bekomme ich bei derartigen Reaktionen das Gefühl, dass für einige Menschen Europa nur aus Deutschland, England und Frankreich besteht. Unter anderem auf dem Vorbereitungsseminar meiner Entsendeorganisation habe ich jedoch Jugendliche getroffen, die das kommende Jahr in Ungarn oder in Polen verbringen, in Luxemburg oder in Schweden, in Irland oder eben wie ich in Spanien. 28 Länder sind im Moment in der EU, noch mehr kommen als Einsatzländer für einen EVS in Frage. Ich finde, dass viel zu wenige zu schätzen wissen, welch eine Vielfalt an Kulturen uns Europäern eigentlich direkt vor der Haustür liegt. Noch auf demselben Kontinent können wir die unterschiedlichsten Kulturen, die unterschiedlichsten Sprachen und auch die unterschiedlichsten Projekte finden.
Ich mag es international, mag das Durcheinander von verschiedenen Sprachen mit gebrochenem Englisch dazwischen, die verschiedenen Meinungen und Erfahrungen. Wer es auch gerne international mag, der ist vielleicht enttäuscht, wenn er beim Seminar im Einsatzland ausschließlich junge Menschen aus dem eigenen Heimatland trifft - das muss man jedoch beim EVS garantiert nicht fürchten. Bereits auf meinem Vorbereitungsseminar haben uns drei junge Menschen aus Russland, der Ukraine und der Türkei besucht, die gerade einen EVS in Deutschland machen, und einmal bewiesen, wie spannend es ist, so einen kunterbunten Mix vorzufinden. Für mich ist es damit auch der Austausch- und der Netzwerkgedanke, der mir am EVS so gut gefällt: Wir gehen nicht nur in die verschiedensten europäischen Länder, sondern Jugendliche aus ganz Europa kommen dafür auch nach Deutschland. Mit Youthreporter, den EuroPeers und mehr gibt es zahlreiche Möglichkeiten, um sich zusätzlich zu engagieren und Kontakte zu den unterschiedlichsten Menschen zu knüpfen. Wir gehen damit nicht nur, um selbst zu lernen, wir gehen auch gemeinsam, um uns auszutauschen.
Als ich in der Schule einmal erzählt habe, dass ich im kommenden Jahr einen Europäischen Freiwilligendienst mache, war die Antwort einer Lehrerin, "Oh, Frankreich oder England?". Ich sehe viele Jugendliche, die mit großem Interesse an Länder wie Peru oder Togo herangehen, aber große Scheu zeigen, wenn es um Portugal, Luxemburg oder Dänemark geht. Mit Sicherheit ist auch ein Freiwilligendienst in Frankreich oder England spannend, ebenso wie ein Freiwilligendienst auf dem afrikanischen oder lateinamerikanischem Kontinent.
Und doch möchte ich gerne allen Mut machen, die eine Sprache lernen möchten, die nicht ganz so viele Menschen auf der Welt sprechen, und die eine Kultur kennen lernen möchten, über die viele Europäer nur wenig wissen. Wir haben das Glück, eine so riesige Vielfalt auf unserem eigenen Kontinent zu finden, dass wir lernen sollten, ihm auch mit mehr Neugier zu begegnen. Schade finde ich es, wenn Länder wie Lettland, Rumänien oder Kroatien derartig vergessen werden, weil wir vor lauter Möglichkeiten, andere Kontinente kennenzulernen, ganz vergessen, was unser eigener Kontinent zu bieten hat. Der EVS bietet aber die Möglichkeit, nicht als Einzelperson in die Welt zu gehen, sondern Teil eines riesigen Austauschs zu werden - und das ist es, was mich daran am meisten begeistert.
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