Warum die ostslawischen Länder dringend einer höhere Vornamensvielfalt benötigen
Oder: Wie mich Handy-Spam 6€ kostete.
War MTS nicht auch in Moskau schon der Mobilanbieter, der mit häufig aufblinkenden SPAM-Nachrichten jeden Handyakku in kürzester Zeit in die Knie zwang?
Zugegeben, diverse Funklöcher (Netzsuche ist stromintensiv!) sowie eine nächtliche "Snake"-Partie trugen auch ihren Teil dazu bei, dass ich ohne funktionierendes Mobiltelefon in Donezk ankam.
Aber wozu Sorgen machen? Katya, meine Kontaktperson, versicherte mir per E-Mail, dass ein gewisser Dima mich direkt vor der Tür des dritten Wagons abholen würde. Sie selbst sei leider verhindert. Außerdem erwähnte sie noch, dass er lediglich Russisch spricht, doch machte ich mir deswegen keine Sorgen.
Ich wurde auch nicht nervös, als niemand vorm Zug auf mich wartete. So sind sie, die Russen und Ukrainer, dachte ich mir, zu oft verspätet oder zu schlecht organisiert.
Ich lief also etwas herum. Auffallend genug sollte ich aussehen, nahm ich an, einzig meine aus Bequemlichkeitsgründen bei langen Zugfahrten obligatorische Jogginghose erinnerte an das lokale Erscheinungsbild des verschlafenen Sonntagvormittages.
Donezk wirkte auf mich wie die postsowjetische Musterstadt.
So stürzte sich beim Betreten der Bahnhofshalle auch gleich die übliche Horde nichtlizensierter Taxifahrer mittleren Alters mit Migrationshintergrund auf mich, man kennt das ja.
„TAKSI, TAKSI, TAKSI? NYE DOROGO!“ - „Nyet, spassibo!“
Ich hatte mich auf eine Begrüßung mit großem Namensschild gefreut, so wie man das aus dem Fernsehen kennt. Doch auch in der Halle erwartete mich allem Anschein nach niemand.
Also doch besser anrufen: Die höchsten Chancen auf eine Steckdose zum Aufladen des Telefons rechnete ich mir im WC-Bereich aus, doch so weit kam ich gar nicht; beim Öffnen der Tür wurde ich von hinten auf Russisch angesprochen: „Hallo, bist du gerade angekommen?“, fragte mich ein junger Mann erwartungsvoll.
„Ja, mit dem Zug aus Kiew... Und wer bist du?“
„Ich bin Dima. Und du bist aus Deutschland?“
Erleichtert ob des Treffens stellte ich mich vor.
„Ich wollte hier gerade die Toilette nutzen. Aber wenn meine Unterkunft nicht weit ist, können wir auch gleich losfahren. Hast du ein Auto oder fahren wir Bus?“
„Wir fahren Taxi!“
Mir war alles recht. Erschöpft von 14 Stunden Zugfahrt mit dem Schweiß der letzten 48 Stunden ohne Dusche an mir haftend, was Jahreshöchstleistung sein dürfte, sehnte ich mich einfach nur nach einem Badezimmer.
„Wo komme ich hier denn eigentlich unter?“, wollte ich wissen.
„Erst einmal im Hotel.“
Das wunderte mich schon. Aber da ich für meine Unterkunft nicht selbst aufkommen muss, war auch das mir egal. Außerdem kann „Gostiniza“ hier so ziemlich alles bedeuten.
Ich machte mir also keine weiteren Gedanken darüber. In jenem Moment passierten wir auch gerade die beeindruckende „Donbass-Arena“ und wechselten zum Thema Fußball.
Am selben Abend sollte das Spitzenspiel zwischen Meister Shachtyor und Vizemeister Dynamo Kiew stattfinden, was ich schon vor meiner Abreise zu besuchen ins Auge fasste. Mit Freude vernahm ich also, als Dima erwähnte, dass er heute zum Spiel gehe und mir auch noch eine günstige Karte besorgen könne.
Aber dann war unsere Taxifahrt auch schon zu Ende. Ich soll bezahlen? Na gut, habe ja schließlich ein Reisekostenbudget. 5 Euro für eine Fahrt durch die ganze Stadt, das ist vielleicht Ausländertarif, aber noch vertretbar.
Doch halt! In diesem schicken Hotel soll ich unterkommen? Nun wurde ich wirklich stutzig. Eine Reservierung lag auch nicht vor und Dima wollte mir den günstigsten Raum für 60 € pro Nacht vermitteln. Selbst für ukrainische Verhältnisse war mir das nun alles zu chaotisch, es reichte mir. Raus aus dem Laden. Er bot mir an, zu günstigeren Hotels zu fahren. Ich bestand darauf, Katya anrufen zu wollen, sein Handy könne ich aber aufgrund eines genuschelten, russischen Grundes auch nicht nutzen.
Also wieder rein in die Hotellobby, Steckdose gesichtet, Handy angeschaltet, Tee oder Kaffee abgelehnt, Katya angerufen.
„JENS! WO BIST DU?! MIRUNVERSTÄNDLICHESVIELZUSCHNELLESRUSSISCH!“
„Nun mal mit der Ruhe. Ich bin mit Dima zu einem Hotel gefahren. Aber warum weiß der über nichts Bescheid?“
„Was? Hast du meine SMS denn nicht gelesen?? Dima konnte dich heute nicht abholen. Sein Auto ist kaputt...“
Schluck. Ist das hier ein schlechter Film?
Wohl kaum, ich bin auf einen falschen Dima reingefallen. Und dass er mich als Deutschen identifizierte, sagt mir, dass ich an meinem Akzent arbeiten sollte.
Sein Business ist es also, am Bahnhof auf reiche, orientierungslose Hauptstädter oder - gar besser - noch „reichere“, noch orientierungslosere Ausländer wie mich zu warten.
Schnell wieder hinaus. Alles noch so, wie ich es verlassen hatte. Ich sagte, dass ich jetzt hier auf Katya warten werde und – oh, Wunder! - Dima wollte plötzlich los und begann für „seine Dienste“ um Geld zu bitten. Natürlich weigerte ich mich beharrlich, fand aber amüsant, dass er sich mehr und mehr in Widersprüche verhedderte. Er brauche Geld, um später noch nach Dnjepropetrowsk zu fahren. „Was willst du da denn? Du hast doch eine Karte fürs Fußballspiel heute Abend!“ - „Ähm, ja! Die verkauf ich dir! Freundschaftspreis! Nur 200 Гривня!“ - „Freundschaftspreis? Der Originalpreis waren 20 Гривня!“ Und so weiter.
Ich gab ihm dann doch noch 10 Гривня, etwas weniger als einen Euro; dafür, dass er meine Sachen nicht klaute, als ich drinnen mein Handy auflud. Damit verschwand er zur nächsten Bushaltestelle.
Bald darauf holte Katya mich ab.
Und kurze Zeit später konnte ich schon drüber lachen.
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