Warum ausgerechnet nach Polen?
Sie sitzen um mich herum, schauen mich an. Ihre Aufmerksamkeit ist ganz auf mich gerichtet, auf mich und meine Antwort auf die Frage: „Warum?“ „Warum einen Freiwilligendienst? Warum in Polen?“
Sie sitzen um mich herum, schauen mich an. Ihre Aufmerksamkeit ist ganz auf mich gerichtet, auf mich und meine Antwort auf die Frage: „Warum?“ „Warum einen Freiwilligendienst? Warum in Polen?“
Meist werden diese Fragen von verständnislosem Kopfschütteln begleitet, schon will man die Antwort gar nicht mehr wissen, schon hat man mich zu einer verlorenen Seele erklärt.
Diesmal ist die Situation anders: Ich bin in Polen. Zur optimalen Vorbereitung auf meinen Europäischen Freiwilligendienst nehme ich am Sommersprachkurs der Universität Wroclaw teil, mit der finanziellen Unterstützung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks.
Die Fragesteller sind allesamt polnischer Nationalität. Sie warten immer noch auf meine Antwort, sind aufrichtig neugierig, was ich antworte. Eigentlich hatte ich nur kurz eine Nachricht für einen Zimmernachbarn hinterlassen wollen, war aber sofort mich Nachdruck hinein gebeten worden, ein Stuhl wurde herbeigezogen und mir ein Becher in die Hand gedrückt. Wodka pur oder mit Saft? Sie zeigen mir polnische Kabarettstücke und Sketche am Computer und übersetzten es für mich. Ich war erst ein paar Tage in Wroclaw und mein Polnisch nicht gut.
Als die Vorführung beendet ist, richten sich alle Augen auf mich. Jetzt ist es an mir, zur Unterhaltung beizutragen. „Also warum willst du nach Polen?“ Ich sitze als einzige am Tisch, in der Mitte des Raumes. Die anderen um mich herum, lümmeln auf Sofas, auf Betten, sitzen auf Stühlen halb hinter mir, als ob sie verhindern wollten, dass ich aufspringe und mich durch die Tür in die Nacht flüchte. Ich hatte doch nur eine Nachricht hinterlassen wollen.
Derjenige, der die Fragen stellt, sitzt mir gegenüber auf einem Stuhl am anderen Ende des kleinen Zimmer. Das Zimmer gehört ihm, hier widerspricht ihm niemand. Hier werden seine Fragen beantwortet.
Sie sehen mich an und warten. Sie sind alle älter als ich, erwachsen. Männer und Frauen in ihren Dreißigern. Ich hingegen gehöre mit meinen neunzehn Jahren zu den jüngsten Teilnehmern des Sprachkurses. Gerade erst aus der Schule entlassen und noch grün hinter den Ohren. Ich will sie nicht enttäuschen.
„Ich habe polnische Freunde. Ich mag die Sprache, den polnischen Humor.“ Nach kurzem Zögern füge ich hinzu: „Und ich mag den polnischen Wodka.“ Puh, das haben sie schon bemerkt. Die Lacher sind auf meiner Seite. Aber es ist nicht beendet.
„Ist polnischer Wodka besser als deutscher? Besser als schwedischer? Besser als russischer?“ Natürlich ist er das. Sie tun erstaunt, freuen sich. Nur der Frager ist immer noch nicht zufrieden. Er stellt die Frage, die mich in letzter Zeit so oft konfrontiert: „Warum?“
Ich stelle dar, was polnischen Wodka meiner Meinung nach auszeichnet. Einige der Zuhörer lachen Tränen über dieses Wortduell, das vor ihren Augen ausgefochten wird. Mein Fechtgegner aber lässt mich reden, bis sich irgendwann ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht abzeichnet, welches wächst und wächst. Mit breitem Grinsen schenkt er mir nach, streicht mir übers Haar, und nun endlich zerstreut sich die konzentrierte Aufmerksamkeit und alle beginnen wieder durcheinander zu reden. Ich bin aufgenommen. Und die Nacht ist noch jung.