Wahlpropaganda am Ostersonntag
In Irland wird am Ostersonntag traditionell der gescheiterten Revolution von 1916 gedacht. Dieses Jahr wurde der Tag gleich mit für Wahlpropaganda genutzt.
Ostersonntag war bisher immer ein christliches Fest für mich gewesen und ich dachte, dass sei im religiösen Irland genauso. Aber ich täuschte mich gewaltig, denn traditionell wird am Ostersonntag der gescheiterten Revolution von 1916 gedacht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich nämlich eine Nationalbewegung entwickelt, die sich für ein von Großbritannien unabhängiges Irland einsetzte. Sie wollte die Gunst der Stunde um den Ersten Weltkrieg herum ausnutzen, um ihr Ziel zu verwirklichen. Während also die regierende irische Parlamentspartei zur Unterstützung der britischen Kampfanstrengungen aufrief, planten die radikalen Nationalisten zusammen mit der Irish Republican Brotherhood einen bewaffneten Aufstand in Dublin. So kam es, das am Ostermontag, dem 24. April 1916, Patrick Pearse auf den Stufen des Hauptpostamtes in Dublin die Republik ausrief.
Die vorbeikommenden Passanten schenkten dem allerdings nicht viel Aufmerksamkeit und gingen kopfschüttelnd weiter. Jedoch brauchte die angerückte britische Armee eine volle Woche, um alle Aufständischen aus dem Gebäude zu vertreiben, um sie anschließend unter dem spöttischen und höhnischen Gelächter der Bevölkerung ins Gefängnis zu führen. Damit war der Osterputsch gescheitert und alles hätte friedlich wieder seiner Wege gehen können.
Das britische Militärgericht beging jedoch den großen Fehler, die Rebellen übermäßig hart zu bestrafen. Anfang Mai wurden 15 Todesstrafen vollstreckt, denen eine großräumige Säuberungsaktion folgte. Dieser fielen leider auch viele Unbeteiligte zum Opfer. Das erhitzte die Gemüter der irischen Bevölkerung natürlich gewaltig und so wurden die zuerst verspotteten Putschisten des sogenannten „Osteraufstandes“ umgehend zu Märtyrern erklärt, die für den Traum eines unabhängigen Irlands ihr Leben lassen mussten.
In Erinnerung an diese Geschehnisse, gibt es nun jedes Jahr überall Versammlungen, Gedenkfeiern oder eben Märsche. Einen davon habe ich völlig ahnungslos miterlebt. Alles begann damit, dass sich Fahnenträger auf der Straße gruppierten und nach einer ganzen Weile setzten sie sich schließlich sogar in Bewegung. Ihnen folgten in erstaunlich akkurater Zweierreihe an die 40 Menschen jeglichen Alters und so zog der Zug dann angeführt von einem einzelnem Dudelsackspieler, der während des 45-minütigen Marsches so manchen Krampf aus den Händen schütteln musste, durch den Ort - immer auf der Straße entlang, eine große Autoschlange bedächtig anführend.
Kein einziges Wort wurde gesprochen, keiner verließ seinen Platz in der Zweierreihe. Das Ziel des Zuges war der Friedhof am Stadtrand, wo der Trott schon von einer Menschenansammlung erwartete wurde, um sich gemeinsam zwischen den Gräbern zu versammeln. Dann wurde es ruhig und die erste Person fing an zu sprechen. Bedächtig wurden nacheinander die Namen all derjenigen vorgelesen, die im Zuge der Revolution von 1916 ihr Leben lassen mussten. Es wurde eines jeden einzelnen gedacht.
Dann wurde die Proklamation der Revolution verlesen, um in Erinnerung zu rufen, wofür die Menschen ihr Leben gelassen hatten. Das war ein ergreifender Augenblick. Doch plötzlich verwandelte sich die ganze Veranstaltung in einen Wahlkampf für die kommenden Wahlen. Die Proklamation als Grundlage nehmend, wurden nun die ganzen Punkte aufgeführt, die immer noch nicht unter der jetzigen Regierung verwirklicht worden waren – keine gleichen Rechte in der Gesundheitsvorsorge und und und. Alles endete mit den Worten: “Ihr wisst, was ihr im Mai zu tun habt.”
Es war unheimlich. Ich war also von einer friedlichen Gedenkfeier mitten in einer nationalistischen Wahlkundgebung gelandet, die ganz deutlich die verschiedenen Hoffnungen der Iren ausdrückte – Die Einen, die Nationalisten wie die Partei Sinn Fein, deren Veranstaltung ich beigewohnt hatte, stehen für ein einheitliches Irland vereint mit Nordirland.
Die Anderen haben sich mit der Teilung ihrer Insel abgefunden und die Unionisten oder Loyalisten im Norden wollen weiter an ihrer britischen Zugehörigkeit festhalten. Dieser Konflikt schwelt nun bereits seit 1921, als die Insel offiziell gespalten wurde, nachdem die in der Unterhauswahl gewählten irischen Abgeordneten nicht ihre Plätze im Parlament in Westminster eingenommen hatten, sondern am 21. Januar 1919 im Dubliner Mansion House ihr eigenes Parlament gegründet und eine eigene irische Regierung gewählt hatten.
Jahrzehntelang kam es nun zu gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Nationalisten und Unionisten im Norden Irlands. Erst 1998 wurde mit dem Karfreitagsabkommen ein Waffenstillstand zwischen den Parteien vereinbart. Doch der Konflikt ist damit noch nicht behoben, wie man sieht. Denn während der ganzen Veranstaltung am Ostersonntag wurde eines unterschwellig immer wieder deutlich - der Wunsch nach einem einheitlichen Irland, um fortzusetzen, was 1916 angefangen worden war. Frohe Ostern also.