Von wegen grau und marode! – Stadtplanung in Lublin *
In Deutschland werden Hochhäuser oft mit Randgruppen assoziiert. In Polen ist es dagegen keine soziale Schande in einem Block zu wohnen. Malte Koppe über ein ganz normales außergewöhnliches Wohnviertel in Lublin.
Über Polen gibt es viele Vorurteile ohne Berechtigung. So zum Beispiel die absurde Meinung, dass alle Polen Autos klauen würden. "Graue Plattenbauten" - dies mag zudem eines der häufigsten Bilder sein, die man mit dem Land verbindet. Beide Vorurteile sind in den Köpfen gespeicherte Vergangenheit.
Seit der Wende hat sich in Polen auch bautechnisch einiges getan: Die sozialistischen Bausünden wirken bunt bemalt nicht mehr abschreckend. Und neben der "Platte" trifft man auch auf echte Perlen der Stadtbaukultur: In Lublins mehrfach preisgekröntem LSM-Wohnviertel ist die Lebensqualität höher als in mancher deutschen Vorstadt. LSM – das ist die Lubliner Wohnungsgenossenschaft.
"Schon beim Bau des Viertels vor über 50 Jahren wurde darauf geachtet, dieses den Bedürfnissen der Menschen unterzuordnen", berichtet Andrzej Zdunek, Direktor des Kulturzentrums LSM. Diese Weitsicht der Architekten erstaunt, da doch im Sozialismus eher das Individuum dem Zweck untergeordnet war. Heute wirkt das Viertel wie ein riesiger Park. Kilometerlange Pfade schlängeln sich durch die nach polnischen Poeten benannten Siedlungen. Parkbänke, Spielplätze, riesige Grünanlagen, kleine Lädchen – das alles gibt es im LSM-Viertel schon seit 1960!
An den lokalen Busverkehr ist das Viertel hervorragend angeschlossen. Modernisiert wird seit neuestem auch: Man heizt in den gut 13.000 Wohnungen mittlerweile mit Gas statt mit Kohle. Und Wärmedämmung ist in Lublin ebenfalls kein Fremdwort mehr.
Herz und Seele für die 30.000 Einwohner des Viertels ist das von Andrzej Zdunek geleitete Dom Kultury. Das öffentliche Kulturzentrum bietet alles für jede Altersgruppe: Ein Kino, Tanz- und Sportgruppen, Seniorengymnastik, Ausstellungen und Konzerte. Für internationale Zusammenarbeit ist Direktor Zdunek offen. 2008 inszenierte er zusammen mit der benachbarten Deutschschule eine Ausstellung über deutsche Grafikkunst. "In den langen Sommerferien versuchen wir den Kindern etwas zu bieten. Damit sie nicht zu Hause vor dem Computer sitzen", betont der Direktor auch die soziale Funktion seiner Einrichtung.
Das Leben im LSM-Viertel hat sich seit dem Ende des Kommunismus rasant verändert. Nicht nur zum Positiven. Die berühmten Nachbarschaftsklubs sind verschwunden. Und hektisch ist es geworden. Eine Seniorin, seit 36 Jahren im Viertel wohnhaft, beklagt sich: "Die Autos überall gefallen mir nicht. Vor kurzem hatte ich am Zebrastreifen sogar einen kleinen Unfall".
In der Tat hat man LSM nicht für die heutigen Blechmassen konzipiert. Die Bürgersteige sind dauerhaft zugeparkt. Hinzu kommt, dass nur wenige Straßen die Parkanlagen durchschneiden. Aber an der größten von ihnen entsteht seit Jahren ein Einkaufszentrum neben dem anderen. Das zieht noch mehr Autos an. Links und rechts der Zana-Straße droht das schönste Viertel Lublins daher in zwei Hälften zu zerfallen. Weitsichtige Gewerbepolitik sieht anders aus.
Und natürlich träumt auch jeder Einwohner der LSM-Mietwohnungen von den eigenen vier Wänden. Wer es sich leisten kann, zimmert sich in der Vorstadt sein Häuschen. Nach Information des Statistischen Hauptamtes ist in Polen die Hälfe der 41.000 neuentstandenen Wohnungen im Jahr 2009 individueller Wohnbau. Nur 41 Prozent der Polen lebten 2008 noch zur Miete.
Zdunek ist sich trotzdem sicher: "LSM mit seinem vielfältigen Angebot an die Bürger ist auch 2009 noch ein gutes Beispiel für ganz Lublin."
* Teil 1 einer dreiteiligen Serie über Urbanisierung und Stadtentwicklung in Lublin