Vom umgekehrten Kulturschock
„Wie knüpft man an, an ein früheres Leben? Wie macht man weiter, wenn man tief im Herzen zu verstehen beginnt, dass man nicht mehr zurück kann?“ ~ Frodo (Der Herr der Ringe)
Der Begriff „Kulturschock“ wird den meisten wohl geläufig sein. Doch was ist ein „umgekehrter Kulturschock“? Ein Begriff, der in der Vor- und Nachbereitung eines langen Auslandaufenthaltes viel zu selten genannt wird. Er ist auch unter den englischen Begriffen „Reverse culture shock“, „re-entry shock“ oder „own culture shock“ bekannt. Er beschreibt ein psychologisches Phänomen, das sehr häufig eintritt, sobald eine Person, die längere Zeit im Ausland gelebt hat, wieder ins Heimatland zurückkehrt. Es handelt sich um einen zweiten Kulturschock in der Heimatkultur. Man sagt, dass dieser häufig intensiver erlebt wird als der „erste“ im Ausland.
Craig Storti betrachtet in seinem Buch „The Art of Coming Home“ Variablen, die die Hürden, also die Schwierigkeiten beim Heimkommen beeinflussen. Zum Beispiel beschreibt er, dass unfreiwilliges, unerwartetes, das erste Heimkommen sicherlich schwieriger sind. Auch die Länge des Aufenthaltes, die Unterstützung der Familie und Freunde spielen eine große Rolle. „Je länger der Expat fort ist, desto größer ist die Gefahr, dass er sich in Deutschland nicht wieder zurechtfindet.“Umso tiefer die Lücke zwischen den kulturellen Räumen liegt, desto schwieriger wird die Wiedereingliederung.
Die Hauptgründe für einen starken „Reversal culture shock“ liegen meist bei falschen Erwartungen, der Idealisierung der Auslandskultur und der mangelnden Auseinandersetzung mit Herausforderungen, die bei der Rückkehr an die Tür hämmern. Im Rahmen des Heimkommens muss man sich mehreren Fakten stellen: Man hat sich verändert. Das Heim hat sich verändert. Die Wiedereingliederung in die Heimatkultur bedarf Anstrengung. Besonders der Fakt, dass sich auch die Heimat sich verändert hat, kann disorientierent sein und überfordern. Nicht nur das private Umfeld, sondern auch gesellschaftliche Trends haben sich weiterentwickelt. Beziehungen innerhalb der Familie oder -ganz simpel- das Stadtbild können sich verändert haben. Falls sich der Betroffene nicht auf solche Veränderungen einstellt, kann schnell ein Gefühl von Heimatlosigkeit entstehen. Schließlich ist die Heimat nicht mehr die Heimat, die man kannte. Man muss realisieren, dass niemand auf „Pause“ gedrückt hat, während man abwesend war.
Doch das sind nicht die einzigen typischen Herausforderungen. Im Heimatland mangelt es an Interesse an deinen Erfahrungen. Dein Mitteilungsbedürfnis wird nicht befriedigt. Die Berichte aus deiner Heimat langweilen dich. Du vermisst es, als Ausländer aus der Menge hervorzustechen und gewisse Previlegien zu genießen. Du vermisst es dich in internationalen Kreisen aufzuhalten.
Mögliche Folgen eines „umgekehrten Kulturschocks“ können laut Craig Storti sein: Überanstrengung, Überforderung, Depression, Teillnahmslosigkeit am Sozialleben, extrem kritisches Denken. Außerdem als Nebeneffekt denkbar sind Wut, Frustration, Selbstzweifel, Langeweile, Hilflosigkeit, Heimweh/Fernweh, Impulsivität, physiologische Stress-Reaktionen und mehr.
Der klassische Ablauf eines „re-entry shock“ entspricht ungefähr den Stufen eines Kulturschocks im Ausland. Nach der Abschiedsphase im Ausland, begleitet von Trauer und Frustration folgt der „Honeymoon“, einer Phase voller Euphorie. Du freust dich, alte Freunde und deine Familie wiederzusehen. Nach einer gewissen Zeit wirst du jedoch all der Veränderungen bewusst, die in deiner Abwesenheit geschahen. Du fühlst dich fehl am Platz, an einem Ort, der für dich einst so viel Sicherheit und Routine bedeutete. In dieser Phase sind auch extreme Kritik-Äußerung, häufiges Bewerten, Abwerten und Aufwerten üblich. Sobald du dich diesen Erkenntnissen stellen kannst, beginnt die erneute Integration. Eine Assimilation kann durch intensive und bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Empfindungen und Erfahrungen gelingen. Es benötigt Zeit, um das erhoffte Zuhause-Gefühl wiederzuerlangen. Routinen können dabei helfen, ein neues Alltagskonzept zu entwickeln. Sobald man sich der genannten Mechanismen bewusst wird, fällt es leichter schwierige Phasen zu überstehen. Es kann außerdem helfen, sich vor der Heimreise folgenden Fragen zu stellen: Was sind meine Erwartungen an Zuhause? Was könnte sich verändert haben? Welche Empfindungen erwarte ich von mir? Was wird mich frustrieren? Wie werden mir meine Mitmenschen vermutlich gegenübertreten? In welcher Form werden sich meine Rollen verändern?
Auch ein Blick in die Zukunft ist sinnvoll: „Welche Methoden habe ich, um Stress zu begegnen? Wie wird sich meine Kommunikation ändern? Wie werde ich meine Zeit organisieren? Wie kann ich neue Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Interessen in mein neues Zuhause übernehmen?“ Alles in allem geht es darum, Strategien zu entwickeln, um (häufig emotionalen) Stressituationen zu begegnen. Dabei kann es hilfreich sein zu reflektieren, welchen Methoden man sich während des Kulturschocks im Ausland bedient hat.
Bei all diesen Erläuterungen muss jedoch berücksichtigt werden, dass jede Person individuell auf einen umgekehrten Kulturschock reagiert. Manche erleben ihn intensiver, manche weniger. Die jeweiligen Umstände nach der Rückkehr, die Erfahrungen im Ausland, die Aufnahme durch Familie und Freunde haben maßgeblichen Einfluss auf die psychologischen Mechanismen, die der Betroffene anschließend durchlebt. Der Begriff „Schock“ muss bei all dem relativiert werden. Die Erlebnisse, die die Betroffenen nach ihrer Rückkehr durchleben, verlaufen in den meisten Fällen undramatisch. Die Probleme, denen sie sich stellen müssen, sind überwindbar, bedürfen offensichtlich Zeit und Energie. Am wichtigsten ist es, sich den Herausforderungen, die einen erwarten, bewusst zu sein und Strategien zu entwickeln. Auch diese Hürden können als neue Chancen wahrgenommen werden, um über sich hinauszuwachsen, die eigene Kultur intensiv und aus einer neuen Perspektive zu erleben.
https://www.state.gov/m/fsi/tc/c56075.htm
https://www.state.gov/m/fsi/tc/c56076.htm
http://studentsabroad.com/handbook/reverse-culture-shock.php?country=general
https://en.wikipedia.org/wiki/Culture_shock#cite_note-15
http://allabroad.us/question.php?qid=141&cat_id=26&sort=0&category=all
http://www.ed.gov.nl.ca/edu/k12/curriculum/guides/esl/cultural_sensitivity.pdf
http://www.chinadaily.com.cn/opinion/2015-09/25/content_21981981.htm
https://reisewundertuete.com/der-umgekehrte-kulturschock/
http://www.culturecommunication-germany.com/2010/09/03/fremd-im-eigenen-land-der-kontra-kulturschock/
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