Viel mehr als nur ein Job.
Das Ende meines Aufenthalts bedeutet auch ein Abschied, der viel schwerer ist als ich dachte...
Im Film "Willkommen bei den Sch'tis" heißt es, dass ein Fremder, der in den Norden kommt, zweimal weint: wenn er kommt und wenn er geht.
Nun ist Lothringen nicht der Norden, aber der Spruch bleibt gültig, für mich.
Ich erinnere mich an den 5. Januar - als ich noch im Dunklen hier ankam, frierend, und das Zimmer so scheußlich nach Altenheim aussah, mein Tutor mich abholte, mit mir auf Arbeit ging um mir alles zu erklären während Kinder von nebenan immer wieder ins Zimmer schielten.
Alles was ich wollte, war wieder weg und in der ersten Woche musste ich mich so oft zusammenreißen, nicht vor anderen Leuten loszuweinen.
Und während den sieben Monaten gab es oft genug diese Tiefpunkte, an die ich gar nicht mehr denken will. Jetzt bin ich froh, dass ich bis zum Ende geblieben bin und ich bin froh, dass ich hergekommen bin.
Ich höre mir selben zu, wie ich auf französisch erkläre, diskutiere, schimpfe, tröste, philosophiere, verhandle, scherze... natürlich immer noch mit Fehlern, aber hauptsächlich Fehler, die ich etwa eine Sekunde, nachdem ich sie ausgesprochen habe, schon in meinem Kopf berichtige - oder Fehler, deren ich mir schon eine Sekunde bevor ich sie ausspreche bewusst bin, aber eben nichts besseres finde...
Ich weiß, dass ich um der Sprache wegen länger bleiben müsste, denn die ersten Dinge kommen schon ganz natürlich, ohne Nachdenken, ohne Zögern, ohne Nachprüfen im Kopf. Da sitzt die Futur-Form, da glänzt das Objektpronomen und die Konjunktion sitzt. Wie angegossen.
Ich hab so vieles gelernt in den letzten Monaten. In unserem Vorort gehen über 600 Schüler in die Schulen und ich kenne so viele von ihnen. Ich kenne ihre Eigenheiten, ich weiß, wie viel Verantwortung ich ihnen übertragen kann, wer schläft wenn man sie Mittagsschlaf machen lässt und welche Kinder zusammen unerträglich werden. Ich weiß, welche Masche bei ihnen zieht,
Bevor ich hierher kam, war ich komplett hilflos im Umgang mit Kindern. Jetzt ist es so natürlich geworden. Ich kann mich mit einem aufmüpfigem 12-Jährigen unterhalten, mit einer schüchternen Dreijährigen und mit allem was dazwischen liegt.
Das ist so viel mehr als nur ein Job. Entweder du bist ganz dabei, oder gar nicht.
Neben meiner Arbeit habe ich die ganze Zeit nicht viel anderes gehabt. Somit sind die Kinder der Mittelpunkt meines Lebens geworden. Und egal ob ich sie seit März wogegen sie allergisch sind, mit welcher Aufgabe ich ihnen das Gefühl gebe, wichtig zu sein.fast täglich gesehen habe oder erst seit letzter Woche - alle sind wichtig geworden. Und ich will nicht daran denken, dass ich sie wohl nie wieder sehen werden. Ich habe Fotos und ich habe so viele Erinnerungen... Aber ich will sie aufwachsen sehen, will sehen, was aus ihnen wird.
Es sind diese letzten Wochen gewesen, die am allerbesten liefen. Vielleicht weil mein Französisch noch nie besser war, oder weil die Kinder während der Ferien doch ein bisschen entspannter sind. Vielleicht weil wir ein junges Team waren. Oder alles zusammen. Auf jeden Fall hätte es nicht härter sein können, zu gehen. Leider soll man ja gehen, wenn es am schönsten ist - und das war es tatsächlich gerade, entgegen aller meiner Erwartungen.
Sie überraschen dich immer wieder. Da ist Christina, die an meinem letzten Tag nicht mehr sprechen wollte, aus Protest, dass ich gehe. Die so herzzerbrechend süß an mir hing und mich ansah... oder ihr kleiner Bruder Elio, der immer zurückhaltend war und mir auf einmal in die Arme fällt. Oder ein Jordan, der mir in mein Abschiedsbüchlein schreibt, dass ja doch alles ganz gut lief und wir keinen Krieg geführt haben wie damals 1914-1918. Die dreijährige Lise, die keinen Abend nach Hause gehen will bevor sie mir nicht tschüss sagen konnte, die gar nicht begreift, dass ich nicht wiederkomme, die trotzdem ihre kleinen Arme um mich schlingt, mir sagt, "je t'aime" und dass ich ihr fehlen werde... Ein Matéo, der während ich mich gerade furchtbar aufrege leise an mich herantritt und mir einen Kuss auf die Wange drückt.
Jetzt, wo es Zeit ist zu gehen, weine ich also nochmal. Es ist gut, hier aufzuhören und es ist Zeit, aber trotzdem schnürt es mir die Kehle zu und trotzdem tut es weh.
Es gibt da noch einen anderen französischen Film, in dem heißt es: "Das Glück ist wie die Tour de France - man wartet so lange darauf und dann rast es vorbei..."
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