Verreisen mit komischen Leuten. In Edinburgh (mit Hanni).
Entscheidungshilfe
Entscheidungshilfe
Die Stadt lässt mich nicht los. Ein viertes und letztes Mal fahre ich nach Edinburgh. Ein zweites und letztes Mal um Hanni durch die deutsche Bürokratie zu helfen. Denn immer noch braucht sie ihr Visum, um dann ab November hoffentlich (oder etwa nicht?) in Lübeck Kinder glücklich zu machen. Zuerst einmal bin ich aber glücklich, und zwar sehr; ein Tag mit Hanni so kurz vor dem Ende ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Soviel ist mir diese Zeit wert, dass ich Hanni am Telefon glasklar mache, dass ich die gerade erst ergatterten Herbergsbetten jetzt mit Sicherheit nicht gleich wieder abbestelle. Wenn sie sparen will, kann sie gerne am Mittwoch früh morgens zum Bahnhof hetzen um halbwegs rechtzeitig anzukommen, aber ich fahre schön gemütlich Dienstag nach der Arbeit hin, übernachte und genieße den frei genommenen Folgetag in Ruhe. Ja das traut sich das merkwürdige türkische Mädchen ohne Erfahrung mit Jugendherbergen dann doch nicht.
Dienstag, 16.08.05: Ablehnung & Zuwendung
So ein bisschen gespannt bin ich ja dann doch, als ich Dienstagabend nach Durham zum Bahnhof hoch steige... zu klar ist mir das Bild einer zum Sterben müden Hanni vor dem inneren Auge. Aber zum Glück setzt sich dann nur eine normal übermüdete Hanni neben ihren normal übermüdeten Freund und zusammen fahren sie sowohl in den Abend als auch seine Lieblingsstadt auf der Insel. Dort übernachten sie in einem sehr netten Hostel am Rand der Meadows (die Stadtparks...ich bin mir völlig sicher ihr erinnert Euch!) und ich hole zum Abendessen all die arabischen Leckereien raus, die ich mir ja zwei Tage vorher in Glasgow gekauft hatte und für diesen Zweck (größtenteils) aufgespart habe; eine Leistung auf die ich sehr stolz bin. Leider hat Hanni das kaum angefasst, denn obwohl es direkt von einem Echten Araber® kam kannte sie als noch echtere Araberin noch viel besseres Baklava...und so musste ich mich opfern und alles selbst essen. Tja das Leben ist hart. Auch wenn meine paar Dosen und Tüten nichtmal einen Schatten warfen im Vergleich zu was diese asiatische Großfamilie direkt vor uns auftafelte. Afrika bräuchte keinen Geldof mehr.
Was komisch ist: die Hauskatze kam sofort zu mir und hat sich ihre Stunde Kraulen abgeholt. Da war ihr auch völlig egal, dass ich im Gästealbum der Katzenbilder und -comics am meisten über die „Flatcat“ unter dem Bus gelacht hab...Kinder und Katzen: wieso mögen mich immer die Sachen am meisten, die ich am wenigstens leiden kann?
Samstag, 17.08.05: Von Fabelwesen und Legenden: Märchenstunde
Dafür ist das Feld des Rechthabens wie immer fest in meiner Hand, denn wie vorausgesagt stehen wir morgens frisch und munter auf. Siehste! Auch wenn wir ohne Frühstück losziehen, aber dafür haben wir einfach keine Lust oder Zeit geschweige denn Hunger. So gehen wir direkt zum Generalkonsulat, d.h. ich gehe und Hanni folgt mir vollkommen ohne Orientierung; wenigstens etwas, das wohl nie aufhört. Auf dem Amt soll ich dann erstmal vor der Tür bleiben weil Fräulein Dogan mit einem richtigen Deutschen neben sich zu nervös wäre; als ich mich gerade sonne werd ich dann reingeholt weil Fräulein Dogan einen echten Deutschen braucht um sich durch Formulare zu kämpfen. Daran ist er dann zwar auch ein wenig gescheitert, hat dafür aber etwas gefunden, für das sonst nur vollbärtigen Bergsteiger die Exklusivrechte haben: einen lockeren, freundlichen und effektiven Beamten! Natürlich nicht für uns. Hanni wurde von der Standardausgabe mit dem klassischen Das-Leben-ist-schrecklich-Gesichtsausdruck bedient, während ich in glänzenden Prospekten erfuhr wie Deutschland gar nicht weiß wohin mit seinem Glück und Erfolg. Es war einmal...
Wissen, was man will
Als wir gegen elf fertig waren, setzte dann schon so leichter Hunger und vor allem Durst ein, weshalb ich in einen Supermarkt ging und Hanni in ein Bekleidungsgeschäft; denn Mädchen können ja bekanntlich Tops essen. Wenig überraschend war sie dabei mal wieder sehr beschäftigt mit merkwürdig sein. Nachdem sie mir lange vorgehalten hatte, dass sie gar nicht erwartet ihr Visum zu kriegen, ist sie sich jetzt nicht nur sicher, akzeptiert zu werden, nein, jetzt hofft sie fast auf eine Ablehnung, um dann einen Grund zu haben doch nach Frankreich zu gehen. Nicht nötig zu sagen, dass sie ihre Meinung im Laufe des Tages noch mehrfach änderte. Im Zentrum ruhten wir uns ein wenig in einem Café in einem Buchladen aus, wo ich eine ganze Mengen Geschichten erfuhr; nicht aus Büchern sondern von Hanni und am Ende dachte ich mir das meine Familie vielleicht doch nicht ganz so schlimm ist. Kein Wunder das sie so ein merkwürdiges türkisches Mädchen geworden ist.
Wissen, wohin man will
Und weil sie eben so ein sehr merkwürdiges, für den gesunden Menschenverstand vollkommen hermetisches türkisches Mädchen ist, lief sie danach zu einer Reiseagentur um möglichst für nächste (!) Woche einen billigen (!) Flug in die Türkei (!) zu kriegen, um ihre Familie zu besuchen, die sie zwar nicht unterstützen würde, wenn sie unter eine Brücke lebte, aber sie selbstverständlich trotzdem liebt, natürlich. Wie das ausgegangen ist, überlasse ich jetzt Eurer Fantasie, jedenfalls musste sie danach wieder einige Klamottenläden unsicher machen, um sich abzulenken. Nach einigen geduldigen Schwimmversuchen in Meeren von tötungsbereiten Frauen mit rosa Hüten auf dem Kopf hab ich Hanni dann in H&M direkt an der Princes Street abgestellt, wo sie sich etwas längere Zeit vergnügen konnte, und ich hab’s mir auf der anderen Straßenseite neben den tanzenden Kosaken gemütlich gemacht. Gerade außerhalb ihrer Geldsammelpatrouillen, wenn auch zu nah an dem Mann mit seinen Orientierungsflugblättern „Wie finde ich Gott“, aber wer mit einer Zeugin Jehovahs verreist der ist da ja ohnehin vollkommen unsensibel. Auf der Mauer sitzen und das letzte Halva aufessen und die Sonne im Gesicht haben und ja, im geb’s ja zu, schauen ob man nicht ein bekanntes Gesicht sieht. Nein. Nur Hanni war auf einmal da, grinst bloß kurz rüber von der anderen Seite der Tanzgruppe wo sie zwischen der Menge sitzt, wer weiß, wie lange schon.
Von der Wichtigkeit, Freundinnen zu treten, wenn sie am Boden liegen
Selbst Edinburgh ist kein endloser Brunnen an Attraktionen und obwohl gerade das Fringe Festival die Stadt auf den Kopf stellte, wussten wir gar nicht so richtig, was wir noch machen könnten. Darum haben wir wieder auf den alten Dreh zurückgegriffen und geschaut, wo uns der städtische Nahverkehr denn so hinbringt. Er brachte uns durch das Charver Central der Vorstädte runter ans Meer. Leider nicht nah genug zum Aussteigen, nur nah genug um eine Insel im Firth of Forth zu sehen die einem den Mund wässrig machte. Dummerweise hat das viele Herumsitzen Hanni wohl zuviel Zeit zum Nachdenken gegeben, denn auf einmal wollte sie drei Stunden früher nach Durham zurückkehren, um dort irgendwas bei der örtlichen Zeugen-Versammlung zu machen, was wohl ganz wichtig und unaufschiebbar war. Natürlich auch ziemlich schockierend, wenn es einem von einer Sekunde auf die andere mitgeteilt wird und man sich sehr auf diesen Tag gefreut hatte. Also mir hat das gar nicht gefallen und ich war ehrlich froh, als sich das Umbuchen der Tickets diesmal als zu teuer herausstellte. Hanni dagegen war davon am Boden zerstört, mit dem Kopf in den Händen; Gott weiß, was in Durham anstand, wahrscheinlich der einzige direkte Übergang in dieses Paradies auf Erden in diesem Jahrtausend...
Ich vermute, sie wäre dort am liebsten sitzen geblieben und gestorben, das ist ja auch so schön einfach. Aber ich hatte gerade keine Lust, ihr beim Leiden zuzugucken; kann auch keiner von mir verlangen. Ich mein, echt mal: kurz vor Feierabend, Edinburgh, Hanni; man schmeißt ja auch nicht seine letzte Ration Wasser weg in der Wüste. Oder lässt einen Freund liegen. Und wenn man ihn treten muss, jawohl. Denn das Hanni mit gutem Zureden nicht zu helfen war, dass hab ich gesehen, und darum hab ich ihr eine Standpauke à la Reiß-Dich-zusammen-Mädchen! gehalten. Es ist wirklich komisch, wie man manchmal sofort und ohne jeden Zweifel weiß, wann man die besten Freunde hart anpacken muss. Hanni ist mir wirklich ans Herz gewachsen, aber gerade darum kann ich sie ja nicht einfach da liegen lassen. Es ist gut einen Freund zu haben, sagte der kleine Prinz.
Keine Zeit für Spielchen
Was macht man mit merkwürdigen türkischen Au-Pairs um sie von Gedanken an die sichere Hölle abzulenken? Richtig, man kann ihnen ein rosa gekleidetes Kleinkind in die Hand drücken, aber wenn das grad nicht möglich ist geht behelfsweise auch eine kleine Fotosession von der South Bridge, wo man ja all diese tollen alten Gebäude im Hintergrund hat. Die sind zwar nicht rosa, aber damit kann man ganz toll beeindrucken. Noch ein Foto Johannes, nur noch eins! Ein komisches Wesen...wieder gut drauf bevor man „traurig“ sagen kann. Da war es dann auch schon um vier und wo unser Zug in zwei Stunden ging, hab ich diesmal ausgewählt, wie wir unsere verbleibende Zeit verbringen. Im Café haben wir dann darüber fabuliert wie es wohl nach dem 30. August sein wird. Außerdem hab ich Hanni eröffnet, dass ich ihr eine Young Persons Railcard kaufen werde als letztes Geschenk. Denn so wie ihre finanzielle Situation aussieht und da sie ja zwingend noch ein paar Besuche bei deutschen Konsulaten und Botschaften machen muss, wird sie eine Vergünstigungskarte wirklich brauchen. Erstaunlicherweise kam da kein Protest von ihr. Vermutlich haben wir beide in den letzten Wochen keine Lust auf Spiegelfechtereien.
Ja ja, und das war es eigentlich auch schon von diesem letzten gemeinsamen Ausflug mit Hanni. Mal abgesehen davon, dass wir diesmal planmäßig nach Hause kamen und wieder ein Lamm tot war. Jedes Mal wenn ich zurück komme haben wir hier ein Tier weniger. So wird Edinburgh am Ende nicht entzaubert, lediglich ernüchtert und warum auch nicht: nichts überwaeltigt ewig. Das kommende Wochenende verreise ich dann zum allerletzten Mal. Nach Cambridge. Allein.
Donnerstag, 18.08.05 Wallington: Ein Reisetipp
Nur einen Tag später, also Donnerstag, habe ich noch einen weiteren grandiosen Ort besucht, Wallington in Northumbria nördlich von Newcastle. Dort war ich auf dem letzten Lauf mit der Walking Group und es ist auch ein National Trust Besitz, sogar noch größer als Gibside. Es besteht aus einem riesigen, vierflügligen Herrenhaus mit weitem Innenhof und einem unvorstellbaren Landbesitz drum herum. Da sind nicht nur Felder, Wälder, Parks, Seen und Gärten, sondern mehr als neun ganze Dörfer, die dazu gehören und alle vom National Trust verwaltet werden. Und was für Anlagen! Northumbria ist ja ohnehin als schön bekannt und ich mag seine einsamen Schafweiden sehr, aber wie alle National Trust Anlagen setzt Wallington noch mehr als eins drauf. Der Mauergarten allein ist grandios; ein Farbenmeer von verschiedensten Bäumen, Büschen, Blumen, Blättern und Blüten aus der ganzen Welt. Da sind Beete und Wiesen, moosüberkrochene heiße Trockensteinmauern und ein kleiner Teich. Sogar ein langes Gewächshaus haben sie dort. Dahinter liegen langgestreckte Teiche und Seen auf denen Enten und Schwäne ihre Runden ziehen, eingerahmt und von der knallenden Sommersonne beschützt von hohen Bäumen.
Dann kommt man wieder zum eigentlichen Haus, das einer Familie von Schwerindustriellen gehörte und vollgestopft ist mit Kunst und Kultur. Technisch ist es nichts weniger als ein Schloss, nur durften sie das nicht sagen weil sie eben nicht adlig waren, aber ich habe ärmere Fürstenhäuser gesehen. Da sind Räume mit Büchern bis unter die Decke und andere voller Gemälde, Stuck und Marmor; Lack und teure Tapeten gehören zur Grundausstattung jedes Zimmers. Der Höhepunkt ist die große Empfangshalle, die so üppig verziert und ausgestattet ist, dass ich gar nicht erst versuchen werde auf Einzelstücke einzugehen. Dann ist da noch ein original eingerichtetes Kinderzimmer, in dem die jüngsten Stücke 100 Jahre alt sind; und eine wissenschaftliche Kuriositätenstube unter dem Dach.
Natürlich lockt man Besucher im Allgemeinen nicht mit Kultur, aber die Menschenmassen wären auch ohne das Haus erklärbar. Denn der Park um das Gebäude herum allein ist so wunderschön; ich habe mich nur wie eine Eidechse auf eine sonnengewärmte Steintreppe gelegt und die Hitze aufgesogen, während vor mir einige Schafe über ein endloses, grünes Feld trotteten um sich in den Schatten gigantischer Eichen zu legen. Also, liebe Freiwillige im Nordosten: fahrt nach Wallington!