Verliebt in Schweden
"Nun standen wir also auf der Fähre. Ob der spontane Crashkurs, den ich auf Deck noch mit Christine eingelegt habe, etwas in sprachlicher Hinsicht bringen würde? Ich war mir nicht sicher. Auf jeden Fall führte er dazu, dass ich etwa zwei Stunden vor Ankunft komplett davon überzeugt war, dass meine Lehrerin spinnt..."
Nun standen wir also auf der Fähre. Ob der spontane Crashkurs, den ich auf Deck noch mit Christine eingelegt habe, etwas in sprachlicher Hinsicht bringen würde? Ich war mir nicht sicher. Auf jeden Fall führte er dazu, dass ich etwa zwei Stunden vor Ankunft komplett davon überzeugt war, dass meine Lehrerin spinnt. Christine ergoss sich in Lobeshymnen auf Land und Leute, ihre „Zweitfamilie“, zu der sie seit Jahren jederzeit kommen könne, und gipfelte mit dem Geständnis: „Ich muss immer weinen, wenn ich wieder fahre“.
Aha. Wie albern. Schweden. Das war doch nur ein Land. Noch dazu eines mit kaltem Klima, was sich auf der Fähre trotz Sonnenschein bereits bemerkbar machte. Ich als Hitzefetischistin und Italienliebhaberin erwartete von der skandinavischen Landschaft nichts Überzeugendes und war eher neugierig auf die Menschen. Und dann diese Gefühlsduselei meiner Lehrerin. Schalom. Damals wusste ich ja noch nicht, dass Schweden sich offensichtlich vorgenommen hatte mich in Blitzgeschwindigkeit um den Finger zu wickeln.
Vor etwa zwei Jahren hatte ich begonnen, Schwedisch zu lernen. Damals wurde an meiner Schule eine Schwedisch-AG eingerichtet. Ich dachte mir: "Probierste das mal aus." Aus der Chinesisch-AG war ich nach einem Jahr ausgetreten - bei den Lauten schabt man sich ja den Rachen wund - es konnte also nur besser werden. Und es wurde besser. Ziemlich schnell erkannte ich, dass mir die Sprache lag. Ohne großes Lernen behielt ich Vokabeln und Grammatik. Außerdem machte mir der ganze Unterricht in seiner lockeren Form und in dieser netten Gruppe viel Spaß.
Als mein neues Hobby sich in meiner Familie herumsprach, hatte das stundenlange Erzählungen von irgendwelchen Urlauben in Skandinavien zur Folge. Ich kann bis heute nicht sagen, dass mich die Fotos von Norwegen wirklich vom Hocker gerissen hätten. Viel zu eintönig die Landschaft. Aber Schweden war ja nicht Norwegen. Trotzdem stand ich den mehr als schwärmerischen Berichten meiner Schwedischlehrerin Christine eher skeptisch gegenüber. Demnach war Schweden so eine Art Paradies auf Erden. Warum waren andere Länder eigentliche überhaupt noch bevölkert? Man sollte direkt nach Schweden auswandern.
Dann entstand die Idee eines einwöchigen Göteborg-Austauschs. Wir sollten zuerst hin. Ich war absolut Feuer und Flamme und auch die anderen - vielleicht wirkte hier auch der Ausblick auf eine schulfreie Woche - bekundeten Interesse. Was dann kam, war erst mal Chaos pur. Wer zu wem? Womit fahren wir? Bus, Bahn, Fähre. Oder doch ein Flug? Etwa zehntausend Preisvergleiche, zwei Elternabende und diverse Telefonate später stand fest: wir würden auf die Kombination Zug/Fähre setzten.
Und da waren wir nun. Schon bald tauchte der Hafen auf. Schon wieder Chaos. Spontan konnte niemand mehr ein Wort Schwedisch. Herrje, alles würde so schief gehen. Und doch klappte alles wunderbar: Zwei Stunden später saß ich beim Abendessen in einer gemütlichen Wohnung (leider nicht dem Astrid-Lindgren-Haus meiner Fantasien) und machte erste Gehversuche in Sachen Schwedisch. Das Gespräch geriet zu einem Schwedengldeutsch-Mix, aus dem jedoch alle Seiten die gewünschten Infos entnehmen konnten.
Jenny (18), meine Partnerin, ihre Schwester Hanna (16), die einen Tag älter war als ich und ihre Eltern waren einfach super! Ich bekam Jennys Zimmerchen, das gemeinsam mit dem ihrer Schwester, einem Mini-Bad und der Wohnküche das untere Stockwerk bildete. Oben befand sich das elterliche Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Alles absolut urgemütlich.
Natürlich fehlten auch die stilechten IKEA-Klassiker nicht. Ich fühlte mich sofort zu Hause und konnte lange nicht einschlafen, weil ich versuchte alle neu gelernten Vokabeln zu wiederholen um sie für immer in meinem Gedächtnis zu verankern. Übrigens habe ich schon am nächsten Tag angefangen auf Schwedisch zu denken. Allerdings immer nur so lange, bis ich kompliziertere Gedankenstränge verfolgen wollte und dabei auf Vokabeldefizite stieß. Ein komisches Gefühl!
Am nächsten Tag verlor ich bereits mein Herz an Göteborg. Ich lernte die anderen Schweden kennen und stellte fest, dass sie genauso nett waren wie "Meine" und den Nachmittag auf der Schäreninsel Marstrand werde ich nie vergessen. Die Landschaft war ein Traum. Auch die schwedische Küche hatte zu diesem Zeitpunkt bereits den Siegeszug in mein Herzchen angetreten. Der Nudelsalat vom Vorabend stand in schwerer Konkurrenz mit den Kaneelbullen (Zimtschnecken) der Insel. Ich begann zu ahnen, was Christine gemeint hatte.
Die nächsten Tage verbrachten wir größtenteils in der Schule, wo wir Tandemunterricht hatten. Je ein Deutscher und ein Schwede bearbeiteten verschiedene Aufgaben zuerst auf Deutsch und dann auf Schwedisch. Eine sehr effiziente und spaßige Art des Lernens. Außerdem lernt man Land und Leute durch die Aufgabenstellungen schnell und gut kennen.
Lunch aßen wir in der Bamba, so nennt man in Göteborg die Schulkantine. Von ihr sollten sich unsere Kantinen mal eine Scheibe abschneiden. Extrem lecker. Oje, ich war so was von infiziert mit dem Schwedenvirus.
Ein weiterer Höhepunkt unserer Zeit in Göteborg war die Rundfahrt durch die Schären am Donnerstag. Schon wieder traumhafte Landschaft. Leider vergaßen Christine und ich auf einer Insel komplett die Zeit. Ich hatte endlich meine Astrid-Lindgren-Häuschen gefunden und war in der Idylle glücklich wie lange nicht mehr. Das änderte sich schlagartig, als wir zum Steg zurück kamen und das stündlich verkehrende Schiff nur noch von hinten sahen.
Dass Göteborg eine wunderschöne Stadt ist, entdeckten wir in den Mittagspausen und nach Schulschluss immer wieder auf eigene Faust. Neben einem großen Einkaufscenter und vielen großen und kleinen Geschäften findet man überall schöne Ecken. Egal ob in einem der Parks oder in der Gamla Stan, der Altstadt. Eine Besonderheit sind die Straßenbahnen, die es in Schweden nur sehr selten gibt.
Am meisten faszinierte mich jedoch, neben dem Land, seine Leute. Nie zuvor bin ich auf so ein offenes und sympathisches Volk getroffen. Mich hat es fast schon irritiert, überall angelächelt zu werden. Es war so leicht mit wildfremden Menschen ins Gespräch zu kommen, selbst wenn man sich nur nach dem Weg erkundigt hatte. Auch wenn niemand nachvollziehen konnte, warum wir ausgerechnet Schwedisch lernen. Ganz einfach: Ett spåket om inte alla pratar (Es ist eine Sprache, die nicht jeder spricht). Nicht mal mein Fauxpas in einer Buchhandlung, "Ich mag Astrid Lindgren?", erweckte Unmut. Schnurstracks wurde ich zum Regal geführt und freundlich gefragt, ob sonst noch Hilfe erwünscht sei.
Ich könnte noch ewig über unsere Zeit in Schweden berichten, über das Fernsehprogramm, welches nur auf Englisch mit schwedische Untertiteln zu sehen ist, über Jennys Opa, der mir unglaublich viel über die Kultur erzählte und über ihre Oma von der wir schon am Freitag die Lördagsgoodies (Süßigkeiten, die es nur Samstags gibt) bekamen.
Auf der Rückfahrt stand ich jedenfalls solange an Deck, bis Göteborg meinen Blicken ganz entschwunden war. Und gemeinsam mit Christine musste ich mir doch tatsächlich die Tränen aus den Augenwinkeln wischen.
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