Unpolitisch
Man hatte mir gesagt, mein Freiwilligendienst soll unpolitisch bleiben. Warum ich mich dem widersetzt habe und was eine verarmte Region in der Südslowakei mit Sachsen während der Bundestagswahl zu tun hat.
Bevor ich meinen Freiwilligendienst angetreten habe, musste ich erst einen großen Stapel Formulare durcharbeiten. Dabei wurde mir u.a. ein Verhaltenskodex für meine Zeit als Freiwillige zugeschickt. Darin stand, dass ich mich für die Zeit meines Einsatzes nicht politisch engagieren soll. Damals habe ich den Kodex etwas zögerlich akzeptiert, immerhin wollte ich mein Projekt wegen so einer Vorgabe nicht einfach aufgeben. Aber bald wurde mir klar, dass unpolitisch zu bleiben nicht einfach sein würde.
Ich habe meinen Freiwilligendienst in der Slowakei gemacht, ein Land, das vor allem in letzter Zeit immer wieder Negativ-Schlagzeilen gemacht hat. Flüchtlingskrise, anti-europäisches Sentiment und Rechtsruck wurden mir auch während meines Aufenthaltes dort immer wieder deutlich. Kurz bevor meiner Ankunft, im Frühling 2016, wurde das Parlament neu gewählt. Die rechtsradikale Partei „Unsere Slowakei“ hat dabei überraschende 8% der Wählerstimmen gewonnen. Die sozialdemokratische Partei, die zuvor die stärkste Kraft im Parlament war, blieb es auch, musste aber einiges an Prozentpunkten einbüßen. In Folge des Wahlergebnisses entstand eine breite Koalition, die relativ instabil ist.
Da sich eine Tendenz zu der rechtsradikalen Partei schon vor der Wahl erkennen ließ, versuchte der amtierende Ministerpräsident noch einmal das Ruder herum zu reißen und Stimmen am rechten Rand zu fischen, indem er ankündigte, keinerlei muslimische Flüchtlinge in das Land zu lassen. Obwohl das Manöver fehlschlug und die rechtsradikalen Parteien dadurch nur noch salonfähiger wurden, entwickelte sich später daraus der Konflikt der Slowakei und Ungarns gegenüber der EU bezüglich der Verteilungsquote von Flüchtlingen.
Besonders in der Banska Bystrica-Region, wo ich mein Jahr verbracht habe, ließ sich der Rechtsruck deutlich spüren. Die Partei „Unsere Slowakei“ führt in dieser Gegend sogar die Regierung. Sie hat die extrem arme und politisch desillusionierte Bevölkerung mit rassistischen, anti-europäischen und ultrapatriotischen Slogans eine Chance auf Veränderung versprochen und 55% der Wähler haben ihnen Glauben geschenkt.
Da ich mit Romakindern zusammen gearbeitet habe, konnte ich die hasserfüllte Stimmung immer wieder am eigenen Leib spüren, nämlich immer wenn ich mit der Bevölkerung in meiner Region über meine Arbeit gesprochen habe. Auch Statistiken zeigen, dass Minderheitengruppen wie die Roma den Hass als erstes zu spüren bekommen. Ein Fünftel aller Romakinder geben an, in der Schule aufgrund ihres ethnischen Hintergrundes von Mitschülern oder Lehrern gemobbt worden zu sein.
Die Politiker der Partei „Unsere Slowakei“ wenden sich ganz klar gegen die Roma, bezeichnen sie als „soziale Parasiten“ und wollen ihnen die staatliche Sozialhilfe verweigern. Sie benutzen sie als Sündenböcke für die zahlreichen Probleme des Landes und das funktioniert, unter anderem aufgrund des Jahrhunderte lang gereiften Rassismus, der weiten Bevölkerungsgruppen durchzieht.
Aber selbst die Sozialarbeiter, mit denen ich zusammen gearbeitet haben, dachten teilweise in streng konservativen Denkmustern. Meine Organisation war an die örtliche baptistische Kirche gekoppelt, bei der die Mitarbeiter auch Mitglieder waren. Obwohl sie in vielen Dingen ein sehr liberales Weltbild hatten und sich offen gegen Rassismus und Diskriminierung stellten, waren sie extrem homophob und Sexualität war weitestgehend ein Tabuthema. Diese Einstellung vermittelten sie auch an die Kinder weiter.
In so eine Umgebung geworfen fiel es mir manchmal schwer, mich unpolitisch zu verhalten. Und war nicht allein meine Entscheidung, einen Freiwilligendienst in diesem Ort und in diesem Projekt zu machen ein riesiges politisches Statement an sich? Durch meine Arbeit ergaben sich ganz von alleine Diskussionen zur aktuellen politischen Lage und ich habe mich ehrlich gesagt nicht zurück gehalten, meinen Standpunkt dabei einzubringen.
Ich muss gestehen, dass mir diese Gespräche manchmal auch Angst gemacht haben, weil ich mich in einem fremden Land von Leuten anderer Meinung umzingelt gefühlt habe. Und an manchen Stellen ist Angst notwendig. Wenn die eigene Sicherheit bedroht ist, kann man sich auch zurückhalten und Diskussionen vermeiden. Aber wenn es um die eigene Zukunft geht, muss man mutig sein und sich der Auseinandersetzung stellen.
Denn jetzt geht es auch um meine Zukunft. Im Sommer dieses Jahres bin ich nach Deutschland zurück gekommen, mitten in den Wahlkampf. Und in meiner Heimatregion Sachsen habe ich die gleiche Entwicklung wie in der Slowakei noch einmal miterleben müssen. Die AfD ist bei uns mit 27% der Stimmen offiziell die stärkste Partei. Auch Sachsen ist politisch desillusioniert, fühlt sich zurückgelassen und lechzt nach Veränderung. In diesem Klima von meinem Freiwilligendienst zu erzählen, von den Kindern, die mein Leben verändert haben und von einer Region, die genauso wie Sachsen sein Vertrauen in rechtsradikale Kräfte setzt und nichts erhält außer noch mehr Hass und Elend, ist vermutlich das stärkste politische Zeichen, das ich setzten kann. Deswegen weigere ich mich, unpolitisch zu bleiben, sondern ich werde diese Gelegenheit nutzen, um den Leuten Ähnlichkeiten aufzuzeigen, mit ihnen in den Diskurs zu treten und für ein vereintes, offenes Europa zu kämpfen.
Quellen:
https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2016/03/09/slovakias-newly-elected-parliament-is-dramatically-different-and-pretty-much-the-same-heres-how/?utm_term=.6b8cf8c5cbaf abgerufen am 6.10.17
http://country.eiu.com/Slovakia abgerufen am 6.10.17
http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-25082487 abgerufen am 7.10.17
https://spectator.sme.sk/c/20657072/voters-dont-understand-self-governing-regions.html abgerufen am 7.10.17
https://theculturetrip.com/europe/slovakia/articles/the-rise-of-far-right-politics-in-slovakia/ abgerufen am 7.10.17
https://www.baptisten.de/fileadmin/befg/media/dokumente/2013-02_Offener_Brief_des_BEFG-Prasidiums_-_Zum_Umgang_mit_dem_Thema_Homosexualitat.pdf abgerufen am 7.10.17
http://www.theologische-links.de/downloads/sexualethik/homosexualitaet_und_bibel.html abgerufen am 7.10.17
https://www.welt.de/regionales/sachsen/article169033973/Pegida-und-AfD-feiern-Wahlerfolg.html abgerufen am 7.10.17
https://bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse/bund-99/land-14.html abgerufen am 7.10.17
http://www.aljazeera.com/indepth/features/2017/04/life-slovakia-roma-slums-poverty-segregation-170425090756677.html abgerufen am 8. September 2017
http://www.errc.org/cms/upload/file/2015-eu-roma-framework-writen-comments-19-february-2016.pdf abgerufen am 10.9.17
https://www.finance.gov.sk/en/Components/CategoryDocuments/s_LoadDocument.aspx?categoryId=698&documentId=605 abgerufen am 8.9.17
Bildquellen:
http://blogs.lse.ac.uk/europpblog/2016/03/09/slovakias-election-a-party-system-entering-uncharted-waters/ abgerufen am 27.11.17
http://www.socialwatch.eu/wcm/Slovakia.html abgerufen am 27.11.17
https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-09-24-BT-DE/ abgerufen am 27.11.17