Und was ist mit Beirut?
Nur einen Tag vor dem Anschlag in Paris, am 12.11.2015 verloren 43 Menschen in Beirut ihr Leben. Mehr als 200 wurden verletzt. Aber in den Nachrichten hören wir davon nur wenig.
In der Woche nach dem Anschlag in Paris habe ich einen Artikel eines Beiruter Arztes gelesen, der mich sehr berührt hat. „Im vergangenen Jahr habe ich mich damit abgefunden, eines von den Leben zu führen, die egal sind. Ich habe gelernt, es zu akzeptieren und damit zu leben.“, schrieb er unter anderem dazu, dass die ganze Welt um die Opfer vom 13. November in Paris trauerten, die Sehenswürdigkeiten vieler Länder in den Nationalfarben Frankreichs leuchteten, aber kaum jemand etwas über den Anschlag in Beirut erfuhr oder darum trauerte. (Der Artikel wurde unter anderem hier veröffentlicht: http://www.sueddeutsche.de/digital/blogeintrag-zu-terroropfern-sind-arabische-leben-weniger-wert-1.2739151-2).
In Beirut starben nur einen Tag vor dem 13. November 43 Menschen und mehr als 200 Menschen wurden verletzt. Doch ich habe das Gefühl, dass diese Nachrichten für die „westliche Welt“ nur noch wahrgenommen werden. Vielleicht hat man noch ein paar Gedanken wie: „Das ist alles so schrecklich. Die armen Menschen dort. Was die alles durchmachen müssen.“. Aber schnell ist ein solches Ereignis wieder vergessen und es ist genug der Trauer um die verlorenen Menschenleben.
Anders ist das, wenn ein Anschlag plötzlich in unmittelbarer Nähe passiert. Mit unmittelbarer Nähe meine ich dabei nicht die räumliche Nähe. Ob die USA um Paris trauern oder um Beirut, ist von der Entfernung her kein allzu großer Unterschied. Ich meine eine Nähe, die wir uns selbst schaffen. Es liegt an uns, wie wir die Nähe zu den Menschen aus Paris im Gegensatz zu den Menschen aus Beirut einschätzen. Passiert ein Anschlag also „in unserer Nähe“, dann richtet Facebook einen Filter für die Profilbilder zum Zeichen der Solidarität und Trauer ein. Millionen Kerzen werden angezündet und Gebäude in unzähligen Städten leuchten blau-weiß-rot. In den Nachrichten hört man kaum etwas anderes als „Terror in Paris“ und bei Facebook teilt jeder seine Anteilnahme in einem Status.
Und das ist gut so! Denn hieße es nicht, dass wenn wir nicht so reagieren würden, dass solche Anschläge wie am 13.11.2015 und der Anschlag auf Charlie Hebdo schon zur Normalität geworden wären? Es wäre schrecklich, wenn ein Attentat passiert und niemand kümmere sich darum. Aber genau das ist schon längst der Fall in Ländern, die uns nicht so „nah“ sind. Wir hören täglich von tödlichen Ereignissen im Nahen und Mittleren Osten. Aber die Nachrichten sind so häufig geworden, dass es uns gar nicht mehr bewusst wird, wie viele Menschen dort täglich ihr Leben verlieren. Das wird gerade durch die Diskrepanz der Trauer um Paris und um Beirut noch deutlicher. Wie viele von uns haben denn schon von der Enthauptung der sieben schiitischen Hazara in Afghanistan gehört – darunter ein 9-jähriges Mädchen? Wir sind blind für die Gewalt in den Ländern, in denen sie schon so lange herrscht. Wir können diese Gewalt nicht nachvollziehen.
Ich finde es richtig, dass um die Opfer in Paris so sehr getrauert wird und Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden. Denn das ist auch ein Ausdruck dessen, dass der Staat funktioniert. Dass der Staat sich um seine Bürger sorgt und für die Sicherheit der Bürger kämpft.
Dass Frankreich den Notstand ausgerufen hat, ist ein großer Schritt. Die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen sind vielleicht primär eine Einschränkung der Freiheit der Bürger. Aber es ist ein Schritt, der deutlich macht, dass wir für den Frieden kämpfen – und auch, dass wir uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen wollen.