...und heute ich frage mich, ob Elena an diesem Tag überhaupt gelacht hätte, wären wir nicht da gewesen
über einen der tausend Sinne des Europäischen Freiwilligendienstes
Wenn ich an die Zeit in Schweden zurück denke, dann sehe ich zu aller erst Gesichter von Freunden, die es in meiner Heimat Hamburg so nicht wieder geben wird. Dann sehe ich die Tage, an denen wir uns an unbekannten Ufern uns fremder Orte verstanden, an denen wir uns etwas zu sagen hatten und über Dinge erzählten, die man nicht mit jedem teilt.
Und wenn ich an die Zeit meines Freiwilligendienstes zurück denke, dann erinnere ich mich an Menschen aus anderen Ländern, freundliche Menschen aus Staaten, die man leider nur - gepaart mit einem Gefühl aus Unbehagen und ganz-weit-weg - aus den Nachrichten zu kennen glaubt. Und plötzlich unterhielt ich mich mit jungen Studenten aus dem Iran. Mit jungen Studenten aus Pakistan. Mit jungen Studenten aus Indien und Weißrussland. Alle in einer Gemeinschaftsküche eines Studentenwohnheims sitzend und lachend. Die Hausnummer hab ich schon wieder vergessen. Ihre Namen nicht. In diesem Zimmer gab es keine Nachrichten. Und ich bin dankbar, dass ich diese Momente erleben durfte. Für das Erfahren eines unvoreingenommenen Miteinanders so vieler Nationalitäten.
Als Fremder ist man unter Fremden so gleich, dass es egal ist, woher man kommt. Man steht auf der selben Ebene des Wahnsinns und denkt in dem Moment nicht daran. Man begegnet sich als Bruder und Schwester und nicht als Teil sich konkurrierender Minderheiten. Das Geben und Nehmen von Respekt durch diese Begegnungen ist eine stille und stumme Befreiung von falschen Vorstellungen und Vorurteil.
Es gibt zwei Welten: die, die uns Angst macht und die, die man kennt.
Ein bewusstes Ausbrechen aus alten Festungen, das Zurücklassen von früh erwachsenen Errungenschaften seiner Heimat und jahrelangen Freunden im Tausch gegen das bewusste Einbrechen in eine andere Kultur mit all der Unsicherheit und Schwere unbekannter Laute in Bussen und Bahnhofshallen – Das ist der Hess'sche Moment, wo es in seinem Gedicht heißt „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ Das sensibilisiert und stärkt, macht Angst und reich.
Ein Freund fragte mich die Tage, als wir zusammen Abend essen wollten und vom Supermarkt die verregneten Straßen Hamburgs nach Hause liefen, ob ich im Nachhinein – trotz der noch recht frischen Rückkehr meinerseits - die Zeit im Ausland bereue und ich dachte drüber nach und erzählte ihm, wie Elena eines Tages im Sommer mal nicht so gut drauf war. Da gossen wir ihr Wasser über ihre Haare und sagten, die schlechte Laune müsse mal aus ihrem Kopf raus und erst war sie sauer auf uns, doch dann lachte sie mit uns und heute frage ich mich, ob Elena an diesem Tag überhaupt gelacht hätte, wären wir nicht da gewesen.
Diese Erinnerung ist mir Rechtfertigung genug, ob es Sinn macht oder nicht, für eine so lange Zeit an einem anderen Ort zu wohnen. Man muss sich öffnen für das, was da kommen mag. Denn das Leben findet überall statt.
Und doch ist es schwer zu sagen, wie es ist, sich selbst zu einem fremden Ort der Handlung hinaus zu führen, was man für sich selbst gewinnt und vielleicht auch verliert. Denn alles fängt an und hängt davon ab, eine Fähigkeit zum Entschluss zu fassen, seinen Alltag einzumotten, Freunde zu verlassen und enttäuscht darüber zu sein, dass es keinen Ersatz gibt für das, was man erst hier und später dort zurück lassen wird.
Was ist Heimat? Was ist Zuhause? Diese Frage stelle ich mir seit meiner Rückkehr sehr oft. Ich weiß um ein Land, und doch glaube ich es nur zu kennen. So gut man Stockholm und Hamburg vergleichen kann, so viele Unterschiede wird man feststellen, je länger man dort wohnt. Und so unterschiedlich war der Lebensrhythmus und so unterschiedlich war der Alltag, dass man anzweifeln könnte, ob ich in Schweden überhaupt Ich war. Vielleicht nennt man das auch einfach Anpassung.
„Vor uns lag noch ein längerer Weg. Uns sollte es recht sein. Der Weg ist das Leben.“ Das schrieb einst Jack Kerouac. Das Buch, in dem dieser Satz steht, heißt „unterwegs“.
Ich werde irgendwann wieder weiter ziehen, Hamburg wieder verlassen. Als Fremder den Alltag neu erfinden und mich in Situationen bringen, die mir bis jetzt noch unvorstellbar sind. Denn ich lernte die Werkzeuge zu benutzen, die man braucht, um damit zurecht zu kommen. Ich brachte sie mit nach Hause.
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