Umzingelt von Feinden? Türkische Außenpolitik
Die aggressive Politik der Türkei nach Innen hat auch viel mit dem internationalen Kontext zu tun, in dem sich die Türkei momentan befindet.
Der Philosoph John Rawls hätte die Türkei wohl als "Outlaw State" bezeichnet (aus seinem Werk "Das Recht der Völker", 2002): Ein Land, welches sich von Feinden umzingelt fühlt, freundschaftliche Beziehungen abbricht, permanent aggressiv in der Außenpolitik auftritt und Menschenrechten keine Beachtung schenkt. Warum wird allerdings so ein feindlicher Kurs gefahren? Und vor allem, was war der Wendepunkt?
Die türkische Außenpolitik machte eine drastische Wendung mit dem arabischen Frühling. Seit den verschiedenen Revolutionen in der arabischen Welt 2011 brach das Land die freundschaftlichen Verhältnisse zu den Nachbarstaaten ab und begann einen sunnitisch-islamischen geprägten, aggressiven Kurs. Das lässt sich mit dem Machtvakuum nach den Revolutionen erklären, da in vielen Ländern jahrelange Autokratien innerhalb Wochen zusammenfielen und in den anderen Staaten zumindest die Herrschaftsstrukturen erschüttert worden. In dieser unruhigen Zeit und in dieser allgemein instabilen Region sorgte dieser Umstand dafür, dass regionale Akteure, religiöse Interessensgruppen und ethische Minderheiten nach Einfluss suchten, was gerade im Fall von Syrien und dem Irak für die Türkei potentiell gefährlich: Angrenzend an das türkische Staatsgebiet leben viele kurdisch-stämmige Menschen und gerade kurdische Milizen und militärische Gruppen spielten in dem Befreiungskampf gegen den sogenannten Islamischen Staat die entscheidende Rolle, sie wurden sogar von den USA unterstützt.
Die Türkei sieht in diesem emanzipatorischen Prozess der syrischen Kurden eine große Gefahr für ihre territoriale Integrität, da nun verschiedene Regionen unter kurdischer Verwaltung und Leitung fallen, die zusammen mit den südöstlichen Kurdengebieten der Türkei ein "Vereintes Kurdistan" ergeben würde. Also regiert der türkische Staat mit brutaler Härte: Er geht gegen jedes kurdische Leben vor, unterdrückt subtil die Auslebung kurdischer Traditionen und marschiert in Syrien ein (aktuell ist die nordsyrische Stadt Afrin besonders schlimm getroffen). Das verletzt internationales Recht, wofür die Türkei auch international stark kritisiert wird: Die NATO und UN mahnen die Türkei, sich an ihre Rechtstaatlichkeit zu halten, die OECD prangert unfaire Bedingungen für oppositionelle Politik und die Beitrittsgespräche zur Europäischen Union sind faktisch ausgesetzt.
Dabei schienen diese gerade vielversprechend: Während der Phase der Annährung der Türkei an die Europäische Union erleichterte sich die politische Lage für Kurden enorm, im Allgemeinen wurde viel zur Einhaltung der Menschenrechte, zur Stabilisierung und zum strukturellen Ausbau des Landes getan. Doch die europäische Integration gelang nicht: Wegen der zögerlichen Haltung vieler europäischer Länder, die auch mit Islamophobie zusammenhängen könnte, und einer unfairen Behandlung im Vergleich zu anderen Anwärterstaaten ist der Groll der Türkei groß. Daher suchte sich das Land andere Bündnispartner und hat sicher eher Richtung Osten gewandt. Denn auch wenn die Beziehungen zu Russland nicht immer einfach waren und sind, verbindet Putin und Erdogan doch einiges, vor allem die anti-westliche Haltung.
Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die Türkei ihre Rolle als Vorzeige-Staat im Nahen Osten verspielt hat, sie gilt nun viel mehr als eine aufstrebende Regionalmacht, ein unzuverlässiges und unberechenbares Problemland. Aber trotz allem können und werden die internationalen Beziehungen der Türkei nicht abgebrochen werden: Dafür ist das Land geostrategisch von großer Bedeutung, ist ein zu großer Markt und eine viel zu große Masse an jungen Menschen.