Über kurz oder lang
Seit einigen Monaten begegnet man vermehrt dem Wort „Czechia“. Nach einer langen Diskussion ist nun von oberster Stelle geregelt, wie es heißen muss. Dennoch ist die Angelegenheit für die Allgemeinheit nebulöser denn je. Dieser Text bringt ein wenig Licht ins Dunkel.
Die Reaktionen auf den letzten Artikel waren unerwartet stark. Es erreichte mich gar ein Leserbrief, der berechtigte Kritik an bestimmten Ausführungen äußerte und Uneindeutigkeiten im Text kenntlich machte. Daraufhin sah ich mich gezwungen, diese Fakten richtigzustellen und in einer noch tiefergehenden Auseinandersetzung final zu klären, was es mit der Angelegenheit auf sich hat.
Die Diskussion über eine Kurzversion des Landesnamens „Česká republika“ wird nicht nur in Deutschland und Tschechien geführt, denn sie geht nach dem Eintrag in die UNO-Datenbanken die ganze englischsprachige Welt etwas an. Im Gegensatz zu Sprachen wie Deutsch oder Französisch ist im Englischen die Verwirrung (noch) groß, was man nun zu sagen hat. Die offizielle Kurzform „Czechia“ ist ab hinc offiziell die englische Kurzform des Landesnamens „the Czech Republic“. Diese Bezeichnung wird nicht ersetzt, sondern ergänzt und wird auf diplomatischer Ebene weiterhin Verwendung finden. Man möchte meinen, dass die Sache damit vom Tisch ist, doch ist der Schwall der Kritik, auf den man in der breiten Bevölkerung trifft, gewaltig, warum es nötig ist, ein bisschen weiter auszuholen.
Interessant ist, dass dieser Sache eine befremdliche Ambivalenz eigen ist. So sind es nicht primär die englischsprachigen Menschen, die sich gegen den Begriff „Czechia“ aussprechen. Viele kritische Stimmen kommen aus Tschechien selbst. Der Name spaltet das Land in zwei Lager. Es gibt Befürworter und Gegner. Letzteren Existenz verwunderte mich anfangs. Als ich im August 2016 eine englische Präsentation über Deutschland vorbereitete, dachte ich, ich ginge mit der Zeit, wenn ich „Czechia“ statt „Czech Republic“ auf den Folien verwende. Außerdem konnte ich so eine größere Schriftgröße wählen, da der Name weniger Platz braucht. Die Reaktionen waren eher mäßig. Ich hatte in ein Wespennest gestochen, was mir jedoch erst Wochen später klar wurde. Zuvor riet ich einer Freiwilligen noch, die Bezeichnung „Czechia“ zu benutzen. Das stellte sich als unkluger Schachzug heraus, denn von einem Museumskurator bekam sie folgende schriftliche Antwort: „Czechia is stupit version of name made by czech politics, clever people don't like it (...)“. Von da an sah ich davon ab, den Namen weiterhin zu verwenden, da die Reaktionen entweder neutral oder negativ, nie aber so positiv wie erhofft waren. Und schließlich möchte doch jeder zu den “clever people“ gehören, als Teil derer man allerdings „stupid“ richtig schreiben können sollte. In meiner Tätigkeit als Schulvolontär erfuhr ich aus erster Hand, wie Englisch in Tschechien gelehrt wird. Kam die Sprache auf Tschechien, wurde auch weiterhin von der „Czech Republic“ geredet. Wenn ich mir nicht sicher bin, ob mein Gesprächspartner vertraut mit dieser Diskussion ist, sage auch ich weiterhin „Czech Republic“. Denn der nun offizielle, kurze englische Landesname „Czechia“ führte bisher zu Verwirrung, da meine Gegenüber nicht wussten, von welchem Land ich sprach. Das ist schade, denn gerade in diesem Kontext würde man sich mit „Czechia“ erheblich leichter tun.
Seit 1993 tobt in Tschechien dieser sprachliche Konflikt. Allerdings muss man den Tschechen auch attestieren, dass sie einen besonders schwerer Fall sind. Die Franzosen können „France“ statt „République française“ sagen, wir Deutschen „Deutschland“ statt „Bundesrepublik Deutschland“. Das Territorium, das wir heute gemeinhin als Tschechien kennen, hat jedoch keine Kurzform a priori. Es ist ein Land, bestehend hauptsächlich aus Böhmen, jedoch im Osten auch noch aus Mähren und dem tschechischen Teil Schlesiens. Bereits die tschechische Kurzform „Česko“ sorgte für Schwierigkeiten, wurde jedoch mehr oder weniger zähneknirschend akzeptiert und ist im Gebrauch.
„Czechia“ war nicht die einzige Möglichkeit. Stattdessen waren zahlreiche andere Namen im Gespräch. So etwa „Czechlands“. Man habe sich am Beispiel der Niederlande orientiert, die auf Englisch „the Netherlands“ heißt. Doch es geht weiter, die Tschechen waren durchaus kreativ, als sie Namen wie „Czechomoravia“, „Czechovia“ und „Czechistan“ vorschlugen. Keine dieser Bezeichnungen konnte sich jedoch durchsetzen. Unerfreulicherweise ist die Bezeichnung „Czechoslovakia“ (Tschechoslowakei) zudem immer noch geläufiger, als man denkt. Im Jahre 2008 sagte der Präsidentschaftskandidat John McCain bei einer Wahlkampfveranstaltung in New Mexico folgendes: „And I regret some of the recent behavior that Russia has exhibited, and I’ll be glad to talk about that later on including reduction in oil supplies to Czechoslovakia after they agreed with us on a missile defense system, etcetera (...)“. McCain bezog sich auf ein Land, das schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr existierte. Nun darf man amerikanische Geographiekenntnisse nicht verallgemeinernd auf die ganze Welt und erst recht nicht Europa übertragen, wo heute kaum noch einer von der Tschechoslowakei spricht. Mir ist jedenfalls keiner bekannt. Jedoch zeigen Vorkommnisse wie diese, die keinesfalls Einzelfälle sind – George Stephanopoulos sagte zum Beispiel: „(...) by putting a missile defense system in Czechoslovakia, this was seen as belligerent and aggressive (...)?“ – , dass noch nicht auf der ganzen Welt bekannt zu sein scheint, dass es die Tschechoslowakei nicht mehr gibt. Das mag der fehlenden geopolitischen Relevanz Tschechiens geschuldet sein und erschwert in der Folge die Einführung neuer Bezeichnungen.
Aus all diesen Diskussionen ging schließlich der Name „Czechia“ als Favorit hervor. Er ist keine Bezeichnung ex nihilo, sondern wurde bereits im siebzehnten Jahrhundert gebraucht. Seine Popularität nahm zunehmend ab und er war lange Zeit kaum noch in Benutzung. Tschechien, wie wir es heute kennen, existiert außerdem erst seit dem Jahre 1993 und unterlag davor stetigem Wandel. Wie eingangs erwähnt, sind inkorrekte Namen ex nunc wie „Tschechoslowakei“ noch immer nicht vollständig aus den Köpfen und somit auch dem Sprachgebrauch verschwunden. Es wird noch einiger Jahre bedürfen, bis sich die neuen Begrifflichkeiten endgültig im Sprachgebrauch niederschlagen.
Die neue Kurzform wird nicht von allen unterstützt. Karla Šlechtová, Ministerin für Regionalentwicklung in Tschechien, findet, „Czechia“ klänge wie „Chechnya“, der englische Name für die autonome Republik Tschetschenien. Nicht ganz Unrecht hat sie, denn nach dem Anschlag beim Boston Marathon wurden im Internet plötzlich die Tschechen ungerechtfertigterweise aufs Übelste beschimpft. Die zwei Täter stammten aus Tschetschenien, nicht Tschechien. Das ging so weit, dass sich der tschechische Botschafter in den USA einschalten musste, um die Amerikaner darauf hinzuweisen, dass es einen Unterschied zwischen „Czechia“ und „Chechnya“ gibt. Man kann den Bildungsstand dieser Menschen zwar verurteilen, doch ändern kann man die Menschen nicht. Auch bei den langen Versionen beider Länder ist das keinesfalls besser. So berichtete ein tschechischer Diplomat der F.A.Z., dass er neben der Verwechslung von „Czech Republic“ (Tschechische Republik) mit „Chechen Republik“ (Tschetschenische Republik) auch erlebt habe, wie jemand „Chicken Republic“ (Hühnerrepublik) sagte. „Czechia“ ist somit nicht die einzige problematische Bezeichnung, sondern nur eine Abart der „Czech Republic“. Die Homophonie der beiden Republiken ist vergleichbar mit der von Slowenien und der Slowakei. Ärgerlich, wenn bei einem Fußballspiel neunzig Minuten lang die falsche Flagge angezeigt wird, aber eben unvermeidlich, solange keiner seinen Namen ändert und das geographische Wissen Außenstehender nicht ansteigt.
Der Politiker Zdeněk Lyčka äußert Kritik aus linguistischer Sicht. So heißt es in einem Artikel der Deutschen Welle: „Auch Zdenek Lycka räumt ein, dass “Czechia“ problematisch ist. Zum einen, da es mit zwei Buchstaben beginne, die slawischen Ursprungs seien und so im Englischen kaum vorkämen. Und zum anderen, weil es mit dem untypischen “ia“ aus dem Lateinischen ende. ‚Es ist ein seltsamer Anfang und ein seltsames Ende und dazwischen gibt es nicht viel‘.“ Die lateinische Endung ist nicht unbedingt das Problem, da auch andere englische Landesnamen so enden (zum Beispiel: Lithuania, Estonia und im Übrigen auch die historischen Länder Böhmen [Bohemia], Mähren [Moravia] und Schlesien [Silesia] selbst), sondern hauptsächlich die Aussprache des „ch“. Dieses wird nicht als „tsch“, sondern als „k“ ausgesprochen, wie es auch bei anderen englischen Wörtern wie „ache“ oder „stomach“ der Fall ist. Wobei dieser Vergleich etwas hinkt, da das Englische nun nicht gerade für seine konsequenten Phonetikregeln bekannt ist. Dass man „Czechia“ durchaus vermasseln kann, zeigt uns Christelle Koumoué von United News International in einem Videobeitrag. Wieder ist die Nähe zu „Chechnya“ (Tschetschenien) wohl Kern allen Übels, da man sowohl das erste als auch das zweite „ch“ in „Chechnya“ tatsächlich als „tsch“ ausspricht. Somit ist es Folge mangelnder Routine, dass die Wörter falsch ausgesprochen werden und im Falle von „Czechia“ die relative “Neuheit“ des Begriffs. Er ist zwar wie gesagt mehrere Jahrhunderte alt, war aber kaum in Benutzung, weshalb ihn heute lebende Briten gar nicht mehr kennen, sondern unter Umständen hinter ihm sogar einen Neologismus vermuten.
Noch bis zuletzt war „Czechia“ Streitthema der hohen Politik. Kein anderer als Präsident Miloš Zeman war es schließlich, der die Verwendung von „Czechia“ vorangetrieben hatte. Zeman ist ein politischer Sonderfall; er polarisiert wie kein anderer und ist nie um klare Worte verlegen. Der Einsatz der Bezeichnung „Czechia“ kann aufgrund der politischen Konnotation zu Assoziationen mit bestimmten Politikern oder der Regierung führen, was wohl im Falle des Museumskurators der Fall war. Es wird quasi vorausgesetzt, dass dem Gebrauch eine bestimmte Ideologie zugrunde liegt, was jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Während meiner Zeit in Tschechien (fast zehn Monate), habe ich unzählige Tschechen kennengelernt. Die Zahl geht vermutlich in die Hunderte. Unter ihnen fand sich bisher allerdings nur eine einzige, die „Czechia“ verwendete. Sie war eine politische Aktivistin und Frau eines einflussreichen Politikers aus der Nähe von Ostrau. Wenn also jemand politische Motive haben müsste, dann sie, dachte ich. Ich sprach sie darauf an und war umso überraschter über ihre Antwort. Sie sagte mir, dass sie „Czechia“ nur benutze, weil es kürzer sei und sie in ihrem Beruf dauernd damit zu tun hätte. Sie müsste es andauernd aufschreiben, aussprechen und spare sich folglich Tinte und Zeit, wenn sie „Czechia“ sage. Primär für diesen Zweck wurde „Czechia“ ja ins Leben gerufen. Dass es dennoch so selten verwendet wird, ist daher höchst verwunderlich.
Trotz der Entscheidung, dass „Czechia“ fortan die offizielle Kurzform sein soll, kann keineswegs von Konsens die Rede sein. Erst am 01. Juni 2017 veranstaltete die geographische Abteilung der wissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität Prag eine Konferenz, die zum Thema hatte, zu erörtern, inwiefern die Rezeption des Namens „Czechia“ bisher erfolgreich war.
Diese ganze Sache wäre auch bestimmt nicht so groß geworden, wäre Tschechien sportlich nicht so erfolgreich. Bei internationalen Wettkämpfen muss ein tschechisches Trikot getragen werden und hier fangen die Probleme auch schon an. Normalerweise kommt der Landesname auf das Trikot. Nicht nur die Länge des Namens „Czech Republic“ irritiert, es ist auch unbequem zu sagen. Es klingt nicht plakativ, sondern langatmig, kompliziert, veraltet. Deshalb kamen die Tschechen auf die Idee, bei Olympia und Weltmeisterschaften stattdessen auf die Bezeichnung „Czech Team“ (Tschechische Mannschaft) zu setzen. Manchmal ist auch das noch zu lang und man schreibt nur noch „Czech“ (tschechisch). Dieses Adjektiv kann auch die Sprache bezeichnen, ist jedoch keine erlaubte oder etablierte Variante des Landesnamens.
Puristen blicken angsterfüllt auf eine Entwicklung, die im Begriff ist, genau das zu ändern. Das Wort „Czech“ darf nur als Adjektiv dienen oder die Sprache bezeichnen. Jedoch nicht als Ersatz für „Czech Republic“, „Czechia“ oder wie auch immer man das Land schlussendlich nennen möchte, herhalten. Trotzdem passiert genau das. Zuerst bezieht man sich auf die tschechische Sprache, indem man etwa fragt: „What is the shortest word in Czech?“. Später verschmilzt die Semantik der Wörter „Czech Republic“ und „Czech“, ohne dass sich die Syntax ändert. Soll heißen man ersetzt den Landesnamen durch das Wort, das die Sprache beschreibt und adjektivisch Verwendung findet. Zum Beispiel sagen Leute: „For how long have you been in Czech?“ Das ist grammatikalisch selbstverständlich falsch, hält aber keinen davon ab, es trotzdem zu sagen. Man sollte nicht versuchen, sich über die Grammatikregeln hinwegzusetzen, um einen neuen Namen zu erhalten. Das wurde schon einmal gemacht und hat am Ende auch nichts gebracht. Dazu mehr im nächsten Text.
Als nach der Gründung Tschechiens am ersten Januar 1993 die Suche nach einer Kurzform und ihren Entsprechungen in anderen Sprachen begann, war sich wohl keiner der Beteiligten darüber im Klaren, dass man sich vierundzwanzig Jahre später immer noch nicht einig sein wird, was man nun sagt. Die einen sagen „Czech Republic“, die anderen „Czechia“, mancher gar nur „Czech“ und bei Sportveranstaltungen fragt sich jeder, was denn dieses „Czech Team“ nun wieder soll.
Resultierend aus dem Eintrag in die Datenbanken der UNO ergab sich eine neue ISO-Norm. Der Standard „ISO 3166“ war geboren. Auf ihn berufen sich offizielle wie inoffizielle Stellen, so etwa das Auswärtige Amt, aber auch der Kartendienst Google Maps. Die englische Beschriftung lautet folglich „Czechia“ für das tschechische Staatsgebiet. Diese Stringenz wird durchgezogen, um so ein ebenmäßiges Endresultat zu erhalten und den Begriff zunehmend im Sprachgebrauch zu verankern. Der Unterschied zu früher ist, dass „Czechia“ zur offiziellen Kurzform gekürt wurde. Die Politik steht also in der Pflicht, den Gebrauch der Bezeichnung voranzutreiben. Die fehlende Einigkeit führte jedoch dazu, dass nicht alle Politiker dieser Pflicht auch nachgekommen sind.
Der wichtigste Faktor, den es zu beherzigen gilt, ist die Zeit. Die Bezeichnung „Czechia“ hat sich noch nicht etabliert, nur weil sie jetzt im Namensverzeichnis der UNO steht. Man muss den Leuten – tschechisch- wie englischsprachig – Zeit geben, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Im Moment sind die proklamierten Vorteile wie Einfachheit und Verständnis nicht in voller Form gegeben, da „Czechia“ in statu nascendi noch keine ausreichend hohe Bekanntheit erreicht hat, um es im Alltag anstelle von „Czech Republic“ einzusetzen. Außerdem ist die Präsenz Tschechiens in den englischen Medien Voraussetzung für den Übergang der Bezeichnung „Czechia“ in den allgemeinen Sprachgebrauch. Es muss noch ein wenig Zeit vergehen, bis Fortschritte sichtbar werden. Wenn wir weniger als ein Jahr nach der Eintragung ins Register schon feststellen möchten, ob es eine weise oder törichte Entscheidung war, urteilen wir vorschnell. Sowohl überschwängliches Lob als auch überbordende Beanstandung sind folglich unangebracht. Man sollte abwarten und sehen, was die Zukunft bringt.