Über ein kleines Mädchen mit großem Herz
Eine komplementäre Freundschaft
Gergana ist ein kleines, zierliches, aber selbstbewusstes Mädchen, 16 Jahre alt. In der Schule lernt sie deutsch. „Say something in Bulgarian!“ ruft sie und springt aufgeregt auf und ab. Ich lache und mache sie nach. „Mitnitscheska Prowerka!“ (=Passkontrolle) schieße ich los. Mit so einem komplizierten Wort hat sie nicht gerechnet und kichert los. „Ichr chreiße Gergana, bin sechsehn Jahre und lebe in Bulgaria. Meine Chrobbys sind Buchr lesen, Essen, Freunde treffen und Fahrrrad.“ Dabei spricht sie jedes „ch“ „chr“ aus, sodass ihr deutsch ziemlich bulgarisch klingt.
Wenn ich erkältet bin hilft sie mir Medikamente zu kaufen. „You take one tea now and one tea in the evening. And go to bed early!“ Ja Mama! Mit 16 Jahren ist meine neue Mutter ziemlich jung. Wenn ich in den falschen Bus steige und mich verlaufe sucht sie mir den richtigen Bus raus. Wenn ich im Dunkeln joggen gehe und unter einer Brücke in ein Loch falle hilft sie mir am nächsten Tag Desinfektionsmittel und Pflaster zu kaufen. Als ich ein paar Tage nach Istanbul verreise gießt sie meine Pflanzen. Da ich keinen Sprachkurs bekomme bringt sie mir Überlebenskenntnisse bei. „What else do you want to know? Isgubich se – I’m lost. Studeno mi e – I am cold.” Ich führe brav meine Vokabelliste. “Pribiram se – I’m coming Home”. “Drugiram se?” “No! That says I take drugs!” Ab sofort ein Running Gag. An einem Wochenende bringt sie mir sogar bei, wie man ihr Lieblingsgericht Musaka kocht.
Gergana zeigt mir ihren geheimen Ort: Wenn man durch eine Lücke zwischen den Häusern der Fußgängerzone schlüpft findet man ein paar Bäume und morsche Holzdielen, die zum Teil schon durchgefault sind. Hier geht sie mit Freunden zum Rauchen hin. Mit 16 Jahren macht man das hier besser nicht in der Öffentlichkeit. Ich versuche sie davon zu überzeugen, dass es eine schlechte Idee ist. Keine Chance. Sie braucht es um sich zu beruhigen, um mit ihren Ängsten, die sie mir anvertraut umzugehen.
„I don’t want to live in Bulgaria! I want to live in Germany!” Mit dieser Einstellung ist sie hier nicht die Einzige. So denkt fast jeder junge Mensch in Bulgarien. Das bulgarische Volk ist eine schrumpfende Bevölkerung. Ich versuche ihr zu erklären, dass in Deutschland auch nicht alles so toll ist und dass Bulgarien schließlich ein schönes Land sei. “I know that Bulgaria is beautiful! But we have a bad government and you can’t find a good job!“. Irgendwann gehen mir die Argumente aus. Am Ende bleibt mir nur ein einziges: Dein Land braucht dich.
Schnell merke ich, dass Gergana anders tickt. Sie ist die erste - und aktuell auch einzige – die ich kenne, die Menschen auf der Straße grüßt. Oder alten Menschen über die Straße hilft. „Bulgarians are mean! They are only nice to you because you are from Germany and they like that you are different. But to other Bulgarians they are mean!” Als Freiwillige hilft sie traditionell bulgarisches Essen auf der Straße zu verkaufen, der Erlös wird an Bedürftige gespendet. Oder sie hilft als Freiwillige auf Sportevents, die den starken Bewegungsmangel in Bulgarien bekämpfen sollen. Dort habe ich sie kennen gelernt. Ich erinnere mich genau daran, wie sie ihr übergroßes orangenenes T-Shirt hochgekrempelt und mit einem Knoten fixiert hat um nicht darin zu versinken. Auch für mich ist sie eine kleine Retterin in der Not.
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