Treibgut
Schöne Steine, Muscheln. Das Treibgut, dass man am Meer aufsammelt. Genauso geht es mit den Menschen und Orten, die im Leben auftauchen und wieder verschwinden - aber immer etwas hinterlassen.
Am Meer findet man eine Menge davon. Steine in allen Formen und Farben, glatt geschliffene Glasscherben, große und kleine Muscheln, tote Seesterne, Quallen, die die Flut zurückgelassen hat...
Es gibt keinen Tag, an dem ich ans Meer gehe und nichts von dort mitnehme, vom Treibgut. Jedes Mal ist mindestens ein Stein in meiner Tasche, vielleicht wegen seiner besonderen Farbe oder Form, manchmal ist es auch eine Muschel oder ein Stück Holz, irgendetwas, das ich nicht liegen lassen kann.
So ist es auch mit den Menschen, denen ich begegne. Sie kommen und gehen wie Flut und Ebbe, aber von jedem nehme ich etwas mit, für die Kiste in meinem Zimmer, die Kiste mit dem Treibgut meines Lebens.
Steine, Muscheln, Fotos, Briefe, Skizzen, Eintrittskarten, Münzen aus anderen Ländern, alles Erinnerungen an Orte und Menschen, die irgendwann vom Meer der Zeit in mein Leben gespült wurden. Einige sind noch da, andere wurden beim Einsetzen der Ebbe wieder von meinem Strand fort getragen. Aber geblieben ist von jedem etwas, irgendetwas, das zu schwer war, vielleicht getränkt von schönen Erinnerungen, Zuneigung, Nähe und Freundschaft, und deshalb liegen blieb, in meinem Leben.
Manchmal macht es mich traurig, wenn ich die Kiste öffne, dann möchte ich nicht die Erinnerungen, sondern die Menschen zurück in mein Leben holen, zurückkehren an die Orte, die ich hinter mir gelassen habe. Unbeschwerte Tage noch einmal erleben, das Lachen einer Freundin hören, eine Straße entlang gehen, den Geruch einer Stadt einatmen.
Aber manchmal hat diese Kiste auch ihren ganz eigenen Zauber. Dann verstehe ich, dass jeder Mensch und jeder Ort eine ganz bestimmte Zeit in meinem Leben hat, manche länger, manche kürzer, aber jeder genauso, wie es für ihn sein musste.
Ebbe und Flut kann ich nicht aufhalten, die Zeit kann ich nicht anhalten oder zurückdrehen, aber ich sammle das Treibgut, das die Zeit an meinen Strand spült.
Commentaren