Transsylvanien – Tiraspol: kulturpolitisches Kontrastprogramm
Wer im Atlas Moldawien finden will, muss ganz genau hinschauen. Eingekesselt zwischen Rumänien und der Ukraine liegt das kleine Land, mit dem man flächenmäßig zweimal Bayern füllen könnte und welches trotzdem ganze Welten beinhaltet.
Circa 120 Kilometer Landstraße trennen Chişinău von der rumänischen Grenze. Die erste große Stadt hinter der Grenze ist Iaşi, 130 Kilometer von Chişinău. Doch Entfernung ist hier kein Maßstab. Kurzum nach 4 ½ Stunden Fahrt und einer knappen Stunde Grenzkontrolle, hatte mein sehr komfortabler Reisebus die erste Etappe in Richtung meines Endzieles Kronstadt (rumänisch Braşov) erreicht. Weitere fünf Stunden und 270 Kilometer später stieg ich am Busbahnhof Gara Internationala 2 aus und wurde gleich am frühen Freitagmorgen von einem guten Freund in ein Taxi begleitet. Dieser wohnt bei seinen Großeltern in Kronstadt und arbeitet dort als Freiwilliger in einer Nachmittagsbetreuung. Nach einem erholsamen Schlaf starteten wir unser Wochenende durch die wunderschöne Stadt inmitten der Karpaten, das zugleich eine Erkundungstour durch das rumänische Essen werden sollte. So viel sei gesagt: Großmütter kochen am besten (obwohl das schon als Allgemeinwissen gelten darf) und wer auch immer nach Siebenbürgen kommt, muss dort Ciocolata de Casa probieren. Neben dem kulinarischen Genuss wurde auf dem Gipfel der Poiana Braşov auch das Auge mit wunderschöner Berglandschaft belohnt. Selbst das eher maue Fußballspiel des FC Braşov, das wir am Samstag besuchten, wurde durch den Sonnenuntergang hinter den Karpaten entscheidend aufgewertet. Und so traten wir beide zusammen montags mit vielen Eindrücken im Gepäck die lange Reise zurück nach Chişinău an. Nach vier russisch synchronisierten Filmen und der Erkenntnis, dass eine französische Liebesgeschichte auf russisch mehr amüsant als kitschig ist, kamen wir in meiner derzeitigen Heimatstadt an. Die nächsten Tage besuchte ich mein Projekt und versuchte in den knappen restlichen Tagesstunden die Highlights der Stadt so gut wie möglich zu zeigen. Chişinău macht es aber jedem Touristen, der nur wenig Zeit für Sightseeing hat, sehr einfach.
Um mehr vom Land zu sehen, wollten wir gemeinsam auch eine kleine Reise in die Vergangenheit machen. Wo sonst bekommt man außerhalb von Science-Fiction-Filmen und Mittelalterfestivals dazu denn auch die Möglichkeit. Viel braucht man eigentlich nicht – einen Reisepass, ein wenig Russischkenntnisse und ein bisschen Risikobereitschaft (das bezieht sich kaum auf die Grenzkontrollen, sondern viel mehr auf die stets waghalsigen Fahrmanöver der Busfahrer) und schon findet man sich im Jahre 1989 oder früher wieder. Die Karl-Liebknecht-Straße, die Leninstatue, die Grenzbeamten, die Paradeplätze, Hammer und Sichel auf jedem Schein und jeder Münze, die Werbung und vor allem die ganze Atmosphäre – irgendwie bedrückend. Tiraspol, die Hauptstadt des autonomen Gebietes Transnistriens (russisch Pridnestrowje), fasziniert, wenn gleich man beinahe froh ist das „Land“ nach zehn Stunden Aufenthalt wieder verlassen zu müssen. Der größte, wenn nicht einzige Unterschied, zur ehemaligen Sowjetunion ist, dass man in den Supermärkten des Unternehmens „Sheriff“, das hier in allen, aber wirklich allen Bereichen absolutes Monopol besitzt, sogar Produkte kaufen kann. Nie kam mir Chişinău so mondän, modern und offen vor wie am Abend unserer Rückkehr.
Nach einem Besuch des Fußballländerspiels Moldawien gegen Liechtenstein, das zumindest einem Team ein rauschendes Fest bereitete, verabschiedete sich mein Schulfreund wieder nach Rumänien, das sich noch am selben Tag mit der Wahl des nationalliberalen Klaus Iohannis deutlich zu Europa bekannte. Nicht uninteressant auch für die Wahl in Moldawien in knapp zwei Wochen, versuchen die Politiker des Landes doch gerade noch die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Wer dieses Tauziehen gewinnt, entscheidet sich am 30. November. Die Ziehrichtungen nach Ost oder West könnten aber kaum klarer sein – ein Land stellt die Identitätsfrage.