Through the Veil
Während der Beginn des Abenteuers "England" näher rückt, versuche ich das Chaos der letzten Vorbereitungen, dem Rest meines Freiwilligen sozialen Jahrs, und meines psychischen Zustandes irgendwie zu ordnen.
Sechsundzwanzig Tage, acht Stunden, und fünfundzwanzig Minuten.
Dann geht der Flug.
So nah, doch so fern. Jeder fragt mich, ob ich denn schon nervös bin, ob ich Angst habe, ob ich im Reisefieber bin - aber im Moment fühle ich nichts, oder nicht viel. Nicht im Bezug auf den Flug, oder den Ankunft in London, oder das Arrival-Seminar.
Viel mehr bin ich damit beschäftigt, dass ich meine ärztliche Bescheinigung nach ans DRK schicken, die Rail Card beantragen, die wichtigsten Dinge zusammen suchen, eine Packliste schreiben, eine Adapter kaufen, meinen zukünftigen Mitbewohner kontaktieren, einen Koffer finden, und die Koordinatorin vom BRC anschreiben muss.
Alles innerhalb von sechsundzwanzig Tagen, acht Stunden, und einundzwanzig Minuten.
Ich bin ein Chaot.
Ich kann planen, sicher, aber es scheitert am sich an die Pläne halten. Aufschieben ist mein zweiter Name, und dadurch kreiere ich Stress, der nicht nötig ist. Lerne ich aus meinen Fehlern? - Nö.
Und dann, offensichtlich, als wäre es nicht genug, entscheiden sich meine Depressionen mir einen unangekündigten - und definitv unerwünschten - Besuch abzustatten. Schon seit Monaten sehe ich ihre dunklen, unscharfen Schemen am Rande meines Sichtfeldes, spüre die Kälte wie einen Angstschauer, das beklemmende Gefühl, die Müdigkeit und Erschöpfung. Aber, seit Monaten, flüstert sie mir zu, dass ich mir das alles nur einbilde, dass es nicht so schlimm ist.
Und jetzt, sechsundzwanzig Tage, acht Stunden, und sechzehn Minuten vor meinem Abflug muss ich mich auch noch um sie kümmern. Siebzehn Tage meines FSJs sind noch übrig, und ich bin schon die zweite Woche krank geschrieben. Meine Hausärztin hat mir klar gesagt, dass ich diese Woche nutzen soll, um meine Psychologin zu sehen - gut, dass ich sowieso schon einen Termin habe.
Sie hat auch gesagt, dass es meine eigene Entscheidung ist, ob ich trotz meines momentanen Zustandes nach England will - und natürlich will ich das. Zum einen ist es mein größter Wunsch, ein Traum, der in Erfüllung geht. Zum anderen wäre es sehr, sehr kurzfristig mich jetzt noch abzumelden. Also werde ich der EVS-Koordinatorin vom Britischen Roten Kreuz schreiben und klären müssen, wie es mit psychologischer Unterstützung in England aussieht, eventuell sogar Therapie.
Ich hatte gedacht, ich würde es auch so schaffen, aber jetzt weiß ich, dass ich von Tag 1 an einen Ansprechpartner brauchen werde. Es ist auf jeden Fall eine Erleichterung zu wissen, dass mein Freund nur circa 1,5 Stunden von meinem zuküftigen Wohnort entfernt lebt, aber auf dauer wird das nicht reichen.
Und wenn ich dann sowieso schon mal dabei bin, die ärztlichen Dinge zu klären, kann ich mich ja auch direkt nach Neurologen erkundigen - bevor ich das dann in England auch wieder bis zur letzten Minute aufschiebe.
Also, obwohl ich diese Woche zur Erholung nutzen sollte, habe ich keine andere Wahl als mich auch um die wichtigen Dinge zu kümmern, ich kann nicht anfangen, mich auf England vorzubereiten, wenn ich nur noch eine Woche Zeit habe.
Na ja, ich könnte - aber das wäre eine absolut idiotische Idee.
Hört sich also zumindest zu neunundneunzig Prozent nach etwas an, das ich tun würde.
Mögen die Götter mir Kraft - und Verstand - geben, damit ich überhaupt bis zum Abflug überlebe.