The island in the sun
Die Bewohner des gelben Hauses im irischen Cork sind irritiert: Zoe läuft dauernd aus dem Haus. Ihr seltsames Verhalten hat einen simplen Grund: Sie muss sich ständig vergewissern, dass sie nicht träumt.
Mein Gott was für eine Reise! Was man alles in nur 24 Stunden machen kann, ist doch ehrlich ganz schön verwunderlich. Ich war gerade morgens noch im Ledderhoser Weg und dann sitzt man irgendwo nordöstlich vom Buckingham Palast und wartet, dass die Nacht vorbeigeht. Das ist vielleicht spannend und ich hab’s mir tatsächlich nach dem Terrorgekramse etwas anders, irgendwie belebter vorgestellt. Es war trotzdem viel Polizei in voller Montur unterwegs.
Da wird auch schon mein Flug angezeigt nach Cork um 6.10 Uhr. Wenn das nicht nett ist. Sind ja auch nur noch knappe fünf Stunden, dann sitzt man wieder im mollig warmen Flugzeug und wartet, dass man endlich raus darf. Dummerweise musste man nicht nur das Handgepäck einchecken, sondern aus Sicherheitsgründen wurde auch die Heizung vorläufig durch einen Kühlschrank ersetzt.
Ein Schild mit meinem Namen. Wie das mit dem Gepäck jetzt wird ist auch spannend, find ich. Dass die Gitarre nicht mitreisen durfte, fand sie bestimmt auch nicht so toll. So viele fremde Menschen, so viele verschiedene Gesichter und der kleine englische Junge fragt mich, ob alles okay ist, als ich tränenüberströmt neben ihm sitze.
Das Fliegen war gar nicht so schlimm wie ich erwartet habe, aber da gab’s ja auch ein Glasröllchen feinstes Silbernitrat Globolis und Blüten vom Bach. Welcome to London! Wann wachen denn die Flughäfen so im Durchschnitt auf? Ich dachte eigentlich, die würden nie schlafen, da hab ich mich wohl geirrt...
Wie eine Riesen-Jugendherberge in einem Raum. Dann total müde weiter nach Skibereen, um einzukaufen und torkelnd feststellend, dass es in Irland ja auch Nutella und sogar Vollkornbrot gibt. Auf der Fähre fallen mir dann langsam die Augen zu, obwohl es doch so viel zu sehen gäbe, aber es ist ja noch viel Zeit. Angel holte mich am Hafen ab und dann bin ich erst mal ins Bett gefallen.
Die nächsten Tage waren voller Sonne und vieler fremder Namen und Gesichter, die ich mir nicht alle merken konnte. Das mit den Adaptern war so ’ne Sache: Da ich aber die Steckdose mittlerweile mit einem Streichholz präpariert habe und ich mit kaum Gewalt den Stecker irgendwie in diese ver*** Mistdinger reinprügelte, geht auch der Labtop und ich kann zumindest mal ein Bisschen was schreiben und hoffentlich morgen dann abschicken.
Im Bücherei-Container. Hier bin ich also gelandet. Cape Clear Island. Wohl einer der schönsten Plätze dieser Erde. Unfassbar...unfasslich?! Hehe. Die Insel ist wesentlich größer als ich dachte und sowieso ist alles auch wesentlich belebter als ich erwartet hatte. Ein Geschäft mit allem, was man zum Leben braucht: Chocolate Chips Muffins und the Irish Times. Und wunderbarer Kaffee mit Rosinenbrötchen, den uns ein freundlicher Ire am Samstag ausgab. Dann saßen wir einige Stunden in der Sonne am Northharbour und plauderten.
Wie einfach man reinkommt und wie schnell vor allem, hätte ich nicht gedacht. Es wird einem auch echt nicht schwer gemacht. Irgendwann hab ich zu Angel gesagt: „Ach wie toll wäre es, hier zu leben!“ und er schaute mich an und sage: „Ähm, du lebst doch hier.“ Ich: „Ähm, ja stimmt. Verdammt, vergessen!“ Soviel dazu.
Momentan sitze ich nicht auf der Mauer vor unserem Haus in der Sonne, wo ich die letzten drei Tage öfter mal mich aufhielt, um zu schreiben oder zu lesen, sondern etwa sieben Meter dahinter und vielleicht einen halben Meter höher. Hinter einer Glasscheibe, die Auswirkungen des Sonnenuntergangs betrachtend. Wow! Man sieht das Meer. Das Festland dahinter. Unten prasselt das Feuer gelangweilt vor sich hin und weil es wohl zu wenig Aufmerksamkeit kriegt, qualmt es netterweise die Küche zu. Aber wen stört das, wenn man im noch nicht beheizten Zimmer mit wunderschönem roten Holzfußboden und grünen Leisten und Coldplay in den Ohren am Fenster sitzen kann und neben sich einen warmen Kakao (zur Abwechslung mal Kakao, sonst ist der Honig morgen wohl leer ;-)).
Geht man zur Tür, lassen Einen die Sportfreunde meistens passieren, wenn man mit einem freundlichen Lächeln den Wegzoll bezahlt, die grüne Treppe nach unten. Ein großer Tisch und eine neu eingerichtete Küche. Es riecht noch total neu alles. Das Bad ist auch noch kalt und die Dusche funktioniert noch nicht. Aber bestimmt bald und bis dahin geht man ins Nachbarhaus duschen, aber nicht vergessen, was zum Lesen mitzunehmen, denn die Dusche braucht eine halbe Stunde zum warm werden, oder man telefoniert eben in dieser Zeit, denn bis jetzt gibt es auch nur in dem gelben Haus ein Telefon. Mal sehen, wann sich das ändert.
Alles ein Bisschen chaotisch und unordentlich. Eigentlich ist es echt lustig. Meine Projektleiterin Brid ist auch total verrafft und vergesslich. Ich glaube, dass ich hier schon richtig bin. Wie auch immer. Heute war der erste Tag mit Regen. Toller Regen. Ich bin zur Post gelaufen. Zumindest hatte ich das vor, denn freundlicherweise wurde ich ein Stück von Marry mitgenommen, meiner Mentorin. Das ist hier so üblich, denn es gibt echt ein paar sehr steile Wegstücke. Deswegen verzichtet man auch auf den Vorteil eines Fahrrads, denn man müsste eh mehr als die Hälfte schieben (ist natürlich Quatsch, ist nur die Hälfte ;) ) und nur ein paar Mutige oder wohl eher naive Touris versuchen sich an den Bergen.
Dann hält ein Auto neben Dir und fragt: „Do you want a lift?“ Das kann man dann ja auch schlecht ablehnen. Aber das Tolle am Laufen ist nicht nur, dass man läuft und nass wird. Das Tollste sind die Brombeerhecken neben der Straße, deren schwarzen Früchte man nicht entkommen kann. Und so braucht man stets etwas länger zum Laufen, wenn man ständig im Zick-Zack geht und anhält und dabei bestimmt auch nicht in die Seitengräben fällt. Nach links geht es den steilsten Berg runter zum Southharbour, einer sehr idyllischen Bucht, an der auch der Campingplatz liegt und von da aus kann man nach Festnet zum neuen Leuchtturm schauen.
Das weite offene Meer. Ist unglaublich beruhigend bisher. Ich war schon lang nicht mehr so ruhig irgendwie. Gestern machten wir eine Abendspazierwanderung auf den höchsten Punkt der Insel. Panorama View. „The end of the world“ ständig im Kopf. Sowieso sind die Sonnenuntergänge das Unglaublichste. So was Schönes hab ich selten gesehen, na ja vielleicht sind das generell die Sonnenuntergänge am Meer. Aber wenn man die jeden Tag haben kann und trotzdem jedes Mal hin und weg ist.
Sowieso glaube ich, dass gewisse Menschen total ausflippen, wenn sie das Ganze mal sehen. Im Herbst soll es echt schön sein hier. Flip. Vor dem Haus ein wunderschöner lila Hortensienbusch und überall Fuchsien und irgendwelche orangerote Blumen, deren Namen ich noch nicht kenne.
Angel hört meine Musik und gestern hab ich ihm was von den Helden vorgesungen und danach gab es Pfannkuchen. Also ich muss schon auch manchmal noch schnell raus rennen, um mich zu vergewissern, ob ich wirklich hier bin. Die Erinnerungssplitter auf dem Boden, hübsch verteilt. Über dem Bett startet ein neues Mosaik. Mit ein paar Sachen, die schon mal Basis waren. Quint Buchholz über der Kommode und unten an der Badtür der Wanderer über dem Nebelmeer. Sogar das Heldenposter über dem Kühlschrank und ein weiterer Buchholz über dem Kamin. Wer kann, schickt mir bitte seinen Lieblingsfilm auf DVD.
Übrigens ist meine Gerolsteinerflasche irgendwie auf dem Weg von London nach Cork verloren gegangen, genauso wie die Butterkekese, aber an Keksen mangelt es hier nicht, im Gegenteil, irgendwie krieg ich ständig welche geschenkt. Hab’ ich vielleicht ein Schild um den Hals hängen: „Please insert biscuits here.“ Wer weiß… Und man isst ständig Schokolade.
Was meine Arbeit betrifft, muss erstmal das gelbe Haus aufgeräumt werden, da die Summer-School-Schüler nicht sonderlich vorsichtig waren und das nicht getan haben. Nicht so geschickt geplant, aber was soll’s. Da reißt der Himmel auf und ein zartes Aprikot ist hinter den Windrädern zu erkennen.
Die Sprache ist soweit kein Problem, geht alles bisher besser als ich dachte. Ich schlafe sogar fast gut. Nur ein Bisschen kalt überall. Aber ich hab ja das schwarze Fließ und da ist sogar ein M drauf.
Noch was zu dem Thema. Gestern, als wir am Herumkrakseln waren, stand ich plötzlich vor etwas, das ungefähr so groß war wie ich und mir unheimlich bekannt vorkam. Da musste ich ziemlich lachen und Angel hat nicht ganz verstanden, was denn an einem Eukalyptusbaum so lustig sein soll. Das ist alles kein Zufall.
Wie toll warme Duschen sein können, kann man auch erfahren, wenn der Regen den ganzen Tag still in der Luft zu stehen scheint. Aber das war toll. Wenn man eine knallrote und sicher auch beim Schwimmen wasserfeste Jacke besitzt. So richtig versteht man das ganze Ausmaß und die ganze Entfernung erst, wenn man auf der Wetterkarte fremde Umrisse von Landabschnitten sieht und nicht den unterschied zwischen Mist und Fog kennt.
Ich habe die Boxen vom Fernseher, der übrigens nicht funktioniert, geklaut und kann jetzt in meinem Zimmer Musik hören. Ein Luxus, mit dem ich gar nicht gerechnet hätte so bald. Jetzt ist es fast wie zu Hause, fehlt nur noch W-LAN, aber das ist wohl eher unrealistisch. Was für tolle Sachen Ihr mir mitgegeben und geschrieben habt. Wow, danke! Wirklich. Ich lese immer nur ein ganz kleines Stück und hab noch nicht alle Briefe aufgemacht.
Diese Insel ist übrigens ein Katzenparadies, frei lebende und arme ahnungslose Vögelchen werden ermordet, was sämtliche Vogelbeobachter annervt. Mein Wecker geht falsch. Ich habe ihn zwar eingestellt, aber das ist so ein Funkding und stellt sich ständig auf deutsche Zeit ein, so dass ich immer zurück rechnen muss, was beim Weckerstellen gar nicht so einfach ist.
Eigentlich bin ich in keinster Weise eingeschränkt bis auf die Sache mit dem Internet, aber das wird auch noch gehen und wenn dem wirklich so sein sollte, dass wir den Winter über hier bleiben. Sogar Eis in Massen gibt es hier. Wer hätte das gedacht. Dreht mal eine Runde auf dem Jahrmarkt für mich und Ihr wisst ja: die gebrannten Mandeln und so...
Cape Clear. Wegen der Adresse: Da braucht ihr nicht Brids Namen mehr drauf zu schreiben, denn ich habe heute mit dem Postofficer gesprochen und jetzt weiß er, wo ich wohne und kann mir die Post direkt nach Hause bringen. Das ist doch ein Service. Unfassbar. Es gibt auch mehr Fähren als zwei am Tag, im übrigen nämlich vier. Das ist doch was. Trotzdem, die ganze Musik in so einem anderen Kontext. Strange. Bald mal mehr und ich freu mich über Post und am Besten solche, die man in den Händen halten kann, weil ich bisher wohl wenig im Internet sein kann.
Liebe Grüße von der grünen Insel und sowieso, see you soon,
SONIA