Tag 128 oder doch Tag 15?
Nach 128 Tagen entscheide ich mich dann doch dazu einen Blog zu schreiben, mehr für mich, als eine zusäzliche Erinnerung, als für andere.
Wie der Titel bereits aussagt ist es 128 Tage her dass ich am 07.September meine Heimat hinter mir gelassen habe um in Budapest in einem EVS Projekt zu arbeiten. In den 128 Tagen ist viel mehr passiert als ich es in einem Blogpost, geschweige denn in 10, zusammenfassen könnte. Der Anfang fiel schwer, sehr sogar. Bei zahlreichen Verabschiedungen fiel mir dann doch plötzlich auf was oder viel mehr wen ich jetzt lange Zeit nicht sehen werde. Bei jedem "pass auf dich auf" musste ich ein paar Krokodilstränen unterdrücken, bei jedem "in einem Jahr kann so viel passieren" zweimal schlucken und zwar lautstark zustimmen, innerlich jedoch darauf hoffen das es nicht so ist. Das erste Seminar von 10 Tagen passte mir gar nicht in meine Planung, ich wollte doch nunmal endlich dort ankommen wo ich letztendlich wohnen würde. Meinen viel zu großen Koffer auspacken und schnellstmöglich in den Alltag finden. Da machte mir die Organisation der Ungarn aber einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Nach drei Umzügen kam ich dann gut einen Monat nach meiner Ankunft in die Wohnung die mein Zuhause werden würde. Ärgerlich an der ganzen Sache- sie bestand zu dem Zeitpunkt aus einem Bett und einem Schreibtisch. Mehr nicht. Keine Küche. Kein Kühlschrank. Kein Kleiderschrank. Nicht einmal Tassen oder ähnliches, wäre ja ohnehin sinnlos gewesen so komplett ohne Möglichkeit überhaupt Essen zuzubereiten.
Seit mitte November bin ich die überglückliche Besitzerin einer Kochmöglichkeit und eines Kühlschrankes. Jedes mal wenn ich gefragt werde was ich denn bitte bis dahin gegessen hätte, ich weiß es nicht. Man gewöhnt sich an alle Umstände, eines der ersten Dinge die ich in Ungarn gelernt habe. So viel zum Anfang, 128 Tage bestehen ja aber zum Glück nicht nur aus Anfang. Zwischen den 7.September und heute liegen nicht nur einige schwere Tage sondern auch viele, viele Tage und vorallem Menschen die ich nicht mehr missen wollen würde. Beeindruckende Persönlichkeiten die einem einen anderen Blickwinkel auf alltägliche Dinge gewähren. Zum einen wäre da Àgi nèni, eine 93-jährige Holocaustüberlebene. Sie hat Dinge überlebt bei denen einen wirklich schlecht wird. Ihre Geschichte von der Boshaftigkeit der Menschheit, vom Durchhalten und vom Überleben, von der Liebe und vom Verlieren macht es nur noch verwunderlicher mit welcher Offenherzigkeit sie auf Fremde zugeht. Wie sie nachdem sie über ihre Vergangenheit erzählt hat und merkt, wie sehr mich das mitnimmt mir mit strahlenden Augen ihre neuen Blumen präsentiert. Wie sie, die mit 28 kg Körpergewicht und 41 Grad Fieber Zwangsarbeiterin bei Daimler war, immer davon spricht sie würde mit ihrem Mercedes kommen und damit ihr Rollator gemeint ist an dem ein Mercedes Stern vor sich hinbaumelt. Zu dieser beeindruckenden Frau wird aber noch ein seperater Post folgen.
Oder Elemèr, ein Mann der durch einen Unfall schwerst behindert ist. Zugegebenerweise die Aufgabe vor der ich mich am Anfang am meisten gescheut habe. Umso überraschter war ich dann dass der Mann der in einem Moment von dem was um ihn geschieht kaum was versteht mir im nächsten sagt, wie viele Einwohner welche deutsche Stadt hat, wie weit sie auseinander liegen und jegliche geschichtliche Info auswendig kann die während meiner Schulzeit nicht mal ansatzweise bei mir hängen geblieben ist. Zum dritten wäre da noch Frau Muskowsky, auch eine sehr beeindruckende Dame des fortgeschrittenen alters (mitte 80), welche mir zu Beginn meines Dienstes etwas sagte dass unwahrscheinlich prägend war. Den genauen Wortlaut bekomme ich nicht mehr voreinander, jedoch etwa das unsere Möglichkeiten in ein fremdes Land zu gehen und Teil einer fremden Kultur zu werden unbezahlbar sei. Sie selbst wurde Deportiert und hat unwahrscheinlich unter dem Kommunismus gelitten und somit nicht die Möglichkeit. Natürlich besteht mein Leben hier nicht nur daraus im Büro zu arbeiten und mich mit oben genannten Personen zu beschäftigen. Sondern auch aus Menschen, welche ich mittlerweile wirklich Freunde nennen kann. Freundschaften hier sind anders als daheim, Kulturunterschiede will ich keinesfalls abstreiten, aber allein für diese Erfahrung Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern kennenzulernen 'lohnt' sich mein Aufenthalt im Osten.
Hinter mir liegen wilde Partynächte in der ungarischen Hauptstadt, Bekanntschaften mit den merkwürdigste Menschen, viel Fleisch und noch mehr Pàlinka, eine Besuch meiner Eltern die mit einem lachendem und einem weinendem Auge feststellen durften dass ich ja doch ziemlich gut allein klarkomme, viel zu vielen Weihnachtsmärkten, Erkundungstouren durch den Osten, ein Nikolaus Wochenende in Szeckszàrd das sich wie nach Hause kommen anfühlte und dann, am 16. Dezember, tatsächlich Heim kommen. Meine 12 Tage Zuhause hätten wirklich, wirklich nicht besser sein können. Gegen alle Erwartungen habe ich einen dualen Studienplatz bekommen und somit eine gesicherte Perspektive wie es nach all dem hier weiter geht. Jedes Wiedersehen hat die schlimmen Verabschiedungen wieder wett gemacht und glücklich durfte ich feststellen dass weder die anderen noch ich sich so verändert haben das es was zwischen uns verändert hätte. Ganz im Gegenteil, wir haben genau da weitergemacht wo wir im September aufgehört haben. Deswegen der Titel, zur Zeit fühlt es sich mehr an wie Tag 15 als wie Tag 128. Ich glaube mittlerweile hab ich mich ganz gut wieder eingefunden, die Freude darauf endgültig Heim zu kommen ist trotzdem riesig. Noch ist es aber nicht soweit, noch bin ich hier noch lang nicht fertig. Dafür gibt es noch zu viele Städte die ich bereisen möchte, zu viele Probleme mit der ungarischen Sprache als das ich zufrieden heim reisen könnte, zu viele Personen mit denen ich noch so viel Zeit wie möglich verbringen möchte, zu viele Dinge die noch erlebt werden wollen. P.S.: Die Bilder sind wahllos von meinem Handy ohne genaueres Betrachten, die Bilder meiner Kamera sind leider zu groß.