Suriname
Vor meinem europäischen Freiwilligendienst in den Niederlanden hatte ich noch nie von diesem Land gehört. Nun sehe ich seine Flagge an jeder Straßenecke und höre täglich davon - Suriname. Hier ein kleiner Einstieg für alle, denen es wie mir vor Beginn meines EVS geht.
Suriname – ein Land, dessen Namen ich vor meinem Europäischen Freiwilligendienst in den Niederlanden noch nie gehört hatte. Hier jedoch ist es allgegenwärtig – warum eigentlich?
Zuerst einmal zu den wichtigsten Fakten über Suriname: Es ist das flächenmäßig kleinste Land Südamerikas und hat gerade einmal eine halbe Million Einwohner. Und obwohl diese beiden Angaben zueinander zu passen scheinen, ist ein halbe Million Menschen auf einer Fläche, die doppelt so groß ist wie Österreich sehr wenig (zum Vergleich: Österreich hat 8,7 Millionen Einwohner). Die Bevölkerungsdichte beträgt statistisch gesehen 3 Einwohner pro Quadratkilometer, in Wirklichkeit wohnt jedoch fast die Hälfte der Menschen in der Hauptstadt Paramaribo und der Rest verteilt sich entlang der Küste. Zu den Nachbarländern Surinames gehören Französisch-Guyana, Guyana und Brasilien. Und die Amtssprache ist – Überraschung – nicht etwa Spanisch oder Portugiesisch wie im Großteil der Länder Südamerikas, sondern Niederländisch.
Doch nicht nur deshalb ist Suriname das wohl untypischste Land Südamerikas, sondern auch dadurch, dass es verschiedenste Nationen und ethnische Gruppen ineinander vereint. So wohnen in Suriname unter anderem Kreolen, also Menschen afrikanischer Herkunft, die Nachkommen von Sklaven sind; Javaner, also von der Insel Java in Indonesien abstammende Menschen und Hindustanen; also eine Bevölkerungsgruppe indischer Herkunft.
Doch wie kamen nun alle diese Ethnien nach Suriname und wo liegt der Zusammenhang zu den Niederlanden? Die Antwort ist simpel und komplex zugleich - Suriname war eine niederländische Kolonie. 1667 ging es in den Besitz der niederländischen Handelsgesellschaft WIC (Westindische Kompagnie) über – im Tausch gegen das Gebiet Nieuw-Amsterdams, das heutige New York. Eine Tatsache, die den Niederländer selbst heute noch zuzusetzen scheint: „wenn wir es nicht für Suriname eingetauscht hätten, dann wäre New York jetzt ein Teil der Niederlande“, sagte mein Chef letztens.
Doch zurück zum Thema: Unter der Verwaltung der niederländischen WIC wurden viele Sklaven aus Afrika nach Suriname geholt. Nachdem diese Pleite ging, fiel das Land für 33 Jahre an England, bevor es dann von 1825 bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1975 eine niederländische Kolonie wurde. In dieser ersten Zeit der Sklaverei unter dem WIC entwickelten sich Kreolsprachen wie das Sranan Tongo, das bis heute vom Großteil der Bevölkerung gesprochen wird und auf der Straße als Lingua Franca (Verkehrssprache) dient. Im Jahre 1863 wurde die Sklaverei abgeschafft, woraufhin sich viele Plantagenbesitzer billige Arbeitskräft aus China, Indien und Java ins Land holten – der Ursprung zahlreicher neuer Sprachgemeinschaften. Aus dem Wunsch heraus, das Land einheitlicher und damit regierbarer zu gestalten, kam es ab 1873 zu einer Niederlandisierungspolitik. Trotzdem konnte sich das Sranan Tongo als Umgangssprache halten, während Niederländisch vor allem für offizielle Zwecke gebraucht wird. Insgesamt gibt es heute mehr als 20 verschiedene ethnische Gruppen in Suriname, die ebenso viele Sprachen sprechen und den verschiedensten Religionen angehören. Nach der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1975 gingen übrigens zehntausende Surinamer in die Niederlande; deshalb wohnen Schätzungen zufolge fast ebenso viele von ihnen im Land der ehemaligen Kolonialmacht, wie das gesamte Land Einwohner hat.
Bei einem Spaziergang durch Rotterdam macht sich diese Geschichte schon nach kurzer Zeit bemerkbar – an jeder Ecke gibt es ein „Surinaamse Eethuis“ oder einen Lebensmittelladen mit surinamischer Flagge. Auch auf meiner Arbeit im Stadtteil Feijenoord, dem ärmsten Stadtteil der Niederlande, treffe ich oft auf Menschen surinamischer Herkunft. Sie sind alle gut in die Niederlande integriert, gerade auch weil sie auf sprachlicher Ebene – im Gegensatz zu anderen ethnischen Minderheitsgruppen – keine Probleme haben. Trotzdem fühlen sie sich oft nicht vollständig Niederländisch, auch wenn sie schon seit langer Zeit im Land wohnen. Nach den Gründen für dieses Gefühl gefragt, fällt oft das Stichwort Hautfarbe. Oft sind sie der Ansicht, dass man sie mit ihrem Aussehen nicht für vollwertige Niederländer hält. Das Bild des „weißen Niederländers“ ist noch zu präsent. Paradox, denn manchmal bin ich als Ausländer hier in meinem Projekt die einzige Person mit weißer Hautfarbe. Trotz der bekannten Toleranz hier im Land fehlt es an dieser Stelle teilweise noch etwas an der Akzeptanz, dass Menschen mit anderer Hautfarbe oder Migrationshintergrund kein Stück weniger Niederländisch sind.
Wie oben erläutert haben die Niederlande und Suriname eine lange gemeinsame Geschichte, weshalb es auch viele Partnerschaften zwischen den Niederlanden und Suriname gibt. So wird gemeinsam an kulturellen Projekten gearbeitet und es wird Unterstützung für den Erhalt historischer Gebäude angeboten. Zwischen 2013 und 2016 werden für verschiedene Projekte in den Bereichen Kultur, Bildung und Gesundheit insgesamt 6,5 Millionen Euro ausgegeben. Die strukturelle politische Partnerschaft hingegen ist seit 2008 dabei, auszulaufen, jedoch ist die niederländische Botschaft in Paramaribo immer noch in vielen Bereichen aktiv, zum Beispiel im Bereich Menschenrechte und Justiz.
Hoffentlich hilft dieser Artikel erstmal über die anfängliche Verwirrung, die bei vielen herrscht, wenn sie zum ersten Mal von diesem Land hören, hinweg. Tatsächlich wissen selbst einige hier wohnende Menschen nicht einmal, welchem Kontinent sie das Land zuordnen sollen – wird es doch ständig im Zusammenhang mit Indonesien (Java), Indien, China oder den afrikanischen Kreolen erwähnt. Suriname vereint Europa, Afrika, Asien und Südamerika – gerade das macht es zu einem der wohl faszinierendsten Ländern der Welt.