Stets auf Achse – durch Prag und den Rest Tschechiens
Aus einer Zeit, da tschechische Kinder sich bei der Messe im Wald verstecken mussten: A_Waitler_in_Prag erzählt aus einer Vergangenheit, die gar nicht mal so lange zurück liegt...
Wie schon im Oktober habe ich auch im November jedes Wochenende etwas unternommen.
Zunächst einmal war ich Anfang November wieder einmal in Mariánské Radčice in Nordböhmen zu Besuch, wo ich ja im August die Vorbereitung auf meinen Freiwilligendienst absolviert habe (siehe mein erster Blog).
Dort fand nämlich eine sogenannte "zabijačka", ein Schlachtfest statt, das heißt, da wurde am Morgen ein Schwein geschlachtet und dann saß man den ganzen Tag über gemütlich beisammen, hat gegessen, wohlschmeckendes tschechisches Bier – oder besser gesagt böhmisches Bier, der zweite Landesteil Mähren ist ja mehr für seine Weinkultur bekannt – getrunken und sich unterhalten. Vor allem aber durfte ich ein Wiedersehen feiern mit den vielen Leuten, die ich dort schon kennen gelernt hatte, was mich sehr gefreut hat.
Ende des Monats kam daraufhin Robert, der sächsische Freiwillige in Mariánské Radčice, zum ersten Mal zum Gegenbesuch nach Prag, wobei ich ihm meine dortige Heimat, das Salesianerzentrum, gezeigt habe und natürlich auch die Innenstadt, wo wir unter anderem auf dem bereits eröffneten Weihnachtsmarkt auf dem Wenzelsplatz waren und das Schokoladenmuseum besichtigt haben – Geschichte der Schokolade von den Azteken bis heute, inklusive Vorführung und Verköstigung :-)
An den anderen zwei Wochenenden im November fanden zwei Aktionen des Oratoř statt: Die erste davon war das sogenannte "Hra po Praze", also ein Spiel in Prag, im historischen Stadtkern, bei dem nicht nur wir mit unseren Kindern vom Salesianerzentrum mit von der Partie waren, sondern noch einige weitere Organisationen, die sich in der Jugendarbeit engagieren.
Dabei handelte es sich um so eine Art Schnitzeljagd, bei der wir Organisatoren uns am Samstag als Polizisten und am Sonntag als Mafiosi verkleiden sollten. In meiner Polizistenmontur hab ich aber einmal Probleme gekriegt:
Und zwar sind wir einer richtigen Polizeistreife begegnet und die haben mir, obwohl ich meine Spielzeugpistole natürlich nicht öffentlich sichtbar getragen habe und einfach nur einen Pullover mit der Aufschrift "Policie" anhatte (siehe entsprechendes Bild), eine Standpauke gehalten, dass ich so nicht herumlaufen dürfe, dass dies Amtsanmaßung sei und so weiter.
Dušan, von dem ich mir den Pullover auch ausgeliehen hatte, hatte sich aber vorher darüber informiert und sagte mir nachher, dass derlei Aussagen völliger Schmarrn seien, da auf diesem Pulli weder das Hoheitszeichen der Tschechischen Republik noch das Hoheitszeichen der Stadt Prag noch die anderen Dinge sind, die eine Polizeiuniform ausmachen und es daher eine völlig legitime Verkleidung war.
Jedenfalls haben wir uns bei diesem Spiel unter anderem am zweiten Tag an verschiedenen Stellen in der Stadt verteilt und jeweils den teilnehmenden Gruppen verschiedene Hinweise gegeben, die sie zusammengenommen zum Ort des Abschlussspiels führten, einem Park am linken Moldauufer in der Nähe der Karlsbrücke.
Dort hat sich jeder ein Band um die Hüfte gebunden, in das man am Rücken ein kürzeres Band steckte, und wenn man es schaffte, dieses Band jemand anderem stibitzen, dann war derjenige ausgeschieden.
Da gab es nun zwei Gruppen, zum einen die Kinder und zum anderen uns ältere Leiter. Und um dem ganzen Spiel noch eine mysteriös-magische Komponente zu verleihen, hatten sieben von uns einen Schlüssel, den die Kinder, wenn sie einen davon erwischten, als Beute erhielten. Diese Schlüssel symbolisierten die sieben Schlüssel, mit denen man zu den böhmischen Kronjuwelen in der St.-Wenzelskapelle im Prager Veitsdom gelangen kann.
Sowohl die Tür zu diesem Raum als auch der Panzerschrank, in dem sich diese Schätze befinden, sind mit sieben Schlössern verschlossen, deren sieben verschiedene Schlüssel wiederum im Besitz sieben verschiedener Personen sind, des Staatspräsidenten, des Premierministers, des Erzbischofs von Prag, des Bürgermeisters von Prag sowie der Vorsitzenden des Metropolitankapitels, des Senats und des Abgeordnetenhauses – alles in allem also einer der bestgesichertsten Orte in ganz Tschechien.
Unter diesen Kronjuwelen befindet sich unter anderem die Wenzelskrone, mit der sich Karl IV. 1347 zum böhmischen König krönen ließ. Dieser Karl IV. war auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, was heute als einer der Höhepunkte der böhmischen Geschichte angesehen wird; unter anderem sind ja auch in Prag die Karlsbrücke und die Karlsuniversität nach ihm benannt.
Diese Wenzelskrone gilt als tschechisches Nationalheiligtum von unschätzbarem Wert und es rankt sich um sie die Legende, dass jeder, der sie unrechtmäßig trägt, innerhalb eines Jahres eines gewaltsamen Todes sterben wird.
In diesem Zusammenhang gibt es auch eine Verbindung zum dunkelsten Kapitel der deutsch-tschechischen Nachbarschaft, denn angeblich hat der Reichsprotektor des Protektorats Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, sich im Jahre 1941 aus purer Arroganz und als hochmütigen Akt der Provokation kurz die Wenzelskrone aufgesetzt und wurde wenige Monate später bei einem Attentat tschechischer Widerstandskämpfer ermordet.
Und um diese sieben Schlüssel ging es eben auch bei unserem Spiel.
Eine Woche darauf waren wir, das heißt Bernhard und ich, mit acht anderen Leuten, die auch im Oratoř arbeiten, in einem kleinen Dorf etwa eine Autostunde südlich von Prag – zwei Tage, die man im Fußballerjargon wohl als "mannschaftsbildende Maßnahme" bezeichnen würde, einfach Zeit miteinander verbringen, um sich besser kennen zu lernen.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir aber ein Spaziergang, bei dem wir auch zu einem ehemaligen kommunistischen Arbeitslager gekommen sind. Dort waren zur Zeit des Kommunismus völlig unschuldige politische Gefangene inhaftiert, die in den nahegelegenen Bergwerken Uran abbauen mussten.
Als wir nahe genug waren, um das Schild über dem Eingangstor lesen zu können, wäre mir fast die Luft weggeblieben: Denn dort steht "Prací ke svobodě", was auf Deutsch "Arbeit zur Freiheit" heißt, also ein und derselbe Zynismus wie bei der Parole "Arbeit macht frei", die als Toraufschrift im Konzentrationslager Auschwitz traurige Berühmtheit erlangte. Da sieht man wieder einmal, dass die Unterschiede zwischen Sozialismus und NationalSOZIALISMUS so groß wohl nicht waren.
Und speziell was die ehemalige Tschechoslowakei betrifft, hat man mir hier erzählt, dass das dortige Regime eine der schlimmsten Diktaturen im damaligen Ostblock war. Auch im Salesianerzentrum hör ich da immer wieder mal Geschichten darüber.
Denn die Salesianer Don Boscos waren "v totalitě", in der Totalität, wie man die kommunistische Zeit hier bezeichnenderweise zu bezeichnen pflegt, genauso wie alle anderen kirchlichen Orden verboten und existierten nur im Untergrund. So ist auch das Zentrum im nördlichen Prager Stadtteil Kobylisy, in dem ich wohne, verstaatlicht und eine Schule darin eingerichtet worden.
Richtige Salesianerzentren respektive Kommunitäten gab es in dieser Zeit gar nicht, die Salesianer, die ihr Ordensgelübde geheim ablegen mussten und von denen niemand wissen durfte, dass sie Salesianer sind, lebten allein oder höchstens zu zweit. Auch eine normale theologische Ausbildung konnten sie natürlich nicht erhalten.
Diese jungen Männer waren offiziell in irgendwelchen anderen Studiengängen eingeschrieben, alle paar Wochenenden trafen sie sich dann aber unter strengster Geheimhaltung in irgendeiner kleinen Wohnung oder einem abgelegenen Dorf, wo dann das ganze Wochenende Vorlesungen stattfanden und sie daraufhin unter der Woche selbstständig lernten.
Die Organisation solcher oder auch anderer Veranstaltungen gestaltete sich aber stets als ausgesprochen schwierig, da sämtliche Kommunikationswege wie Post oder Telefon von der StB, der Státní Bezpečnost, der tschechoslowakischen Staatssicherheit und somit das Gegenstück zur ostdeutschen Stasi, überwacht wurden und man die nötigen Informationen nur mündlich weitergeben konnte.
Und wenn die Salesianer dann einmal mit einigen Kindern etwas unternahmen und mit ihnen zum Beispiel in irgendeinem Wald eine Messe feierten, dann mussten sie dabei immer Wachposten aufstellen, um vor unliebsamen Überraschungen durch die StBaci gefeit zu sein.
Denn wenn diese Kinder als Teilnehmer an einer solchen ungenehmigten Zusammenkunft erkannt worden wären, hätte das gravierende Auswirkungen für ihre Zukunft gehabt, da sie wohl keinen Ausbildungs- oder Studienplatz bekommen hätten.
Ladis, der Salesianer, der mir dieses Beispiel erzählt hat, hat die Repressalien der Staatsmacht auch am eigenen Leib zu spüren bekommen, weshalb er nach Italien ins Exil gehen musste. Und Václav, einer unserer drei Pensionäre, hat ganze fünf Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht, wo er die meiste Zeit über keinerlei Tageslicht zu Gesicht bekam – und das alles mit der Begründung, er sei ein "christlicher Terrorist".
Und was ich sonst noch so alles erlebt habe, könnt ihr in meinem nächsten Beitrag "Auf historischen Pfaden gewandelt!" nachlesen.
"Jesus sagte zu ihnen: Man wird euch um meinetwillen vor die Gerichte bringen, in den Synagogen misshandeln und vor Statthalter und Könige stellen, damit ihr vor ihnen Zeugnis ablegt." (Markus 13, 5. 9.)
Auslandsadresse:
Christoph Mauerer
Salesiánská asociace Dona Boska, o.s. (SADBA)
Kobyliské nám. 1, 182 00 Praha
Česká Republika
Skype: christoph-mauerer