Sicily is not South Europe but North Africa - Eine Sache der Perspektive
Ist es zynisch Touristen mit Flüchtlingen zu vergleichen? Ich könnte aber auch fragen: Wer profitiert davon Menschen in illegale Wirtschaftsflüchtlinge und Global Player einzuteilen?
Eine Gruppe junger Studenten macht sich auf den Weg nach Sizilien um dieser Frage nachzugehen und etwas über den Zusammenhang zwischen der eigenen Reisefreiheit und den Beschränkungen, denen Menschen aus anderen Regionen der Welt unterliegen, herauszufinden.
Es gibt viele gute Gründe nach Sizilien zu fahren. Seit Jahrhunderten stellt die Insel an der südlichsten Spitze Italiens ein Sehnsuchtsort für Mitteleuropäer dar und Goethe ist, wenngleich vielleicht der bekannteste, nicht der einzige, der Sizilien als Paradies beschrieben hat.
Ein Paradies, das zwischen den Kontinenten liegt. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass allein die Bewohner des einen Kontinents Sehnsucht nach diesem Paradies verspüren sollten.
Die Nachricht, dass nun also auch von der anderen Seite aus immer mehr Reisende an den Stränden Siziliens ankommen, sollte nicht verwundern. Die Rede ist von Afrika und die Reisenden sind Flüchtlinge, die mit dem Boot über das Mittelmeer kommen.
Wir wissen natürlich: Ihre Sehnsucht gilt nicht den Zitronenhainen, den Vulkanen und den Stränden. Ihre Sehnsucht gilt allein der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Wohlstand. Und hier ist der Punkt, an dem unsere eigene Reise beginnt. Wir, das sind sechzehn junge Studenten, die sich im Oktober 2012 auf den Weg nach Sizilien begeben, um sich selbst ein Bild von der Situation an den Außengrenzen Europas und den dort ankommenden Flüchtlingen zu machen. Die Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten im Kopf fahren wir los und suchen eine Antwort auf die Frage: Was geschieht mit den Menschen nachdem sie angekommen sind?
Wir erhoffen uns dort eine von den Medienbildern abweichende Perspektive auf die Thematik zu finden. Palermo, das Ziel unserer Reise, ist ein Ort der Ankunft, der Durchreise, des dauerhaften Provisoriums – ein Ort der Migration! Historisch gesehen nimmt Sizilien eine Sonderstellung in Europa ein. Es wurde über die Jahrhunderte abwechselnd von Griechen, Franzosen, Arabern und Normannen beeinflusst und besetzt. Jede dieser Perioden hat sichtbare Spuren im Stadtbild Palermos hinterlassen und, wie wir vermuten, auch in der sizilianischen Identität. In unserer Vorstellung ist Sizilien deswegen ein hybrides Gemisch unterschiedlichster kultureller Einflüsse, das neu ankommenden Kulturen nur mit Gelassenheit begegnen kann.
Wir wollen nichts weniger als Beweise zu finden für diese Gelassenheit, um sie zurück in Deutschland stolz zu präsentieren und zu rufen: Seht her, seid gelassen. Multi-Kulti is not dead! (Man stelle sich nun vor, man könnte diese Gelassenheit auf den Rest Europas übertragen, das seinen Bewohnern eine einheitliche Identität überstülpen will und dabei verzweifelt nach einer großen Erzählung sucht, die mehr beinhaltet als die gemeinsame Währung)
Unsere ersten Tage in Palermo sind drückend heiß und die Luft ist voller Sand, den Scirocco übers Mittelmeer zu uns herübergetragen hat. Wir können die Nähe zum afrikanischen Kontinent nun physisch spüren. Auf den Straßen herrscht Chaos, um uns herum die verschiedenartigsten Gerüche und Geräusche, die einige von uns an vergangene Fernreisen denken lässt. Wir finden uns wieder in einem exotischen Traum. Doch Moment mal! Sind wir am Ende doch nur Konsumenten dieses paradiesischen Orts, den wir nur im Wissen genießen können, dass wir jederzeit wieder in unsere gewohnte Umgebung zurück kehren können? Fänden wir dieses Chaos noch genauso schön und kreativ, wenn wir ihm jeden Tag ohne Entkommen ausgesetzt wären? Wie sehr verändert sich die Wahrnemung, je nachdem in welcher Position man einen Ort betritt? Wenn wir ehrlich sind, hatten wir uns über unsere eigene Rolle im Vorfeld nicht allzu viele Gedanken gemacht. Wozu diese Reise näher definieren? Eine Reise ist eine Reise. Und die Freiheit, jederzeit eine solche unternehmen zu können, gehört zu unserem Selbstverständnis als moderne Europäer dazu. Die Reise der »Anderen« dagegen versuchen wir in leichter kontrollierbare Kategorien zu pressen und nageln sie auf ihre Motivation fest. Wir nennen sie mal politische Flüchtlinge, mal Wirtschaftsflüchtlinge und mal Migranten. Es fällt uns zunehmend schwer, die richtigen Bezeichnungen zu finden. Auf der einen Seite also wir, die Touristen, auf der anderen die Migranten. Was uns verbindet ist die Tatsache, dass wir Reisende sind. Wir haben uns in Bewegung gesetzt, unsere vertraute Umgebung verlassen, um nun hier in Palermo aufeinander zu treffen. Was unsere Reisen unterscheidet liegt auf der Hand. Unsere Reise ist zirkulär, die der Anderen linear. Für uns ist Reisen ein Privileg, für die Anderen eine Notwendigkeit um Überleben zu können. Für uns bedeutet die Reise Spaß und Bereicherung, für die Anderen Verlust der Heimat und die Bedrohung des eigenen Lebens. Ist es zynisch, Touristen mit Migranten zu vergleichen? Ich könnte aber auch fragen: Wer profitiert davon Menschen in illegale Wirtschaftsflüchtlinge und Global Player einzuteilen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen unserer uneingeschränkten Reisefreiheit und den Beschränkungen, denen Menschen aus wirtschaftsschwachen Regionen oft unterliegen?
Wie frei ist Bewegung? »Qualifizierung durch Mobilität« habe ich vor kurzem auf einem Plakat gelesen, das für eine Informationsveranstaltung über das internationale Studentenaustauschprogramm Erasmus wirbt. Mobilität ist erstrebenswert. Wer auf dem globalisierten Arbeitsmarkt bestehen will, muss Auslandserfahrung vorweisen und jederzeit bereit sein seinen Lebensmittelpunkt räumlich zu verlagern. Mitunter über nationale Grenzen hinweg. Mobilität ist zu einem zentralen Begriff unserer modernen Gesellschaft geworden. Da sich die moderne Lebensweise aber auf einen »privilegierten« Teil des Planeten beschränkt, haben die Bewohner aller »vormodernen« Regionen dieser Welt auch keinen Zugang zur vielgepriesenen Mobilität. Bewegungsfreiheit gilt nicht für alle, Bewegungsfreiheit ist ein Privileg. Auch wir sind Teil dieser »Mobilitätselite«. Einige von uns haben längere Zeit im Ausland verbracht um dort künstlerische Projekte zu verfolgen, zu studieren, ein freiwilliges soziales Jahr oder den Zivildienst zu leisten, andere planen einen Aufenthalt dieser Art. Wir alle haben touristische Fernreisen mit einer Selbstverständlichkeit unternommen, die für unsere Eltern noch undenkbar gewesen wäre. Und nun haben wir also eine weitere Reise unternommen und sind nach Sizilien gefahren, um etwas über die Bewegungsunfreiheit der Anderen zu erfahren. Wir spüren: Die Ausübung unserer Freiheit, hat Auswirkungen auf die Unfreiheit der Anderen. Wie könnten wir nun von illegalen Flüchtlingen berichten, ohne auch über uns selbst und unser Reiseverhalten zu sprechen? Unentwegt stoßen wir im Urlaub auf Überschneidungen von touristischen und migrantischen Räumen. Erinnern wir uns an die Sonnenbrillen- und Handtuchverkäufer, die jeder von uns aus seinem Strandurlaub kennt. Oder an die Straßenverkäufer, die vor allem vor den meistfotografierten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu finden sind. Der Tourismussektor bietet eine Reihe von Verdienstmöglichkeiten für Menschen ohne Arbeitserlaubnis. Schlecht bezahlte Jobs, die kaum zum Überleben reichen, die unseren Urlaub aber zu einem Schnäppchen werden lassen. Doch gerade im Urlaub wollen die wenigstens von uns daran erinnert werden, welche Auswirkungen unser Konsumverhalten auf die Lebensbedingungen derer hat, die nicht in dieselben Freiheiten hineingeboren sind wie wir. Wir können keine vollständige Darstellung all dieser komplexen Zusammenhänge leisten. Wir haben uns dennoch dazu entschieden unseren Fokus für diese Ausstellung nicht nur auf Palermo zu richten, sondern auch auf uns selbst – die Macher und Besucher dieser Ausstellung. Denn all diese Medienbilder, die uns dazu bewegten eine Reise an die Außengrenze Europas zu unternehmen, die haben ihren Ursprung nicht anderswo, sondern hier: Mitten unter uns.