Schreckliche Bilder
In mitten des Terrors und Schreckens steht ein junger Mann in einer Warnweste mit dem Aufdruck „Press“ - Was bedeutet es, Krieg zu dokumentieren? Wie kann man respektvoll über Leid berichten? Und wann trägt man auch als Beobachter Verantwortung?
In meiner täglichen Arbeit in einem sozialen Zentrum in der Nähe Paris erlebe ich häufig viel Armut, viel Elend und Leid. Das wirft in mir immer wieder eine Frage auf, wie ich damit umgehen sollte - Ich will Menschen darüber informieren, ich muss auch einfach darüber reden, aber wie kann man diese dunkle Seite des Lebens am besten dokumentieren? Wie redet man über das Leid anderer Menschen, ohne es zu nutzen um selber mehr Aufmerksamkeit zu bekommen? Wie bleibt man respektvoll, ohne die Personen zu involvieren? Diese Fragen habe ich mir schon häufiger gestellt, vor allem im Kontext von Dokumentationen oder Berichterstattung.
Die Geschichte eines unglaublich jungen Kriegsfotografen Josh McDonald faszinierte mich: Mit nur 21 Jahren dokumentierte er bereits den Krieg der Terrormiliz ISIS, er fotografierte den Palästina-Israel-Konflikt und berichtete über kranke Plantagenarbeiter in Mittelamerika. Was als Hobby und Abenteuer-Reisen begann, wandelte sich bald in politische Arbeit und in ein echtes Risiko für ihn. In seinen Kriegseinsätzen geriet er mehrmals unter Beschuss, und erst in dieser Extremsituation wurde ihm bewusst, dass er sein Leben für Fotographien gefährdete. Aber auch, wie wichtig seine Arbeit ist: Die Bilder und Berichte, welche direkt aus Kriegsgebieten stammen, werden nicht von staatlichen Medien verschönert, werden nicht zensiert oder dramatisiert. Und ohne diese Bilder würde die Nachrichten kaum berühren, und wir könnten uns gar nicht vorstellen, dass dieses Grauen existiert.
Neben dem Risiko, welchem sich die dokumentierenden Menschen aussetzen, ist ein anderer interessanter Aspekt die Verantwortung: Wenn man etwas sieht, etwas dokumentiert, welche Verantwortung trägt man dann? Muss man den Personen vor der Linse helfen? Oder ist der Beobachter neutral, ist er vielleicht sogar hilfreicher, wenn er dramatische Aufnahmen macht und dadurch mehr ausländische Hilfe erwirken kann? Einer der Grundsätze der Dokumentation ist es, nicht in das Gesehen einzugreifen, daher fand ich den Fall der Dokumentation „Sonita“, über ein afghanisches Mädchen, dass Rap-Musik macht, umso interessanter: Rokhsareh Ghaem Maghami, die Regisseurin, entscheidet sich dafür, der Familie des Mädchens Geld zu zahlen, damit diese sie nicht für Geld verheiraten. Damit erkauft sie sich letztlich Zeit, und schaffte es dann durch ein Stipendium in die USA auszuwandern und dort zu studieren.
Diese Geschichte hat mit sehr berührt, und mich zu der Überzeugung gebracht, dass auch jeder Augenzeuge Verantwortung besitzt: Man kann niemanden leiden lassen, um ausdrucksstarke Aufnahmen zu erzielen. Die tragische Geschichte des Fotografen Kevin Carters, der 1993 das berühmte Bild eines Kindes im Sudan, welches vor seinen Augen verhungert und auf das bereits ein Geier wartet, erschuf, demonstriert das: Obwohl er für sein Bild den Pulitzer Preis und internationale Anerkennung gewann, ließ ihn die Schuld für den Tod des Kindes nie los, weswegen er sich vermutlich dann auch später selber tötete.
In einem viel kleineren Ausmaß beschäftigt mich diese Tragik auch: Wie kann ich über diese Menschen, die ich leiden sehe, respektvoll berichten? Glücklicherweise habe ich nicht den Druck, mit meiner Berichterstattung Geld zu verdienen oder künstlerische Aspirationen zu verfolgen, aber das Problem zwischen Darstellung und Wirklichkeit ergibt sich doch. Ein guter Leitfaden ist die Broschüre: „Mit kolonialen Grüßen“, welche (mehr im Nord-Süd-Kontext) respektvolle Berichterstattung seitens Freiwilliger, Reisender oder Studierender anleitet.
Es ist wichtig, einen Dialog aufzubauen und Bewusstsein zu schaffen, aber man muss sich immer klar machen, dass das Leid und Elend, welches man selber vielleicht sieht, das Leben anderer Menschen ist. Und trotz allem, muss man darauf achte, es würdevoll wiederzugeben und im besten Fall, diese Menschen selber zu Wort kommen zu lassen.
Links und Quellen
http://joshuamcdonald.org
https://monovisions.com/josh-mcdonald-interview-with-human-rights-photographer/
https://www.fluter.de/Wie-ich-Kriegsfotograf-wurde
https://de.wikipedia.org/wiki/Sonita
https://www.tagesspiegel.de/kultur/zuschauen-und-verdraengen/4317606.html
http://www.glokal.org/publikationen/mit-kolonialen-gruessen
https://www.glokal.org/wp-content/uploads/2013/09/BroschuereMitkolonialenGruessen2013.pdf