Romeo& Julia- die Bethlehem- Edition
Selbst im 21. Jahrhundert gibt es Orte und Kulturen, in denen Familie und Ehre wichtiger zu sein scheinen als die Verbindung zweier Menschen, die sich lieben. Ich habe so eine Geschichte hautnah miterlebt.
Prolog:
Donnerstag, der 02.November 2017. Nichtwissend, was uns dieses Wochenende erwarten wird, an dem wir in das Zuhause eines arabischen Doktors, der in einem Dorf nahe Jerusalem wohnt, eingeladen sind, wachen Marie und ich um halb 7 Uhr morgens auf, mit dem Gedanken, dass wir in einer Stunde abgeholt werden. Selbstverständlich in dieser Erwartung enttäuscht (man hätte es eigentlich ahnen können - Pünktlichkeit wird in Israel nicht unbedingt großgeschrieben), fuhren wir drei Stunden später als ursprünglich geplant los.
Während der Autofahrt erzählt uns Husam, ein zwischen 40 und 50 jähriger Arzt, von seinem Leben als arabischer Mann in Israel. Geboren in Bethlehem (in einem Krankenhaus, in dem man fürs Gebären nicht zahlen musste - „Meine Mutter wollte kostenlose Kinder“), aufgewachsen in einem Dorf nahe Jerusalem - vertrieben. Aus dem eigenen Haus. Umzug nach Ramallah. Bis sie erneut vertrieben wurden, sodass sie in Ost-Jerusalem leben mussten. Mit 20 ist Husam schließlich nach Weißrussland gegangen, um zu studieren ( „Eigentlich wollte ich irgendwas Mechanisches machen, aber als dann schließlich mein College in Israel geschlossen wurde und ich nach Weißrussland an die Universität gelang und studieren musste, dachte ich mir: Warum denn nicht auch einfach Medizin?“) und hat dort seine Frau kennengelernt, mit der er in Minsk ein Kind bekommen hat und letztendlich vor 17 Jahren nach Israel zurückkehrte.
Und genau das ist auch der Punkt, an dem die eigentliche Romeo-und-Julia-Geschichte beginnt. Denn da sein Sohn momentan in Polen studiert, hat er uns prompt seinem Adoptivsohn vorgestellt: Der beste Freund seines Sohnes, der Husam schon seit seinen Kindertagen kennt. Nachdem wir also entspannt bei Husum zuhause vegetarisch gegessen haben („ Ich weiß nicht, wie man sowas kocht. Das ist doch kein Essen.“), sind wir mit Ameer losgezogen, um uns mit seinen Freunden in Bethlehem zu treffen. Als wir in dem Restaurant, in dem es selbstverständlich auch Shishas gab, angekommen sind, lernen wir Maria (das einzige christliche Mädchen unter den anwesenden muslimischen Freunden), Hala, Jasmin und Usama kennen. Nach kurzem Smalltalk in Englisch und sogar ein wenig Deutsch switchen die Freunde ins Arabische, das wir nicht verstehen. Dennoch gibt es eine Sache, die man versteht, auch wenn man eine Sprache nicht spricht: Körpersprache. Denn als Maria eine Nachricht via Chat kriegt, ist der Tumult am Tisch plötzlich groß. Die Mädchen fangen an zu kichern und sich aufgeregt zu unterhalten. Etwas scheint passiert zu sein. Und siehe da: Ein paar Minuten später ist Mohammed im Lokal. Für die Chemie zwischen den beiden braucht man keine Erklärung. Was jedoch genau hinter der ganzen Sache steckt, erfahren Marie und ich später noch.
Nachdem sich Hala, Usama, Maria und Jasmin von uns verabschiedet haben, fahren Mohammed, Ameer, Marie und ich noch in eine Bar. Bis auf Maria, die als Christin Alkohol trinken darf, und Mohammed und Ameer, die es laut Koran nicht dürfen, aber trotzdem tun, trinkt sonst keiner aus der Runde. Nach ein wenig palästinischem Bier, das leider nicht so gut ist wie deutsches, erzählt uns Mohammed die moderne Version des wohlgekannten Shakespeare- Dramas. Er und Maria haben sich durch die Universität kennen gelernt und sind dann schließlich zusammengekommen. So weit, so normal. Doch es gibt ein Problem- die Religion. Er ist ein Muslim. Sie ist eine Christin. Und so durften die beiden aufgrund ihrer Eltern nicht zusammenbleiben, die das Getratsche in der Nachbarschaft as beschämend empfanden. Zwar haben sich die beiden nach ihrer Trennung drei Monate nicht gesehen, da Semesterferien waren, doch man sieht und spürt immer noch, wie sehr sich die beiden lieben. Loskommen können die beiden voneinander nicht, doch geheim treffen können sie sich auch nicht. „ Wenn wir nach der Uni zusammen weggingen, würde das verdächtig wirken. Wir haben keine Privatsphäre, in der wir uns ungestört treffen könnten.“ So sind die beiden in dieser unglücklichen Situation gefangen, in der sie sich lieben, sich täglich in der Uni sehen und sich ständig schreiben („ Sie ist schon ganz genervt, dass ich ihr seit 5 Minuten nicht antworte, obwohl ich nicht mal auf dem Chat war“), jedoch nicht zu sich und ihren Gefühlen stehen können.
So. Das ist der Akt in dem Drama, in dem ich das Stück verlasse. Das Schicksal dieses jungen, interreligiösen Paares steht noch in den Sternen, doch ich hoffe, dass es ein besseres Ende nimmt als im Original Shakespeare-Stück.