Roma in Rumänien
Die Roma – diesem Volk hängt doch immer etwas nach, selbst wenn man nie wirklich mit ihnen in Kontakt gekommen ist. Und dann möchte man auf einmal ein halbes Jahr einen Freiwilligendienst in Rumänien machen und plötzlich wird man von allen vor ihnen gewarnt.
Über Roma gibt es zahlreiche Vorurteile und oftmals werden Rumänen auch mit den Roma verwechselt, da sich die Wörter sehr ähnlich sind. Diese Vorurteile führen dazu, dass das Land und die Bevölkerung keinen guten Ruf haben, was die Menschen hier ebenfalls frustriert. Die Rumänen schieben ihr schlechtes Ansehen oftmals auf die Roma, denn sie seien es, die betrügen und was nicht alles noch. Aber sind die Roma tatsächlich solch schlechte Menschen?
Zuerst möchte ich einen kleinen Einblick über die Geschichte der Roma verschaffen: Seit über 600 Jahren leben die Roma in Europa. Ursprünglich sind sie aus Indien gekommen, von wo sie mehrere Jahrhunderte lang Richtung Westen gewandert sind. Hintergrund war kein – ihnen lange Zeit unterstellter – Wandertrieb, sondern sie sahen sich durch Kriege, Verfolgung, Vertreibung oder aus wirtschaftlicher Not zu dieser Wanderung gezwungen. In Europa waren Roma "neue Fremde". Sie unterschieden sich von den Einheimischen im Aussehen, in ihren kulturellen Traditionen und durch die eigene Sprache, durch das Romanes. Die Sprache ist mit dem indischen Sanskrit verwandt und vor allem eine mündliche Sprache. Die traditionellen Berufe der Roma kann man in drei Gruppen einteilen: Handwerksberufe, Händlerberufe und Unterhaltungsberufe (Musiker), welche auch heute beibehalten werden.
Im Gegensatz zu den Sinti, die in Deutschland, Spanien und Frankreich gleich nach ihrer Ankunft im Spätmittelalter ausgegrenzt und immer wieder vertrieben wurden, wurden die Roma in Osteuropa als billige Arbeitskräfte geradezu gesucht. In Ungarn und damit auch in Siebenbürgen ebenso wie im Osmanischen Reich, waren sie Leibeigene. In den rumänischen Fürstentümern blieben sie bis 1855/56 sogar im Rechtsstatus der Sklaverei. Das heißt, man konnte sie, ganz wie die Baumwollsklaven in den USA, verkaufen und ihre Familien zerreißen. Schon in den Jahrhunderten der Sklaverei waren Roma aus Rumänien immer wieder in Nachbarländer geflüchtet. Nach den 1850er-Jahren nahm die Auswanderung von Roma aus Rumänien noch stark zu und erreichte auch Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es die kommunistischen Regime, die die Roma in den Aufbau der Industrie einbezogen. Allerdings spielte da auch Zwang eine Rolle, weil Werksbusse die arbeitsfähigen Roma in ihren Dörfern einsammelten, damit sie in den Fabriken die Reinigungsarbeiten übernahmen.
Unter dem Ceausescu-Regime waren die Roma fast gleichberechtigt mit dem Rest der Bevölkerung, da alle unter Repressalien zu leiden hatten. Doch es gab zusätzliche Gesetze, die speziell für Roma erlassen wurden. Zum Beispiel das „Dekret 153“, welches erlaubte, „soziale Parasitzen“ zu verurteilen. Das bedeutete, dass Menschen – hauptsächlich Roma – willkürlich verhaftet und über Jahre im Gefängnis gehalten werden konnten, wenn sie keinen festen Arbeitsplatz vorweisen konnten. Dieses Dekret überließ es also der Willkür lokaler Behörden Roma als Menschen zu behandeln oder nicht. Die Roma, welche Handel betrieben, belieferten über Jahre hinweg den Schwarzmarkt in Rumänien mit den wichtigsten Waren, die in den Geschäften nicht zu erhalten waren. Ihre weitespannten geschäftlichen und familiären Beziehungen ermöglichten ihnen diese Tätigkeit. In dieser Rolle waren sie auch von der Mehrheitsbevölkerung akzeptiert, weil sie die Lücken ausfüllten und Waren lieferten, die ohne sie nicht zu kaufen gewesen wären.
Die gesellschaftliche Situation der Roma hat sich seit dem Umsturz im Dezember 1989 nicht gebessert, denn sie sind die Verlierer der sogenannten „Revolution“. Sie blieben beispielsweise von der Verteilung der Hilfsgüter, die Rumänien Anfang 1990 erreichten, ausgeschlossen. Außerdem verloren sie auch die Akzeptanz, die sie durch das beliefern des Schwarzmarkts erreicht hatten, denn nun konnten Rumänen diese Geschäfte selbst unternehmen. Die neuen Reisegesetze erlauben es ihnen, selbst ins Ausland zu fahren um die Waren ins Land zu bringen, die auf den offiziellen Märken verkauft werden können. Die Roma wurden hingegen zu Schwarzmarkthaien erklärt, die sich an der Not der Bevölkerung bereichern wollten.
Was viele Roma die jetzige Lage schlechter einschätzen lässt, als sie unter Ceausescu gewesen war, ist die Tatsache, dass es unter Ceausescu eine staatlich legitimierte und kontrollierte Gewalt war, die sich gegen sie richtete. Unter den jetzigen politischen Umständen sind sie jedoch zusätzlich einer „privatisierten“ Gewalt ausgesetzt, die auch von offiziell staatlich unabhängigen Organisationen wie der „vatra romaneasca“ ausgeht. Die „vatra“ ist Teil des wiedererwachten radikalen rumänischen Nationalismus, die ihre Aufgabe vor allem darin sieht, den „heiligen rumänischen Boden“ von Ungarn und „Zigeunern“ zu befreien. Es ist jedoch nicht nur die wirklich ausgeübte körperliche Gewalt gegenüber Angehörigen der Roma, sondern dass in ihren Publikationen durch rassistische Äußerungen der Boden bereitet wird, auf dem die Gewalt wachsen kann. Es existieren Gesetze gegen die Diskriminierung der ethnischen Gruppe, die jedoch von den Behörden nicht angewandt werden.
In Rumänien sind die Roma heutzutage die zweitgrößte Minderheit und zwar sind etwa 1,85 Millionen der rund 19,5 Millionen Einwohner ethnische Roma.
Die Mehrheit lebt auf dem Land und zwar größtenteils in Armut. Wer durch die Länder reist, kann das auch sinnlich wahrnehmen: Überall an den Rändern siebenbürgischer oder walachischer Dörfer stehen winzige, zugige, oft baufällige Hütten, in denen Menschen buchstäblich am Rande der Existenz leben.
Nach einer großen Studie im Jahr 2011 über die Lage der Roma hatten in den zwei Jahren vor der Befragung nur zehn Prozent kontinuierlich Arbeit und 52 Prozent hatten überhaupt keine Arbeit. Die offizielle Arbeitslosenrate lag zu dieser Zeit in ganz Rumänien bei 7,4 Prozent und unter den Roma bei 48,7 Prozent. Von den dauerarbeitslosen Roma erklärten 56 Prozent, dass sie gerne arbeiten würden. Die Armut versperrt allerdings auch den Zugang zur Schule und zum Arzt.
Lange haben die südosteuropäischen Länder und auch die Europäische Union die Roma allein als nationale Minderheit verstanden und behandelt. Dass sie zugleich eine gesellschaftliche Unterschicht waren, deren Elend sich seit der Wende verschlimmerte und verstetigte, blieb lange außer Betracht. Konzepte, die für ethnische Minderheiten entwickelt wurden, eignen sich aber für sozial schwache Gruppen nicht. Nationale Minderheiten verlangen für sich Autonomie und damit das Recht, ihre Verhältnisse weitgehend untereinander zu regeln. Für sozial Schwache dagegen ist "Autonomie" bloß ein anderes Wort für Ausgrenzung; sie verlangen im Gegenteil Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Eine separate "Roma-Gesellschaft" mit einer eigenen Ober-, Mittel- und Unterschicht gibt es in Rumänien nicht.
Wirklich helfen kann den Roma nur eine konsequente Armutsbekämpfung, funktionierende Infrastrukturprogramme und eine konsequente Ächtung von ethnischer oder "rassischer" Diskriminierung.
Der Staat ist mit dieser Aufgabe mehr oder weniger überfordert. Gemma hat beispielsweise von einem Projekt in einem der Orte um Baia Mare berichtet, wobei es darum ging, 30 Roma Kinder in eine Schule mit 200 Schülern einzugliedern. Es stellte sich als unmöglich heraus, da viele der Kinder nicht wussten, wie man sich richtig zu benehmen hat und die Lehrer waren überfordert, weil es einfach zu viele neue Schüler waren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Roma keineswegs schlechte Menschen sind. Im Gegenteil, denn sie sind es, die viel Diskriminierung erfahren haben und auch heutzutage immer noch erfahren.
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