Reizüberfluss
Nicht einmal eine Woche lebe ich in Cluj, und schon jetzt schwirrt mir der Kopf - so viel ist passiert.
Da bin ich! Seit Mittwoch. Aber es kommt mir bereits wie Ewigkeiten vor.
Meine Güte, war das ein tränenreicher Abschied am Flughafen. Meine Mutter war total entspannt und beherrscht, es war fast schon beängstigend – ich war ein einziges Nervenbündel! Sie hat die Kontrolle erst verloren, als ich durch die Passkontrolle ging. Plötzlich türmten sich elf bedrohliche Monate vor mir auf. Noch nie war ich so lang von zu Hause weg.
Aber gut, es geht ja nur vorwärts.
Kulturschock beginnt am Flughafen
Die Angst legte sich erst, als ich von meinem Koordinator Lehel und meiner Mitfreiwilligen Johanna mit einem großen, regenbogenfarbenen Welcome-to-Cluj-Schild in Empfang genommen wurde – Lehel ignorierte meine ausgestreckte Hand und umarmte mich spontan. Kulturschock: check!
Mit dem tonnenschweren Koffer ging es dann in der brütenden Hitze zur Kita. Die ist wie eine kleine grüne Oase im sonst sehr steinigen Zentrum von Cluj-Napoca, sehr hübsch. Wir leben in Doppelzimmern über der Kita und haben auf dem Gang noch so eine kleine Makeshift-Küche mit Kochplatten, Wasserkocher, Mikrowelle und Kühlschrank... sehr beengt, aber nett!
Ich muss sagen, trotz der Umarmung ist Lehel eher angespannt. :D Er versucht immer, nette Konversation zu machen, aber das sehr steif. Seine Frau ist umso herzlicher und sehr süß, was das erste Abendessen vor Peinlichkeit rettete.
Suppe und Sprachprobleme
A propos Abendessen. Wir essen unter der Woche im Projekt mittags mit, und nach allem was ich merke mögen die Rumänen fettiges Essen. :D Es gibt wirklich Gesünderes. Dafür gibt es Suppe en masse!
Für mehr als auspacken, duschen und die allernötigsten Lebensmittel zu kaufen war ich aber zu fertig, am nächsten Tag „lernten“ wir beim Dekobasteln die anderen Freiwilligen kennen – alle sprachen ungarisch, und nur ungarisch. Mehr als kurze Begrüßungen sprachen wir nicht miteinander, und wenn man sie auf englisch ansprach, reagierten sie meistens mit überraschten Blicken, schnellen ungarischen Diskussionen und kurzen Antworten. Nunja! Dafür kam am selben Morgen die dritte von vier Freiwilligen an, Alkie aus Griechenland – sie spricht flüssig Deutsch und weiß dass ihr Name auf deutsch einen seltsamen Eindruck macht. :D Außerdem ist sie Künstlerin und reist nur herum.
Es ist unfassbar, wie anstrengend es ist, den ganzen Tag einer Fremdsprache zuzuhören... selbst wenn man kein Wort versteht, ist der Kopf am Ende des Tages zu! Ich bin ja wirklich froh, dass Johanna hier ist. Mit ihr und Alkie waren wir noch in der Stadt und haben in einem kleinen Restaurant so ein typisches Cluj-Gericht gegessen, hui, wie hieß es? Auf jeden Fall war Hackfleisch und Sauerkraut drin und es war sehr lecker und genau so ungesund wie der Rest. Ich muss aufpassen!
Mathe hört nie auf...
Gekostet hat es 10 Lei, das sind umgerechnet nicht mehr als 2,50. Alles hier ist sehr günstig! Samstag haben wir den leeren Kühlschrank für 250 Lei – also etwa 50 Euro – komplett aufgestockt – natürlich „Basics“ wie Mehl, Reis, Nudeln, Obst, Gemüse, bla, aber Luxuszeug wie Pesto und Lachs war auch drin – und jede Menge Haushaltswaren wie Schwämme und Allesreiniger. Für den Preis kann man zu Hause vielleicht einen Wocheneinkauf machen, und wir haben einen Einkaufswagen bis zum Rand gefüllt UND dann noch mehr als genug Obst und Gemüse auf dem Markt gekauft. Aber gut, wir haben ja auch nur 300 Lei Essensgeld pro im Monat. Davon sind für mich jetzt 120 schonmal weg, plus ein paar zerquetschte für Street food. :D
Genug Mathe! :D Ich war Samstag auf dem Flohmarkt – wow, was für eine Reizüberflutung! So etwas habt ihr noch nicht gesehen. Riesengroß, laut, voll und man kriegt so ziemlich alles. Kaffeemaschinen, USB-Sticks, Puppen, Schokolade, Fahrräder, Schuhe, es ist unfassbar! Und dann eine Straße in der etwa zehn Stände haargenau das gleiche Essen verkaufen! :D Absolut unglaublich, aber ohne unsere Koordinatorin kam ich nicht weit – kaum einer der Verkäufer sprach englisch. Abends gingen wir dann noch mit einer anderen Gruppe Freiwilliger Cocktails trinken, was total lustig war. Man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben, aber wenn es so weitergeht, ist es echt einfacher als gedacht, neue Leute kennenzulernen. Alle waren auch total locker drauf und forderten einander heraus, ein ganzes Maß Bier auf Ex zu trinken. :D
Es tut mir so leid, dass ich alles was passiert ist nur kurz anreißen kann... alles ist ein Reizüberfluss. Die wunderschöne Stadt, die Sprache, die Umstellung im Leben, die Organisation, die Menschen die man kennenlernt – ich hoffe, dass ich das bald etwas besser aufnehmen kann, denn ich möchte am Ende des Tages noch fit genug für etwas Sport sein. :D Aber würde ich meine Mutter nicht so sehr vermissen, wäre ich glücklicher denn je. Alles ist aufregend, neu, Ich werde euch wöchentlich updaten und mich hoffentlich sehr bald einleben!