Pränatale Diagnostik
Von menschlicher Selektion und moralischen Konflikten
Als meine beste Freundin mir verkündete, dass sie ein Kind erwartet, konnte ich es kaum fassen - Bin ich wirklich schon so alt geworden, dass meine Freunde schon heiraten und Kinder bekommen? Anscheinend schon, merklich ändern sich unsere Gesprächsthemen und Abendaktivitäten. Anstatt Partys und Reisen dominieren nun Eigentumswohnungen und erste Jobs unsere Träume. Langsam müssen wir uns unseren Verantwortungen und Verpflichtungen stellen, und dazu gehören auch: Kinder.
Gerade weil das Thema bei mir persönlich gerade sehr präsent ist, beunruhigt mich eine aktuelle Debatte sehr: Die Debatte um pränatale Diagnostik, die Möglichkeit, vor der Geburt des Kindes mögliche Behinderungen festzustellen. Tatsächlich gibt es seit 2012 einen Gentest, der dies ermöglicht: Mit einer winzig kleinen Blutprobe kann ab der Schwangerschaftswoche das Erbmaterial des Kindes analysiert werden, und so unter anderem festgestellt werden, ob das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit eine geistige Behinderung hat. Noch ist der Test eine Option für Schwangere, er muss selbstgezahlt werden und wird nicht von allen Ärzten ausgeführt. Das kann sich aber bald ändern, er könnte Teil des Vorsorgestandards werden und damit verpflichtend für alle schwangeren Frauen.
Die Thematik scheint zunächst sehr spezifisch und nicht unbedingt von allgemeinen Interesse, die Verschreibung eines solchen Tests hat aber große, ethische Implikationen. Die werdenden Eltern werden mit einem positiven Testergebnis vor eine tiefgreifende Entscheidung gestellt: Wollen sie dieses Kind bekommen? Wollen oder können sie das Risiko eingehen, sich eventuell lebenslänglich um ihr Kind zu kümmern? Könnten sie es verantworten, wenn ihr Kind nur sehr eingeschränkt und unter Schmerzen leben könnte? Mit dem Wissen um die wahrscheinliche Behinderung müssen sie sich entscheiden - Auch nicht zu handeln wäre in dem Fall eine Entscheidung.
Die meisten Eltern entscheiden sich allerdings gegen ein Kind mit einer geistigen Behinderung: Schätzungen zufolge werden 9 von 10 ungeborene Kinder mit Downsyndrom abgetrieben. Die Frage nach pränatalen Gen-Tests ist eine schwerer ethische Frage - Einerseits hat jede Frau das Recht, über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden. Außerdem könnte ein Kind mit geistiger Behinderung das Leben der Eltern lange stark einschränken, auf persönliche oder finanzielle Weise. Auf der anderen Seite stehen natürlich die Rechte des ungeborenen Kindes, und die Frage, wie Behinderung in unserer Gesellschaft gesehen wird. Ist sie eine natürliche Abweichung der gesundheitlichen Norm? Oder ist sie eine Art Krankheit, die man bekämpfen kann?
Die Diskussion ist ein schweres moralisches Dilemma und mutet ein wenig dystopisch an: Grenzt es nicht an menschliche Selektion, Menschen kategorisch auszusortieren? Und welchen Druck übt das auf betroffene Eltern aus? Tatsächlich berichten Eltern von Kindern mit geistigen Behinderungen, insbesondere im Fall von Downsyndrom, dass sie gefragt werden, ob man das nicht hätte früher wissen könne und damit nicht verhindern hätte können. Mit der stetigen Entwicklung der Medizin und Technik wird man zukünftig vermutlich noch viele weitere Krankheiten pränatal diagnostizieren können. Wo zieht man dann die Grenzen? Welche Krankheit ist ein Grund zur Abtreibung? Werden wir uns irgendwann verpflichtet fühlen, „perfekte“ Kinder zu gebären?
Es ist schwer, zu einer eindeutigen Stellungnahme zu kommen bei dieser Frage. Und vermutlich weiß niemand, wie er selbst reagieren würde, wenn er ein positives Testergebnis über sein ungeborenes Kind vorliegen hätte. Auch ich komme zu einem Schluss: Da ich selber lange in einer Schule für Kinder mit Behinderungen gearbeitet habe, weiß ich, wie lebensfroh und glücklich viele Kinder mit Einschränkungen sind, mir ist aber auch bewusst, dass manche stark leiden und eine große Belastung für ihre Eltern sind - Es wäre nicht fair, über Eltern zu urteilen, die sich das nicht zutrauen.
Der Ethikprofessor Peter Dabrock sieht nicht die Gen-Tests als problematisch, sondern den Umgang mit ihnen: In einem geregelten rechtlichen Rahmen können Gen-Test sinnvoll verwendet werden, besonders bei Risiko-Schwangeren. Eine frühzeitige Diagnose gibt auch die Möglichkeit, sich optimal auf das Kind und seine Bedürfnisse vorzubereiten. Außerdem gibt sie Eltern Zeit, sich beraten zu lassen und sich zu informieren. Tatsächlich müssen wir aber auch die Art und Weise überdenken, wie wir als Gesellschaft Behinderungen wahrnehmen - Vielleicht sind wir es auch die Menschen einschränken und behindern mit ihren Normen.
Die Möglichkeiten von pränaler Diagnostik spaltet vor allem die Generation: Insbesonders junge Frauen, die noch nicht über große finanzielle Mittel verfügen, lassen sich zur Zeit nicht testen. Allerdings wäre ein Kind mit geistiger oder körperlicher Einschränkung für junge Menschen eine noch viel größere Herrausforderung: Und Vollzeitbetreuung sowie eine intensive medizinische Betreuung lassen wenig Zeit für Privatleben, Studium oder Job übrig. Studien belegen, dass Frauen in einem stabilien familiären und fianziellen Umfeld sich eher für Kinder mit Behinderungen entscheiden - Sie haben Sicherheiten die viele junge Menschen nicht haben. In diesem Sinne unterstützt Pränataldiagnostik auch einen gesellschaftlichen Trend, den zur immer späteren Reproduktion. Frauen bekommen immer später ihr erstes Kind - Während es 1970 in Deutschland noch mit 24 Jahren war, sind es nun durschnittlich 30 Jahre. Die Lebensentwürfe und Prioritäten vieler junger Menschen verschieben sich, und mit voranschreitender Technik werden diese späten Geburten immer weniger risikoreich. Natürlich stellt sich hier aber die Frage, ob das auch so sein sollte: Wenden wir uns damit nicht gegen unsere Natur?
Vermutlich lässt sich meine schwangere Freundin nicht testen, für sie bedeutet dieses Wissen eine Verantwortung, die sie nicht tragen möchte.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/praenataldiagnostik-das-dilemma-der-vorgeburtlichen.990.de.html?dram:article_id=433425
https://www.ethik-trifft-leben.de/pränataldiagnostik.html
https://www.praeimplantationsdiagnostik.net/argumente-gegen-praeimplantationsdiagnostik