Postludium
Vom Glauben, wieder daheim zu sein, bis zum Geruch von Waschmittel...
Wenn ich durch Hamburg laufe, dann fällt mir auf, wie wild und schmutzig die Stadt teilweise aussieht. Wo in Stockholm weder Graffiti an den Wänden noch alte Zeitungen auf dem Asphalt kleben, sind die Straßen und Häuserwände an der Elbe mit zerrissenen Plakaten geschmückt. Wie Hautfetzen kleben und flattern sie im nasskalten Wind. Bunte, wunde Löcher im riesigen Eventkalender unzähliger Indierockkonzerte.
Und es gibt hier so viel mehr Mütter, die ihre Kinderwagen über die engen Fußwege schieben und weniger Väter, die das die ganze Zeit in Stockholm taten und die S-Bahnzüge sind viel lauter hier. Generell riechen die S-Bahnen in Hamburg mehr nach Mensch, nach viel mehr Menschen als die Züge in Stockholm und die Sprachen, die man hier in der S3 hört, sind unbekannter als je zuvor.
Ich war auch im Arbeitsamt. Es war schlimm und komisch. Die Sachbearbeiterin hat mir ein Wort auf schwedisch gesagt, nachdem ich gesagt habe, dass ich ein Jahr in Schweden war und jetzt erstmal joblos in Hamburg gelandet bin. Sie sagte, um mir zu beweisen, dass sie ein wenig schwedisch kann "vad fan". Das heißt auf deutsch "was für eine Scheiße / so'n Mist!" Aber das sagte ich ihr nicht.
Der Proberaum der Band hat jetzt einen Kamin, der knistert im Takt, wenn man ganz langsam spielt. Das Klo dort ist atlantisblau angemalt und auch sonst, ist das alles anders jetzt. Ich hörte nur zu, spielte nicht mit, zu neu klingen die alten Stücke jetzt, so sehr viel besser und ausgereifter. Im Tourkalender stand Volksbühne Berlin. Das Konzert war gut gewesen.
Ich war auch wieder im Wäschekeller. Dort trinken wir inmitten duftender Klamotten seit eh und je immer heimlich Bier, wenn wir das Gefühl haben, dass alle Nachbarn migränisch sind und das Haus keinen Mucks machen darf. Wir hatten Kerzen und Bier von Penny, mal wieder richtiges Bier aus dem Supermarkt und ich hörte nicht auf zu erzählen, was ich das letzte Jahr so gemacht habe und sah alles wieder noch einmal. Die Schatten an der Wand waren die Geschichten in meinem Kopf.
Und heimlich im Ohr sauselten die Melodien Ennio Morricos. Sie rauschten durch meinen Kopf wie ein Satellit durch's All und seiften mich ein und machten mich hypnotisch und wehmütig, während ich mich mit einem Regisseur traf und wir uns über melancholische Western unterhielten. Ich werde seinen Film schneiden. Es ist kein Western. Irgendwann mache ich einen Film in Schweden, sagte ich meinen Eltern. Die Landschaft lässt mir keine Wahl. Irgendwann muss das raus aus meinem Kopf. Das ganze Erinnern macht mich mürbe, sagte ich zu ihnen.
Und wenn ich meine Pullover aus dem Schrank hole und mir überziehe, dann rieche ich mein schwedisches Waschpulver und dann ziehe ich sie wieder aus und einen anderen an, der nicht mit nach Schweden kam, um mich später an die Zeit dort erinnern zu können, wenn ich schwedische Waschmittelgerüche rieche, denn jetzt ist es noch zu früh.
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- Dies ist mein letzter Text. Also nicht für immer - aber zumindest auf diesen Seiten hier. Ich habe das Gefühl, dass ich weit davon entfernt bin zu begreifen, was dieses Jahr für mich bedeutet hat und in Zukunft bedeuten wird.
Bestimmt wird es einmal ein Denkmal werden. So eins, dass man ohne Ehrfurcht betrachten kann, einfach ein Denkmal zum Erinnern und zum gut finden, wie es war. Denn es war ein gutes Jahr. Ich kann es nur empfehlen. Ich würde gern so vielen Menschen noch einmal Danke sagen...
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