Ostern auf Vässarö
Ich habe keine bunten Eier gefunden, dafür aber das Paradies.
Es gibt Orte, die sind dafür gemacht, dass man für immer an ihnen haften bleiben möchte und ich hätte mir 2.000 Tonnen Sekundenkleber über die Füße gekippt, um nicht wieder fort zu müssen.
Es gibt Orte, die sind dafür gemacht, sein Leben zu überdenken und daran zu glauben, dass alles gut war und gleichzeitig hätte besser sein können.
Es gibt Orte, die verstecken sich irgendwo auf dem Globus und sind nicht mehr als ein Popel, wenn man sie nicht kennt und plötzlich Diamanten, wenn man Zeuge ihrer Natur geworden ist.
Vässarö ist ein Ort der Stille, des Waldes und der Küste, ein Ort, für den man keine zwei Umzugskisten benötigt, um sich wohlzufühlen, ein Ort, in dessen Zentrum ein klitzekleines Dörfchen unbeweglich in der Sonne innehält und drei Hunde herum streunen auf der Suche nach Neuigkeiten alles und jeden beschnuppern, aber am meisten träge in der Sonne liegen, auf einer alten Veranda aus verblichenem Holz.
Vässarö ist ein Ort, an dem der Himmel die Hauptrolle auf einer Bühne aus Ozon spielt und abends beendet die Sonne ihr Gastspiel und kehrt Heim in eine Sphäre aus Glut und morgens der selbe Streich nur umgekehrt. Und auf Felsen stehend erwarten wir das erste Licht des Morgens, sehen den Mond am Horizont über dem Meer aufgehen und wie er wandert, halb und prachtvoll orange wie eine überreife Frucht.
Vässarö ist ein Ort, wo jeder Felsen seine Geschichte erzählt, wo Piraten ihre Schätze verstecken, wo man morgens nach Lagerfeuer riecht, weil man Holz für eine ganze Biberarmee verkohlt hat und wo man nachts vor lauter Sterne deren Bilder nicht mehr sieht.
Vässarö ist eine Pfadfinderinsel, die den Pfadfindern gehört und da ich hier in Schweden jetzt welche kenne, durfte ich mitkommen.
Ich habe mir nach drei Stunden in dieser herrlichsten aller Pampa meine Klamotten eingesaut, ich hatte nur eine Einheit dabei. Aber egal, Schmutz ist Trend in Natur und vielleicht ja auch der neue Modehit auf Östermalm (diesem Diplomaten und VIP-Viertel Stockholms). Die Insel ist klein genug, um nicht verloren zu gehen und groß genug, um jeden Moment etwas zu entdecken. Wer hier wohnt und Kost und Logis (primitivste Hütten, Plumpsklos und Dusche ohne warmes Wasser) haben möchte, muss mithelfen, die Infrastruktur instand zu halten. Das heißt, in der Küche für alle Gäste kochen, Lichtungen roden, den Wald von totem Holz befreien, blasse Farbe mit neuer überpinseln. Abends darf man dann in der Sauna mit Panoramafenster direkt am Ufer schwitzen und wie Suppe dampfen, wenn man raus kommt in die kalte Luft der Nacht und ins Wasser hüpfen, zu jener Stunde, wo die Linie des Horizonts auf dem Wasser verschwindet, so wie Leute aus der Vergangenheit in Vergessenheit geraten und man sie nie wieder sehen wird, weil man nicht weiß, wo der Himmel beginnt.
Und diese Insel ist so schön und ich möchte hier nie wieder weg und der nächtliche Himmel ist unzerbrechlich und mit Millionen Geschichten geschmückt und wenn jeder Stern die Seele eines Verstorbenen wäre, dann gäbe es keine Menschen mehr – so viele brennen und verglühen und verschwinden am Firmament. Unsereins ist ein beschissener Haufen atmender Atome innerhalb einer Dimension, die zu gewaltig ist, um begreifbar zu sein. Wieso braucht man Zoos und Städten, Mathe in der Schule und Kreuzfahrten im Alter, wenn alles, was man genießen kann, auf unendliche Weise überall vorhanden ist?
Ich könnte die Augen schließen und mir vorstellen, ich sei Pirat in diesem Gewässer auf einem alten Holzboot mit einem dicken Rumfass an Bord mit einem Fernrohr aus Gold und alle Mann wären kuhl drauf, Hierachie wäre abgeschafft, weil jeder mal Steuern und in der Kombüse kochen darf und an jedem Hafen würden wir eine Band an Bord holen und hübsche Leute obendrein und feiern, bis unser Verstand an der Brandung der Unvernunft zerschellt.
Aber wir sitzen am Ufer und warten in der Nacht auf den Tag und schauen schweigend auf die Ostersonntagssonne, wie sie sich träge wie ein fettes U-Boot über den Horizont in den Himmel hievt und erst dann, wenn die Sonne wieder scheint, schlafen wir endlich ein.
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