Osten klingt gut
Johannson verbringt ein Wochenende in Bialystok und stellt zu seiner Überraschung fest, dass die Stadt zwar keine Metropole ist, aber doch einiges zu sehen und zu hören anbietet.
Samstagmorgen stehe ich früh auf und laufe bei der bereits hoch stehenden Sonne in einem weiten Bogen Richtung Markt. Ich werfe einen genaueren Blick auf die vortags gefundenen orthodoxen Kirche, wo schon wieder Gottesdienst ist. Heute merkt man, dass Bialystok tatsächlich keine Metropole ist. Sehr wenige Menschen auf den Straßen, die Touristeninformationen macht am Wochenende gar nicht erst auf. Über den Markt laufe ich zur großen katholischen Kirche, ein unspektakulärer neogothischer Anbau an eine gewöhnlich-hübsche barocke Kapelle, wo einige der frühen lokalen Adligen liegen. Wie immer Samstag Hochzeitsvorbereitungen.
Palastorchester
Über den etwas abseits stehenden Gästepalast der Branickis komme ich wieder zu ihrem eigentlichen Palast. Der ist wider erwarten offen, innen restauriert und nicht nur zugänglich sondern sogar ganz offiziell mit Besucherführern für die pausenlos anstürmenden Busgruppen ausgestattet. An eine davon schloss ich mich an, nur um mich bald wieder auszuklinken, sobald wir in die Aula kamen. Hier probten nämlich gutaussehende Musikstudentinnen für ein barockes Konzert und holten mit Kammermusik, Chor- und Sologesang den wohltemperierten Himmel von den frisch gemalten Stukkodecken. Hier blieb ich einige Zeit und übersetzte auf meinem Arbeitslaptop.
Gründungsmythen
Danach ging es endlich zum historischen Museum. Das ist untergebracht in der Villa der Familie Zitrone und stellte sich mehr als Nachstellung einer Fabrikantenvilla von 1910 raus. Unbeirrt fragte ich der jungen Historikerin mehr Fragen in den Bauch als ihr lieb waren und erhielt so endlich einen historischen Überblick über die Entstehung von Bialystok. Angeblich hat es Lodz industrielle kurzzeitig dank Lage an einer Eisenbahnlinie zwischen Petersburg und einem gewissen Warschau übertroffen, aber das würde ich persönlich mit großer Vorsicht genießen. Bei all dem Interesse zeigte sie mir noch die eigentlich kostenpflichtige Sonderausstellung (‚Der Sportklub Jagiellona’) und suchte mir einige Informationen aus dem Internet raus.
Fabrik
Dort erfuhr ich den Weg zu einer übrig gebliebene Fabrik, derer von Becker. Dorthin kam ich nach einem Umweg durch die uninteressante ehemalige evangelische Kirche; gebaut von einem Lodzer Architekten und auffallend ähnlich zu unserer evangelischen Kathedrale dort. Die alte Fabrik ist heute ein Einkaufszentrum, aber das eigentliche Gebäude ist schön wiederhergestellt, mitsamt Hermes auf dem griechischen Giebel.
Park
Jedoch hat es mich um einiges vom eigentlich geplanten Hauptziel weggeleitet, der größten orthodoxen Kirche Polens. Stattdessen kam ich zurück in die Parks der letzten Nacht. Das war nicht schlimm, denn es erlaubte mir das erste Softeis des Jahres und einen Tee in der gleichen Kneipe wie in der Vornacht, in der die Fans der Lokalmannschaft grad das erste Tor der Fernsehübertragung bejubelten.
Hütte
Auf dem Weg zur Bushaltestelle Richtung Kirche klapperte ich schon mal einige Punkte der gerade erhaltenen Karte mit dem jüdischen Rundgang ab, der das Denkmal der ehemaligen Großen Synagoge und das erhaltene Gebäude einer anderen beinhaltete sowie einen sehr interessanten Weg durch die elenden Häuser des alten jüdischen Viertels.
Was fürs Auge
Dann kam ich endlich zur orthodoxen Hauptkirche, 3 km außerhalb des Zentrums. Erst in den 80ern gebaut, aber auf die Orthodoxen kann man sich verlassen, zwar kein Außenputz auf den Ziegeln, aber Bilder auf jedem Flecken Innenraum.
Was fürs Ohr
Zum Abschluss fuhr ich zurück auf den Markt, wo sich das Festival mit polnischem Hip Hop abspielte und besoffene Fußballfans feierten. Später bin ich die gestrige Kneipe, wo man Musik zum Motto ‚wie kriegen wir Johannes am schnellsten dazu Polen zu hassen’ spielte.
Sonntag
Kaum war ich zurück in der Herberge, sah ich auf einem Plakat, dass es noch eine dritte wichtige orthodoxe Kirche außerhalb des Zentrums gibt, die Hagia Sofia heißt und angeblich eine Miniatur des Originals ist. Da musste ich am nächsten Morgen natürlich noch hin. Vorher bemerkte ich aber beim Frühstück noch, dass das regionale Fernsehen Programme für mindestens drei Minderheiten hat, Russen, Belarussen und Ukrainer.
Die Kirche war nichts Besonderes: kein einziges Kopftuch. Zurück auf dem Markt eine kleine Pause, einige Punkte der jüdischen Tour, dann Richtung Herberge zwecks Abfahrt. Auf dem Weg ging ich noch in die zentrale orthodoxe Kirche, wo gerade ein Drei-Stunden-Gottesdienst mit ganz vielen Kopftüchern zu Ende ging und ich ein merkwürdiges Stück Brot mit Siegelstempel erwarb.