Oh, the framer and the cowman should be friends - Wilder Westen in Irland
Jedes Jahr führt die Ennistimon Choral Society ein Musical auf. Dieses Jahr war es "Oklahoma!".
Jedes Jahr stellt die Ennistymon Choral Society ein neues Musical auf die Beine stellen – seit nunmehr 41 Jahren! Egal ob „Kiss me Kate“ oder „Fiddler on the roof“ usw. Nichts ist zu schwer, als dass es nicht umgesetzt werden könnte. Und so steht dieses mal eben „Oklahoma!“ auf dem Programm.
Seit Oktober wurde nun fleißig die Musik einstudiert, was mit der stimmgewaltigen Singkraft, die das Einsingen auf beeindruckende zwei Minuten reduziert und trotzdem noch himmlische, engelsgleiche Höhen und volle Tiefen erreicht, richtig Spaß macht. Das Musical sollte Anfang April aufgeführt werden. Das heißt, dass ab Ende Februar dann sogar schon mit der restlichen Produktion angefangen wurde, also Hauptdarsteller gesucht und Tänze einstudiert wurden. Dieser Zeitplan scheint vielleicht für irische Verhältnisse durchaus ausreichend zu sein, hat aber zur Folge, dass manche Hauptcharaktere ihren gesamten Text eine halbe Woche vor der Show immer noch nicht auswendig konnten. Das ließ natürlich die Laune des angeblich humorvollen Produzenten nicht unbedingt Freudenkapriolen schlagen und ihn mit seiner verkniffenen Leidensmiene eher wie einen gereizten Brummbären erscheinen.
Natürlich gab es dann am Ende einer jeden Probe von ihm geschliffene Reden, die die zum ersten Mal auf der Bühne probende, aufgeregt schnatternde Menge innerhalb weniger, eine Ewigkeit erscheinender Millisekunden in einen trostlosen Haufen verwandelte, der mit hängenden Schultern traurig vor sich hin trottend die Bühne verließ. Aber es wäre ja nicht Irland, wenn nicht schon bald die hoffnungsvollen Worte: „It's going to be grand!“ einem Sonnenstrahl nach einem heftigen irischen Regenguss gleich, unsere trüben Gemüter wieder aufbauten. Und so ging es los.
Doch für alle, die wie ich, noch nie was von „Oklahoma!“ zuvor gehört haben und das Musical nicht kennen, folgt hier erst einmal eine kurze Beschreibung: Es geschah zu der Zeit, als der neue Staat Oklahoma gerade in Amerika gegründet wurde, dass ein äußerst selbstbewusster Cowboy mit Namen Curley mit schweren Schritten und aufgerichtet wie ein Pfau in der Balz das kleine beschauliche Häuschen der lieblichen Laurey und deren Tante Ella kreuzt. Laurey, jung, ungestüm und unerfahren, möchte natürlich um nichts in der Welt zugeben, in den attraktiven sonnengebräunten Cowboy verliebt zu sein und versucht alles, um das irgendwie zu vertuschen. In ihrem eifrigen Bemühen stimmt sie unüberlegt sogar zu, mit dem grantigen Jud, der auf ihrer Farm arbeitet, zum Ball zu gehen - was sie eine Sekunde später allerdings schon bitterlich bereut. Laurey fürchtet sich nämlich vor ihrem Angestellten, der sie mit seiner dunklen bedrohlichen Aura und seiner abstoßenden Liebe zu diversen Frauenpostkarten verschreckt und mit seinen schwarzen unheilvoll lodernden Augen auszuziehen scheint.
Das ist die eine Seite der Geschichte. Doch dann ist da ja noch Laureys Freundin Ado Annie - eine naive quirlige junge Frau, die es einfach nicht über das Herz bringt „nein“ zu Männern zu sagen oder glühende, mit lyrischen Worten werbende Liebhaber abzuweisen. Das ist der Grund, warum sie sich plötzlich in der äußerst misslichen und bedauernswerten Lage sieht, sich zwischen zwei Männern entscheiden zu müssen. Der Eine von beiden liebt sie mit seinem bescheidenen schlichten Verstand aufrichtig, der Andere ist dafür ein persischer Händler, was natürlich mehr her macht. Das tragische daran ist jedoch, dass der Exot kein wirkliches Interesse an einer Hochzeit zeigt, aber da kann Ado Annie ja auf ihrem lieben Herrn Papa hoffen.
Mit viel Fantasie über romantische Stelldichein im Mondschein und ihrem natürlichen Charme, den sie unbestreitbar hat, erzählt sie ihrem Vater die tollste, ausgeschmückteste, verlogenste Geschichte über ihre Beziehung zum Kaufmann, die man sich überhaupt nur auf die Schnelle ausdenken kann. Daraufhin lässt sich der Perser dann unter unwesentlicher Nachhilfe eines lieblichen schwarzen Gewehrs des Vaters von Ado Annies doch noch von der Notwendigkeit einer Hochzeit überzeugen. Am Ende bekommen aber alle Charaktere ihren richtige Traummann ab und es kann Hochzeit gefeiert werden.
So weit die Geschichte, nun die irische Variante:
Wie immer wird schon einen Tag vorher die schon sehnsüchtigst erwartete Textnachricht herumgeschickt, dass den nächsten Tag, Freitag, Probe um 8 Uhr abends sei. Unmittelbar vor der Aufführung kann diese Nachricht schon getrost als (nützliche) Spam eingestuft werden, da die Proben nun bis zu fünfmal in der Woche stattfinden. Was man allerdings wissen sollte ist, dass wenn beispielsweise um 8 Uhr gesagt wird, die Grüppchen gut gelaunter, scherzender Menschen erst zwischen 8.10 und 8.30 Uhr gemächlich zum Probenraum, der den unbestechlich aufreizenden Charme eines Bunkers hat, eintrudeln.
Dann wird der lange Abend erst einmal mit einer guten Tasse irischen schwarzen Tees mit Milch und Keksen begonnen. Ein alltägliches, die Möglichkeit zum Klatschaustausch bietendes, Ritual, bevor die eigentliche Probe beginnt. Nach dem Schnelleinsingen, das auch schon mal ausfallen kann, wird dann geübt und geübt und geübt. „Lieblicher, nein, du musst einen winzigen Notenvorschlag warten, bevor du dran bist.“ „Will? Das ist dein Einsatz, nein, der Alt bitte noch einmal, der Sopran muss sich nicht verausgaben, wir hören ihn auch so!“ „Bitte die Endkonsonanten kürzer betonen, NEIN, ich hab gesagt alle warten einen Schlag, bis auf der Sopran, der darf als einziger singen, ihr wartete acht Schläge und DANN ist euer Einsatz, JETZT“ usw. usw. usw.
Doch ein Musical besteht ja nicht nur aus Musik, sondern auch – Tanzen! Das läuft so ab: Der Produzent stellt sich in die erste Reihe, zeigt die Schritte zwei- oder dreimal vor und die anderen versuchen verzweifelnd Arme und Beine zum richtigen Zeitpunkt koordiniert im richtigen Rhythmus anmutig aussehend zu verbiegen. Dabei wird sich hilflos am Vordermann orientiert, der ja aus unerfindlichen Gründen gerade was ganz anderes gemacht hat als man selbst und schließlich ist das Chaos perfekt. Klasse! Um den Haufen aufgeregter und verwirrter Menschen wieder in geordnetere Bahnen zu lenken, wird das ganze jedoch gefilmt und schließlich mit diesem Videomaterial dann die nächsten Einheiten geübt. So klappt am Ende dann doch alles noch mehr oder weniger rechtzeitig.
Und dann gehen die Proben auf der Bühne los – und die ist so miniaturhaft winzig, dass man ständig mit der Angst lebt, einen unabsichtlichen Kurzabstecher zum in der Handlung gefangenen Publikum zu machen. Doch es muss gehen. Dann wird es ernst. Die Spannung steigt, die Texte sitzen noch nicht richtig, der Ausdruck ist auch noch sehr verbesserungswürdig und die Kostüme treffen erst zwei Tage vorher ein. „Hast du auch die passenden Schuhe?“ „Stiefel mit Schnürsenkel?“ „Du brauchst noch eine Waffe? Ich sehe mal nach.“ „Passt auf eure Cowboyhüte auf!“ „Mein Kleid muss enger gemacht werden!“ Das ist ein drunter und drüber. Irgendwann stellt sich jeder ausgelaugt und von der vielen konstruktiven Kritik vollkommen am Bühnenboden zerstört die Frage, wie denn die Aufführung zu überstehen sei.
Aber dann ist es soweit. Das Licht geht aus, die liebliche Orchestermusik setzt ein, die erste Show beginnt und mit ihr kommt der unbändige Spaß, der mitreisende Elan, die grandiose Ausstrahlung und der Funke springt begeistert hüpfend zum Publikum über. Egal ob der in den Proben bisher immer etwas gar sehr orientierungslos ausgesehene Stepptanz, die aufreizenden Huren in glänzenden roten Kleidern und hochgehobenen Röcken, die ausgelassenen Feierstimmungen mit beeindruckenden Massentanzszenen, die ergreifenden Momente in zu Herzen gehender Zweisamkeit, die durch exzellente schauspielerische Leistungen hervorgerufenen lustigen Situationen oder die finale Hochzeit! Alles klappt wie am Schnürchen. Die Stimmung ist grandios und alle Akteure haben einen fast schon kindlichen Spaß, den man ihnen an der gepuderten und überschminkten Nasenspitze ansehen kann.
Kleine Kinder im Publikum feuern die Männer bei jeder Kampfszene lautstark und begeistert an. Sie kommentieren jeden einzelnen Hieb mit einer unbändigen Begeisterung, sodass es uns Akteuren äußerst schwer fällt, die geforderte ernste Miene beizubehalten, um die geforderte Tragik auch würdevoll auf die Bühne zu bringen. Hinter den Kulissen wird mit Bergen von hervorragendem, selbstgebackenem Kuchen oder Scones – es war ja schließlich Fastenzeit – ausreichend für das leibliche Wohl gesorgt. Und hinterher heißt es: Wir treffen uns im Pub – einverstanden? Es war einfach großartig.
Wer auch immer einmal die Möglichkeit haben sollte, in so einem Laienmusical mitzuwirken, sollte sie ergreifen – vorausgesetzt das Musical ist gut. Es ist eine einmalige Erfahrung, die man nie mehr vergessen wird – und ich ertappte mich selber dabei, wie ich mich auf jede neue Vorstellung freute und selbst tagsüber die Lieder vor mich hersummte: „We're only saying your doing fine Oklahoma, Oklahoma, ok! Jau!“.