Noch lange nicht auf dem Abstellgleis
Bahn, bäh? Nicht in Tschechien.
Wie könnte man über die Eisenbahn schreiben, ohne die glorreiche Deutsche Bahn zu erwähnen? Dieser Witz von Unternehmen, dessen einzige, zuverlässige Eigenschaft die eigene Unzuverlässigkeit ist. Neun Stunden statt sieben nach Dresden und auch danach wurde es nicht besser. Wenn ich das Deutsche-Bahn-Rot allein schon sah, wurde ich zum Bullen, der mit absolutem Zerstörungswillen darauf zurannte, nur dass dort daneben eben kein Dompteur sein würde, der das Tuch wegzieht, sondern das kalte Metall, an dem ich elendig zerschelle. Schwört man sich auch stets nach jeder Fahrt wieder, dass diese die letzte gewesen sein soll, so ist man in ein paar Wochen wieder auf dem Bahnsteig. Wartend, sich ärgernd. Dass der Wechsel in die Tschechische Republik einiges ändern wird, war einem vorher bewusst. Klar war auch, dass man wieder – beziehungsweise weiterhin – auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein wird. Wenn auch ungern. Dass die Erfahrung am Ende so gut sein würde, hätte ich nicht erwartet. Genießen Sie einen zur Abwechslung mal positiven Text über die Lokomotive.
Bahnhofscharakter hat dieser Bahnhof nicht. Nur wenige Leute sieht man, aus der Ferne, es ist ein Bus- und Bahnbahnhof (welch’ unschöner Pleonasmus), in die Länge gezogen, sodass sich die Menschen verteilen.
Um eine Fahrkarte zu kaufen, muss man in das Bahngebäude. Kein toller Automat mit berührungsempfindlichem Bildschirm, der einem den Kauf mehr zu erschweren als zu erleichtern versucht. Als aus Schwäbisch Gmünd Stammender habe ich in dieser Sache schon genug Negativerfahrung mit der Deutschen Bahn sammeln dürfen. Mal ganz abgesehen von der obligatorischen Verspätung, den dreckigen Zügen gefüllt mit Feiervolk und den hohen Preisen ist allein schon das Gebäude der Bahn die allumfassende Metapher für deren Unternehmensphilosophie. Der Boden war mal grau und aus Stein. Mittlerweile ist er fast schwarz, übersäht mit Kaugummis, komisch klebrigen Flecken und festgetretenen Verpackungen. Dagegen in Tschechien? Klinisch reiner, gefliester Boden, viel Licht, eine offene Atmosphäre. Es fühlt sich mehr wie ein Büro als ein Bahngebäude an. Es gibt viermal drei Sitzplätze und eine freundliche Dame am Fahrkartenschalter. In einer Minute ist die Fahrkarte gekauft. Von dem Tschechisch nicht mächtigen, jungen Leuten. Gleichzeitig hat auch noch der Gruppentarif funktioniert. Wir zahlen 30 Kronen für die 41-minütige Fahrt. Es scheint wirklich so, als funktioniere alles von alleine. Nicht allgemein auf Tschechien bezogen, da ist eher das Gegenteil der Fall. Dass aber ausgerechnet der Bahnausflug bisher so reibungslos funktioniert, erstaunt mich. Da wir spät dran sind – wegen wem wohl? – gehen wir direkt zu den Zügen. Der erste Zug ist es nicht. Das sagt uns ein netter Lokführer, der aus seinem Fenster zu uns spricht. In Deutschland wäre der Zugführer jetzt schwer damit beschäftigt, mit seinem Mobiltelefon zu spielen. Wohin das führen kann, hat uns das Zugunglück in Bad Aibling tragisch vor Augen geführt.
Der Zug, der nun einfährt, ist es schon. Eine alte Maschine, rot und so gar nicht im Stil des Gewohnten, der Deutschen Bahn. Wir steigen in den Zweite-Klasse-Abteil ein. Für große und breite Menschen wurde dieser Zug nicht geschaffen. In beiden Richtungen wird es eng. Der erste Eindruck im Zug ist durchweg positiv. Sauber, hell, nicht zu voll. Wir finden einen geeigneten Platz. Die anderen Fahrgäste mustern uns, als wären wir Tiere in einem Zoo. Englisch zu sprechen würde ich im 21. Jahrhundert nicht mehr als ungewöhnlich einstufen. Es ist eben der einzige Weg, Spanier, Esten, Litauer und Deutsche zu einen. Für keinen ist es die Muttersprache. Wir bedienen uns gezwungenermaßen diesem kleinsten gemeinsamen Vielfachen. Unsere Gruppe ist relativ übersichtlich. 10 Leute. Trotzdem eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass am vorherigen Tag ein großes Weinfest stattfand. Scheinbar haben nur die hohen Preise die Gäste vor Schlimmerem bewahrt. Auf diese Weise gingen sie den 09:42 Uhr-Kompromiss gern ein. Noch zuvor hatte man sich auf dem Weinfest für einen späteren Zug eingesetzt, die deutsche Dominanz konnte sich dann am Ende jedoch durchsetzen. Auch wenn es unbequem sein mag, so früh schon aufzustehen, es ist die vernünftigere Lösung. So haben wir noch was vom Tag. Genau aus diesem Grund sind wir schon vor zehn am Bahngleis. Für unsere Verhältnisse ist das früh. Bei vorhergegangenen Wanderausflügen war es dagegen für uns Deutsche auch nicht selten, um 04:47 Uhr morgens schon aufzubrechen. Aus dieser Perspektive erscheint der 09:42-Uhr-Zug nun als Langschläferlösung.
Jedenfalls sitzen wir nun alle im Zug und warten auf das Losfahren. Es geht recht zügig los. Wir verlassen Náchod und werden sofort einer Fahrkartenkontrolle unterzogen. Während diese in Deutschland ja eher einem Verhör ähnelt, bei dem lieber dreimal überprüft wird, ob die Internet-Fahrkarte nicht vielleicht doch eine Fälschung ist, geht das in Tschechien völlig unkompliziert. Unsere Gruppe erkennt der Kontrolleur, dessen Äquivalent in Deutschland ja meist eine Frau ist, und bedankt sich freundlich. Ich habe immer noch das Bild der kugelrunden Fahrkartenkontrolleurin in Bahnkleidung und mit umgehängtem Kontrollgerät im Kopf. In Tschechien ist vieles besser, unter anderem auch die Fahrkartenkontrolleure.
Die nächste Station ist Hronov. Hier steigen zwei Leute aus unserer Gruppe zu. Eine Spanierin und eine Deutsche. Gleichzeitig die sinnbildlichen Vertreterinnen des unseren EVS im Allgemeinen. Die Häufung spanischer und deutscher Freiwilligen ist kaum zu übersehen. Nun sind wir immerhin schon zwölf Leute. Es erstaunt mich immer noch, dass nach dem Weinfest tags zuvor tatsächlich eine solch große Wanderlust zu existieren scheint. Nachdem wir Hronov verlassen haben, wird auch die Landschaft immer ländlicher. Die Natur wird schöner, die Gebäude werden es nicht. Sowjetische Relikte eben. Nicht wirklich schön anzusehen, aber irgendwie doch mit einem gewissen Charme verbunden. Während in Deutschland täglich alte Bausubstanz verschwindet, bleibt sie im ländlichen Tschechien bestehen. Es gehört eben zum Gesamtbild dazu. Erst dadurch lernt man Städte wie Kudowa-Zdroj zu schätzen. Die polnische und schönere Schwester von Náchod, eine Kurstadt mit reichlich Reichtum und einem wunderbaren Stadtbild. Nun sieht man eben mal die andere Seite Tschechiens. Einerseits ähneln die Gebirgszüge der vertrauten Schwäbischen Alb, andererseits ist die Landschaft dann doch anders genug, um für mich schon als typisch tschechisch zu gelten. Sie müssen es sich vorstellen wie die Ostalb mit weniger Bergen und helleren Wiesen. Besonders lange verweilt mein Blick nicht. Die Zugfahrt ist recht angenehm. In Deutschland hätte ich jetzt entweder einen Wasenbesucher oder einen schnapstrinkenden Alten. In meinem Abteil befinden sich lediglich Familien, deren Kinder brav bei den Eltern sitzen und junge Leute. Ein guter Ort zum Arbeiten. Dieser Eintrag entstand zum Beispiel während dieser Zugfahrt. Nach all den schlechten Erfahrungen war es angenehm, zu sehen, wie es eben auch gehen kann. Eine Welt, in der die Zugfahrt nicht auf ihren primitivsten Zweck, den Transport, reduziert ist, sondern eine ausschmückende Komponente hat, die die Fahrt zu einem eigenen Erlebnis macht.