Nie läuft etwas so, wie es geplant war
Über die Verlässlichkeit der französischen Werkstätten, die Tatsache, dass Papierschöpfen jeden wieder in ein Kind verwandelt, abenteuerliche Warteszenarien und die Löwen von Lyon
Montag, 30.11.2015 Voller Tatendrang von unserem Treffen und voll mit der Energie der anderen drei, wage ich mich heute in aller Frühe nach draußen und gebe Jacques, Blanca und Gina die Bewegung, die sie brauchen. Gedankenverloren stapfe ich durch den menschenleeren Wald. Als wir uns bereits auf dem Rückweg unserer Runde befinden, nagt Jacques plötzlich an etwas. Ich denke mir erst nichts dabei. Als ich mich ihm aber nähere, beginne ich zu realisieren, an was genau er da gerade nagt... Es ist ein halbes Reh. Zwar erkennt man das Reh nicht mehr, aber es handelt sich doch eindeutig um ein Waldtier. Und da gibt es in unserem kleinen Wäldchen nun nicht so viel Auswahl. Vermutlich ist das eines der Überbleibsel der Jagd von gestern. Irgendwann habe ich einmal von einem Engländer, der angefahrene Tiere von der Straße aufsammelt, einfriert und verzehrt, gehört. Wäre ich nicht Vegetarier, könnte ich etwas Ähnliches nun auch machen. Da mich das ganze aber doch etwas anekelt, dränge ich meine drei Begleiter zum Weiterlaufen. Auf der Arbeit machen M. Und ich heute sogenannte „Interdit“-Schilder. Dabei handelt es sich um kleine Holzplättchen, die vor Türen oder Bereichen angebracht werden, die nicht für die Kinder gedacht sind. Dementsprechend darf ich eine wunderschöne (und natürlich sehr ersichtliche) durchgestrichene Hand zeichnen. Mit Pattafix kleben wird das dann an die Wände. Außerdem fahre ich den Camion noch in die Werkstatt. Wir bekommen nämlich endlich Winterreifen! Unglaublich. Ich dachte die bekommen wir gar nicht mehr.
Dienstag, 01.12.2015 Da M. Heute seine Überstunden abbaut, die er während meines Straßbourg-Bummels aufgebaut hat, fange ich heute alleine an. Wobei alleine auch relativ ist. Schließlich sind meine anderen Kollegin und S., unsere Praktikantin, mit von der Partie. Vormittags haben wir die obligatorische Reunion. Nach einer gemeinsamen Mittagspause ist der Teil im Büro für heute auch beinahe schon wieder vorbei. Um kurz vor halb vier, nimmt M. (der Sekretär) M. Und mich mit zur Autowerkstatt, wo wir den Camion abholen sollen. Von dort aus sollen wir dann direkt zum Tap fahren. Als wir an der Werkstatt ankommen, sind wir noch relativ zuversichtlich. Nach und nach wird aber klar, dass hier nach französischer Manier gearbeitet wird. Wenn gesagt wird, dass etwas um 15 Uhr fertig ist (z.B. ein Auto), heißt das noch lange nicht, dass es das dann auch wirklich zu besagtem Zeitpunkt ist. Als wir um halb vier an der Werkstatt ankommen, sagt uns die Dame an der Anmeldung, dass der Camion gleich herausgefahren werden würde. Und so warten wir. Und warten. Und warten. Das Ganze zieht sich ewig dahin. Um Viertel vor vier sollten wir eigentlich schon in Orcier sein und mit dem Tap beginnen. Stattdessen stehen wir noch in Allinges und warten auf den Camion. Um fünf vor vier dürfen wir uns schließlich in den Camion schmeißen. Da wir zeitlich ziemlich in Verzug sind, fährt M. Nach Orcier. Ich traue mir nämlich nicht zu wirklich sehr schnell über die schlaglochübersehten Straßen zu rasen. Als wir in Orcier ankommen, haben E. Und S., denen ich während unserer Warterei eine SMS geschrieben habe, geistesgegenwärtig reagiert und die Kinder unserer Gruppe zu sich geholt. Wir sammeln unsere Kleinen dann in der Turnhalle ein und müssen uns erst einmal einer Frageflut stellen. Nachdem wir den Kindern begreiflich gemacht haben, dass unsere Verspätung auf unser Auto zurückzuführen ist, haben wir noch eine schöne, aber auch sehr kurze Tap- Stunde. Abends will ich eigentlich skypen. Allerdings funktioniert das Internet nicht. Das ist doppelt blöd. Zum Einen wegen des nicht funktionierendens Skypens (und dann auch noch am Geburtstag meiner Mama...), zum Anderen, da ich dann nicht die Zugtickets für das nächste Wochenende buchen kann. In Straßbourg fiel mir ein, dass A. Ja gar nicht so weit von uns entfernt wohnt und ich ihn am nächsten Wochenende besuchen könnte. Ich will an meinem Geburtstag nämlich nicht alleine tatenlos herumsitzen. Dann geht es noch zum Badminton. Dort mache ich wieder mit der großen Deutsch-Begeisterung Bekanntschaft. Es erstaunt mich jedes Mal aufs Neue, wie viel Deutsch die meisten Franzosen doch können und wie sehr sie sich freuen ihre Kenntnisse an mir zu testen. So kommt es, dass S., mit dem ich heute Abend ein Doppel spiele, beginnt jede Aktion, die wir ausführen mit wahlweise „Mannschaft gewinnt“ oder „Mannschaft in Schwierigkeiten“ zu kommentieren. Hach, ich bin einfach froh, dass ich den Schritt zum Badminton gewagt habe. Die Leute dort sind super nett und es macht jedes Mal aufs Neue Spaß.
Mittwoch, 02.12.2015 Da E. Heute krank ist und keiner sie ersetzt, sind wir mit dem Personal mal wieder etwas knapp besetzt. Für T., mich und unsere Gruppe hat das aber keine spürbaren Auswirkungen. Wir beide haben uns für heute überlegt, dass wir mit den Kindern Papier selber schöpfen möchten. Um genügend Rohmaterial für unser Projekt zusammen zu bekommen, haben wir die Kinder gebeten, altes Papier mit zu bringen. Das klappt sogar erstaunlich gut. Nach der temps calme teilen wir die Gruppe auf. Wir sind insgesamt erstaunlich viele Kinder. Darum nehme ich zunächst acht mit mir in den Garten und harke eifrig Laub. Das ist ganz praktisch. Denn: 1. Wir haben eine Beschäftigung für die Kinder, 2. Wir haben eine Beschäftigung, die im Entferntesten mit „Klimawandel“ zu tun hat, 3. M. Und ich haben an den anderen Tagen weniger Arbeit im Garten, da das Laub schon zusammen geharkt ist. Kurz um: Es gibt eigentlich nur positive Aspekte. Da wir aber keine 1,5 Stunden zum Laub harken brauchen, hänge ich am Ende der Gartensession jeweils noch ein Spiel dran. In der Halbzeit tauschen T. Und ich die Gruppen. Mit der folgenden Gruppe harke ich auch noch etwas Laub und verteile abschließend Stroh auf dem Beet, damit wir die Pflanzen vor dem kommenden Frost schützen. Das Papierschöpfen macht den Kindern viel Spaß. Und auch T. Finde ich glücklich am Matschen vor. Das Ganze ist zwar eine Einzige Sauerei, aber Kinder macht es ja bekanntlich glücklich, wenn sie herumsauen dürfen. Zum Goûter gibt es heute die – besonders von mir – heiß geliebten Tartines. Denn wer schmiert die auf die Schnelle? Ich. An sich sollte man meinen, dass das Baguettebeschmieren eine Sache von zwei Minuten ist. Mit der Esskastanienkonfitüre ist das aufgrund der enthaltenen Stückchen aber etwas schwieriger... Nachdem die Kinder mit Essen ruhiggestellt wurden und einige bereits abgeholt wurden, spiele ich mit einem der ganz Kleinen eine Runde Tischfußball. Ich sehe es schon kommen. So häufig wie ich hier spiele, kann ich bald an der internationalen Tischkickerweltmeisterschaft teilnehmen.
Donnerstag, 03.12.2015 Da das Internet bei uns zu Hause immer noch nicht funktioniert, gehe ich zu A.-M. Um mein Zugticket fürs Wochenende zu buchen. Doch auch bei ihr funktioniert das Internet nicht so wirklich. Kurzer Hand wird ihr Sohn J., der einzige, der etwas von Technik versteht, gerufen um das Internet zu „reparieren“ (letztendlich musste man nur einen Stecker kurz heraus ziehen, um ihn dann wieder in die Steckdose zu stecken). Als es schließlich funktioniert und ich eine Verbindung heraus gesucht habe, stelle ich fest, dass ich ein Kästchen falsch angekreuzt habe. Zu spät. Meine Panik wird noch größer, als ich eine Bestätigungs-E-mail - aber kein E-Ticket - zugeschickt bekomme. Habe ich jetzt 40 Euro umsonst ausgegeben und immer noch keine Fahrkarte? J. Klärt mich auf und erklärt mir, dass ich nur zum Bahnhof gehen und meine Karte in den Fahrkartenautomat stecken müsse. Hach, das ist aber auch alles kompliziert. Gesagt, getan. Wenig später halte ich schließlich meine Tickets in der Hand. Dem Wochenendausflug steht nun nichts mehr im Weg. Abends geht es wieder zum Flagfootball. Schön wie immer. Ich bekomme wieder ein paar neue Spielzüge erklärt und versuche sie zu verstehen (sowohl sprachtechnisch, als auch von der Technik) und in meinem Hirn abzuspeichern.
Freitag, 04.12.2015 Am Morgen beginne ich für meinen Ausflug nach Lyon zu packen. So viel brauche ich eigentlich nicht. Aber mit Kulturbeutel, Handtuch und Schlafsack kommt dann doch so einiges zusammen. Nachdem mein Zimmer auch einmal durchgesaugt und ich durchgelüftet bin, geht es auch schon zur Arbeit. Es ist immer wieder sehr erstaunlich, wie schnell die Zeit vor der Arbeit vergeht. Und das, obwohl ich früh aufstehe. Nach der Arbeit packe ich noch schnell die letzten Sachen. In Thonon geht es erst um halb sieben los. Ich habe also noch etwas Zeit. In meinem Packendspurt ruft mich noch F. An, mit der ich noch ein gutes Halbesstündchen plaudre. Es ist immer wieder schön, wenn man durch solche kurzfristigen Aktionen überrascht wird. M. hat sich netterweise mal wieder dazu bereit erklärt meinen Taxifahrer zu spielen und bringt mich runter zum Bahnhof. Von dort aus nehme ich den Zug direkt nach Lyon. Wobei direkt auch wieder eine sehr relative Behauptung ist. Eigentlich soll die Fahrt „nur“ drei Stunden dauern (Ich war selber überrascht. Per Luftlinie ist Lyon gar nicht so weit entfernt. Das Problem ist allerdings, dass ich erst einmal aus unserem See-Berg-Tal herauskommen muss...). Eigentlich. Doch unser Zug bleibt mitten auf der Strecke stehen. Ich denke mir zunächst nichts dabei. Als die Minuten, die wir scheinbar sinnlos auf dem Gleis herumstehen, sich aber mehr und mehr ansammeln, beginne ich mich doch langsam zu fragen, ob es dafür einen triftigen Grund gibt. Und den gibt es, wie wir einige Minuten später der Lautsprecherdurchsage entnehmen wirklich: Am Bahnhof Lyon Part-Dieu – meinem Zielbahnhof – wurde ein verdächtiger Gegenstand gefunden. Darum bleiben wir auf unbestimmte Zeit stehen, bis sich die Lage dort geklärt hat. Irgendwie hatte ich das schon im Gefühl, dass etwas mir die Fahrt erschweren wird. Trotz allem hoffe ich das Beste für mich. Während ich mir die Zeit mit Lesen vertreibe, nutzen die Kinder, die auch in meinem Wagon sitzen die Zeit, indem sie „Frozen“ schauen. Der Film ist hier der Hit und besonders das Merchandising schlägt – zumindest der Garderobe unserer Tap-Kinder nach zu urteilen – in Frankreich total ein. Ich lausche Elsas und Annas Gesang. Mit 1,5 Stunden Verspätung macht sich der Zug dann schließlich wieder auf den Weg. Als ich am Bahnhof in Lyon ankomme, nehme ich das Gleis wirklich ganz genau unter die Lupe. A. Kann ich aber nicht finden. Grr, warum muss das gerade mir passieren? Naja, vielleicht wartet er auch einfach unten im Bahnhof. Darum gehe ich die Treppen runter ins Bahnhofgebäude. Aber weit und breit kein A. Bei mir kommt leichte Panik auf. Trotz allem versuche ich einen kühlen Kopf zu bewahren, was mehr oder weniger funktioniert. Denn die ganze Geschichte hat einen Haken: A. Besitzt kein Handy und ich habe auf meinem Handy kein Internet, sodass wir nicht miteinander kommunizieren können. Ich versuche optimistisch zu bleiben. Vielleicht hat er gesehen, dass mein Zug Verspätung hat und ist noch mal nach Hause gefahren? Bepackt mit meinem Rucksack und meinem Schlafsack schlendre ich insgesamt mindestens sieben Mal durch das gesamte Bahnhofsgebäude. Doch weit und breit kein A. Schließlich stelle ich mich draußen vor die Metro-Station wie wir für den Notfall ausgemacht haben. Leider stehe ich dort aber nicht alleine. Um mich herum sammeln sich immer mehr mysteriöse Gestalten an. Irgendwann beschließe ich, dass es vermutlich für A. Keinen großen Unterschied macht, ob ich nun draußen vor dem Bahnhof oder drinnen am Eingang warte. Drinnen komme ich dann auf die Idee V. (eine andere Freiwillige, die ich auch in Narbonne kennengelernt habe, und die gemeinsam mit M. Und anderen ihrer Mitfreiwilligen an diesem Wochenende auch zufällig in Lyon sein will) anzurufen. Vielleicht kann sie mit A. Schreiben oder im äußersten Notfall mir einen Schlafplatz anbieten. Leider geht sie aber nicht an ihr Handy. Langsam wird die Panik etwas ausgeprägter. Ich kann doch nicht den ganzen Abend hier am Bahnhof abhängen. In meiner Fantasie sehe ich mich schon in der Nacht Runden mit dem Sicherheitspersonal durch den Bahnhof zu drehen. Häufig unterschätzt man ja die Nettigkeit des Sicherheitspersonals... Plötzlich ruft mich eine fremde Nummer an. Verwirrt gehe ich ran. Es ist A. Zum Glück! Ich bin erleichtert. Nach 1,5 Stunden Warterei, bekomme ich doch Aussicht auf ein Dach über dem Kopf. Wir machen aus, dass ich wieder zur Metro-Station gehen und dort warten soll. Das mache ich. Ich warte. Und warte. Und warte. Eigentlich wollte A. In 20 Minuten da sein. Nach 25 Minuten ist er aber immer noch nicht da. Ich stehe weiterhin tapfer vor der Drehtür der Metro. Hier ist es ähnlich wie in London. Um in die eigentliche Station zu kommen, muss man vorher ein Ticket kaufen und dieses an der Drehtür entwerten. Ich stehe dort aber nicht alleine. Neben mir platziert sich eine sehr aufgetakelte Dame. Zunächst denke ich mir dabei nichts. Schließlich wird mir aber klar, warum sie dort steht. Auch, wenn ich mit meiner knallgelben Schlafsacktasche und dem großen Rucksack garantiert von den Leuten nicht in eine Schublade mit ihr gesteckt werde, beschließe ich wieder in den Bahnhof zu gehen. Dort fühle ich mich sicherer. Und ich hatte jetzt ja auch nicht vor hier mit einem finanziellen Plus raus zu gehen. Wenn überhaupt habe ich mit Ausgaben gerechnet. Im Bahnhof wird das Publikum langsam aber auch immer komischer. Wo bleibt A.? Plötzlich vibriert mein Handy. Eine SMS. Und mir wird einiges klar. A. Hatte es so gemeint, dass ich die Metro bis zu ihm nehmen und dort warten soll. Darum gehe ich wieder runter zur Metro-Station. Vorbei an den Leuten, an denen ich nun schon sieben Mal vorbei getrabt bin. Die müssen sich auch ihren Teil dazu denken. Naja, egal. Mich kennt hier ja sowieso keiner. Ich ziehe also ein Ticket, versuche mich in den Tiefen der Metro-Station zurecht zu finden und stehe schließlich am richtigen Gleis. Als ich dort so rumstehe, ruft mich die fremde Nummer wieder an. Diesmal ist es aber nicht A., sondern die Dame, der das Handy eigentlich gehört. Scheinbar hat A. Sich jetzt auf den Weg in Richtung Hauptbahnhof gemacht. Und schließlich taucht er sogar bei mir auf. Was ist das für eine Erleichterung. Endlich kann ich mich etwas entspannen. Jetzt ist ja das schwierigste Stückchen der Strecke geschafft. Vollkommen fertig sitzen wir dann in der Metro. Um halb eins kommen wir in A.s WG an. Dort herrscht ein großes Kommen und Gehen. Alle seine Mitbewohner sind künstlerisch hoch-talentiert und typische Franzosen. Wobei man eigentlich eher Mitbewohnerinnen sagen sollte. Von den sechs Mitbewohner sind nämlich fünf weiblich. Direkt mache ich mit J. Und J. Bekanntschaft. Bei einer Tasse Tee wird noch etwas geplaudert und dann falle ich in einen tiefen, komatösen Schlaf.
Samstag, 05.12.2015 Als ich diesen Morgen aufwache, bin ich zunächst verwirrt. Wo bin ich denn hier? Warum liege ich auf einer Matratze praktisch unter einem Schreibtisch? Warum ist die Decke so hoch? Und was ist das für ein Fenster? Dann fällt es mir ein: Ich bin ja gar nicht in l'Ermitage, sondern in Lyon. Vollkommen schlaftrunken tappe ich auf die Toilette und bestaune erst einmal die dortigen Wände. Die künstlerische Freiheit von A.s Mitbewohner kann auch nicht von der Anwesenheit einer Toilettenschüssel aufgehalten werden. Die ganzen Wände sind collagenartig mit Fotos überseht. Da gibt es erst einmal viel zu sehen. Und ich bekomme durch ein paar Landschaftsaufnahmen auch ein paar Eindrücke von der Stadt. Als ich ins Zimmer zurück komme, hat A. Bereits den Rollladen hoch gezogen und ich stehe mit offenem Mund am Fenster. Bereits gestern Abend habe ich einen Blick riskiert. Dabei konnte ich aber nicht so super viel sehen. Heute sieht das aber wortwörtlich ganz anders aus. Direkt vorm Fenster fließt ein großer Fluss entlang. Direkt daneben die Autobahn und auf der andern Seite ein riesiges Stadion. Wir frühstücken bei einer Tasse Tee. J. Leistet uns Gesellschaft. Dann machen wir uns in aller Frühe auf den Weg zum Markt. Mit der Metro fahren wir einige Stationen, laufen dann ein Stückchen. Vor mir liegt eine lange Straße, die eine mehrere Kilometerlange Marktmeile zu bieten hat. Ich kann mich an den vielen Früchten, Säften und Gemüsesorten gar nicht satt sehen. Alleine durchs Anschauen bin ich beinahe wieder satt. A. Macht seinen Wocheneinkauf und ich wünsche mir genau so einen Markt auch nach l'Ermitage. Es ist einfach herrlich morgens über den Markt zu schlendern und die Auslagen zu bestaunen. Und dann ist alles auch einfach viel billiger als im Intermarché. Nach dem kleinen Shoppingausflug, flanieren wir noch schwer bepackt durch die Stadt. Mehr oder weniger erfolgreich. A. Erklärt sich zu meinem Guide und lotst mich durch das bunte Stadtgewimmel. So erfahre ich, dass Lyon in neun Arrondissments – Stadtviertel (bzw. dann eher Stadtneuntel...) - unterteilt ist. Die Aussicht von dem Hügelchen, auf dem wir uns gerade befinden, kann ich leider nicht ganz uneingeschränkt genießen, da die Stadt momentan sehr nebelverhangen ist. Darum steigen wir hier ein paar Treppen herauf, dort ein paar Treppchen herunter, laufen anderen Leuten quasi durch den Hausflur und landen dann schließlich wieder bei A. Zu Hause. Dort kochen wir unser Mittagessen, erholen uns kurz und stürzen uns nach der kleinen Pause wieder ins Getümmel. Nach einem Stadtbummel (viel kann ich hierbei aber nicht kaufen, da ich meine Kreditkarte blöderweise zu Hause vergessen habe. Als ich heute Morgen bemerkt habe, dass sie fehlt, habe ich den nächsten großen Schrecken bekommen. Ein intensives Nachforschen bei M. Und eine schnelle Suchaktion seinerseits in meinem Zimmer später, war Klarheit angesagt. Ich hatte sie schlicht und ergreifend zu Hause vergessen. Ich hatte mir schon Horrorszenarien ausgemalt und überlegt, wie ich die Karte am besten sperren kann. Nun muss ich eben mit dem wenigen Bargeld auskommen, das ich mitgenommen habe.), machen wir uns auf den Weg in die Altstadt. Wir wagen uns den Berg hinauf. Immer höher, immer höher. Wir überholen immer mehr Touristen. A. Läuft nämlich noch schneller als ich und das soll etwas heißen. Immer mehr Treppen geht es hinauf. Bald kommt mir in den Sinn, dass ich mich vielleicht mal für den New Yorker Treppenmarathon anmelden sollte. Nach diesem Wochenende voller Bergauf-Bergab-Wanderungen bin ich jeden Falls gut trainiert. Aber zurück zur Treppe. Langsam nähern wir uns der Kathedrale, die eine der größten Touristenattraktionen Lyons zu sein scheint. Schön ist sie schon, aber was mich noch mehr fasziniert ist der sagenahafte Ausblick, den man von hier aus hat. Und eigentlich könnte ich auch viel sehen. Eigentlich. Wäre da nicht die große Touriansammlung, die an der Brüstung lehnt. Nach einigen Minuten vergeblichen Wartens, traben A. Und ich mit einem kleinen Umweg über die Miniatur-(aber trotzdem ziemlich großen!)baute des Tour d'Eiffels, zu einem besseren Aussichtspunkt. Vorher passieren wir aber noch ein altes Amphitheater. Es ist unglaublich, wie riesig das ganze Konstrukt ist. Als wir versuchen von ganz oben durch Von-Fels-Zu-Fels-Hüpfen nach unten zu gelangen, muss ich mir schließlich dann doch eingestehen, dass Rucksäcke nicht immer das Praktischste sind. Den ganzen Tag kommt die Sonne nicht wirklich heraus und der Nebel, der uns heute Morgen beim Gang über den Markt die Sicht geraubt hat, liegt immer noch wie ein weißer Schleier über der Stadt. Von unserer neuen Aussichtsplattform, die im Übrigen auch nicht so überfüllt von Touristen ist, hat man eine sehr gute Sicht auf die Stadt. Lyon ist wirklich wunderschön. So stelle ich mir Paris in klein vor. Da passt der kleine Eiffel Turm ja auch ganz gut ins Gesamtbild. In diesem kleine Gärtchen, in dem wir gerade verschnaufen, sind überall Edelstahlstühle aufgestellt. Eine schöne Idee, die mal wieder die Liebe der Lyoner fürs Detail zeigt. Neben den besagten Stühlen ist auch auffällig, dass man in jeder Ecke der Stadt von einer Lebensgroßen Löwenstatue beäugt wird. Langsam geht die (nur teilweise vorhandene) Sonne unter. Mit der Silhouette des Riesenrads und den altertümlichen Gebäuden, gibt das Ganze ein magisches Bild ab. Im Dunkeln irren wir durch die Gässchen hinunter in die Altstadt. V. Und M. - die beiden, die ich gestern Abend verzweifelt hatte anzurufen – haben sich bei mir per SMS gemeldet und wir wollen uns treffen. Es zumindest versuchen. Da M. Italienerin ist, ist das alles etwas komplizierter... Schließlich treffen wir die beiden und ihre drei französischen Mitfreiwilligen vor dem Museum. Großes Geschnatter folgt, bei welchem sich die Franzosen ganz ungewohnter Weise aber zurück halten. Das bin ich gar nicht gewohnt... Da die fünf noch nicht so lange in Lyon sind und sich noch einmal erholen wollen, löst sich die Zusammenkunft schnell auf und man verbleibt dabei, dass über facebook das Weitere kommuniziert wird. In der WG angekommen treffen wir wieder auf einen bunten Haufen an Menschen. Es steht eine Indie-Party an, zu der sich selbstredend auch dementsprechend angezogen und geschminkt wird. Wie gerne hätte ich solche Partys doch auch bei uns. Aber mit Rentnern klappt das nicht so gut. Einige Tässchen Tee und ein Gespräch über die Sprachangewohnheiten der Franzosen (sagen immer du coup und bain) später, hat M. aber immer noch nicht geantwortet. Langsam sollten wir aber mal eine Antwort erhalten, da die Metro nur bis kurz nach zwölf fahren. Ergo sollten wir uns früh genug treffen, damit sich das Ganze auch lohnt. Meinen Geburtstag würde ich aber schon ganz gerne auch noch mit den anderen feiern. Je später es wird, desto geringer wird aber die Wahrscheinlichkeit, dass das mit dem Treffen klappt. Kurzer Hand bringe ich A. Deutsch und er mir Polnisch bei. Bei dem Versuch von einer polnischen Nachrichtenseite etwas vorzulesen scheitre ich dann aber doch. Meiner Meinung nach wird nämlich nichts so ausgesprochen, wie es geschrieben wird. Nach dem Sprachexkurs und kurzen Geburtstagsglückwünschen, falle ich todmüde und mit sehr schmerzenden Beinen ins Bett.
Sonntag, 06.12.2015 Gestern Abend haben wir mit den anderen noch ausmachen wollen, dass wir uns mit ihnen um neun Uhr wieder vor dem Museum treffen. Da sie aber bis jetzt immer noch nicht geantwortet haben, beschließen wir die verbleibende Zeit selbst auszufüllen. Mit einem kleinen Frühstück im Magen, traben wir wieder Richtung Fouvière (dem großen Berg, auf dem wir gestern bereits waren). Heute erlaufen wir uns aber nicht die gute Aussicht, sondern nehmen die altertümliche Bahn, die schräg den Berg hinauffährt. Ein einmaliges Erlebnis. Apropos Bahn: Die Metros in Lyon sind auch ein Phänomen für sich. Sie haben keinen Fahrer. Darum könnte man eigentlich von Geisterbahnen sprechen. Und dieser Ausdruck beschreibt die Situation ganz gut, denn sie fahren nicht nur fahrerlos, sondern auch (für mein Verständnis) auf der falschen Seite. Geisterbahnen also. Als wir oben auf dem Berg ankommen, scheint die Sonne. Es ist herrliches Wetter und fühlt sich so gar nicht nach Dezember an. Da wir so früh dran sind, haben es die Unmengen an Touristen (die im Übrigen vermutlich alle wegen des – nun leider abgesagten – Lichterfestes gekommen sind) noch nicht aus ihren Bettchen geschafft, sodass wir sogar an die Ballustrade kommen. Wir laufen noch etwas durch die Gegend, bestaunen einen Fluss und versuchen die Arrondissments mit dem bloßen Augen auszumachen. Gegen kurz vor zehn erhalte ich eine SMS von M., die fragt, wo wir seien. Hach, Italiener... Mit großem Hin und Her und eine große Suchaktion später (Es ist nicht einfach sich auf einem großen Platz zu treffen und dann auch zu sehen.), finden wir die fünf dann sogar. Nach einer kurzen Besprechung, flanieren wir am Fluss eine Marktmeile entlang immer in Richtung „Parc de tête d'or“. Allein der Name klingt schon hochtrabend. Was uns dann aber dort erwartet, habe ich mir gar nicht ausmalen können. Wir betreten den Park durch ein goldenes Tor. Man muss dem Namen schließlich auch alle Ehre machen. Drinnen erwartet uns eine riesige Grünfläche, die von den Lyonern nicht umsonst als Centralpark Lyons bezeichnet wird. Mitten in dem Park befindet sich ein öffentlicher Zoo. Ganz umsonst können wir hier von Flamingos, über Affen bis hin zu Giraffen alles bestaunen. Da die anderen fünf gerne noch etwas länger im Park bleiben wollen, verabschieden sich A. Und ich nach einiger Zeit von ihnen, damit ich meinen Zug auch auf jeden Fall bekomme. Auf unserem Weg zum Bahnhof, passieren wir noch einen alten antiken Bahnhof, der nun aber nur noch als Luxusgourmettempel dient, und schauen uns Lyons Bankenviertel an. Und obwohl es zum Bahnhof keinen Bürgersteig gibt, kommen wir glücklicher Weise unbeschadet an. Die Zeit in Lyon kommt mir einerseits sehr lange vor, da ich so viel gesehen habe und gelaufen bin, andererseits ist sie aber auch im Fluge vergangen. Schwuppidiwupp sitze ich wieder im Zug Richtung Heimat. Am Bahnhof in Thonon holt mich M. Vom Bahnhof ab. Als wir zu Hause ankommen, erwartet mich eine Überraschung, über die ich mich total freue. M. Hat mir einen Kuchen gebacken. Marmor-Kirsch. Und als wir ihn dann gemeinsam versuchen, stellt sich heraus, dass der von M. Geglaubte misslungene Kuchen sehr gut schmeckt. Ich packe noch die Geschenke aus der Heimat aus und skype. Ein schöner Tag geht zu Ende. Als ich dann von A.-M. Auch noch eine Nachricht erhalte, zaubert mir das ein Lächeln aufs Gesicht. Sie hatte sie schon abgeschickt, als ich noch in Lyon war. Zum Einen gratuliert sie mir zum Geburtstag, zum Anderen bedankt sie sich beim Nikolaus für die Kekse. Hm... Was sie damit wohl meint...?