Möwen fliegen über den weichen Sand
Karsten Forbrig hat sich während seines Jahres als Europäischer Freiwilliger Gedanken zu Prora gemacht - einer von Hitler geplanten, riesigen Ferienanlage auf der Ostseeinsel Rügen.
Dass das Meer wie eine launische Diva ist, haben schon viele beschrieben. Dass es brodelt und belebt, tanzt und tötet, singt und schweigt, ist längst nichts Neues mehr. Auch der feine, weiche Sand der Strände ist schon in abertausenden Beschreibungen durch die Feder aufs Papier geflossen. Und doch kann man sich der fantastischen Weite, dieser Kraft, nicht entziehen. Und irgendwie ist es ja doch immer anders und sei es nur durch die aus Muscheln und Algen gemalten Bilder oder die Anzahl der angespülten alten Schuhe. Auch auf Rügen ist das Meer mal grau mal blau, ist der Strand mal steinig, mal sandig. Und sieht man von den gelegentlich zu findenden Phosphorresten aus Weltkriegszeiten ab, so kann man fast den Eindruck von Idylle gewinnen. Es ist eben eine Frage, wie die eigenen Scheuklappen eingestellt sind. Natürlich kann man die alten Fachwerkhäuser bestaunen, Meerestierreste sammeln, Fisch essen und Sonnenuntergangsfotos machen. Natürlich kann man durch die Dünen streifen, Möwen füttern oder melancholisch den Horizont nach Hoffnung absuchen. Doch beraubt man sich dadurch des Blickes auf die andere Seite Rügens. Wie so oft liegen auch hier Licht und Schatten einander in den Armen. Es sind die riesigen Betonklötze der KdF-Anlage (Anmerk. D. Red, Kdf steht für Kraft durch Freude-Bad), deren Schatten weit hinein ins „Proradies“ ragen. Was eins „Kraft durch Freude“ schaffen sollte, wirkt jetzt so niederschmetternd, so tot. Wie eine Narbe im Antlitz der Insel ziehen sich die gefängnisähnlichen Bauten dahin. Zugegeben, KdF ist nicht KZ und sicher ist auch nicht jeder Bau aus Kriegszeiten ein Verbrechen. Doch bedenkt man, dass mit der gleichen kranken Perfektion gearbeitet wurde und sieht man das Ausmaß dieser Idee der Massenmanipulation, diesen Wahn, so laufen doch mehr als nur Schauer über den Rücken. KdF-Ferienheim Prora – eine Wunde, die nur langsam heilt und deren Spuren sicherlich nie ganz verschwinden werden. Zwar verwachsen die Insel und dieser Fremdkörper wieder mehr und mehr, werden die Klötze wieder einem Zweck zugeführt, doch sie sind, was sie sind: Ein Teil jener Vergangenheit, die man nur zu gerne ausblendet. Es ist weiß Gott kein Vergnügen, sich mit diesen Dingen zu konfrontieren. Aber was wäre das für ein Dasein, ein Leben lang Möwen zu füttern?
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