Meine Zeit im Ausland - und wer bin ich jetzt?
Ich sitze im Zug von Kopenhagen nach Hause und schaue aus dem Fenster. Die Landschaft zieht an mir vorbei und ich bemerke, wie meine Gedanken abschweifen. In der Hafenstadt hatte ich meine dänische Freundin besucht, die ich während meines Europäischen Freiwilligendienstes in Rumänien kennengelernt habe. Wir haben ein paar wunderschöne Tage miteinander verbracht und wir hatten uns sehr viel zu erzählen. Unter anderem ging es darum, wie es uns seit dem Ende des Freiwilligendienstes ergangen ist und was wir gemacht haben. Während meine Freundin zu neuen Abenteuern aufgebrochen ist und ein Interrail durch Europa gemacht hat, habe ich zuhause verschiedene Praktika absolviert, um mich beruflich zu orientieren. Gemein ist uns beiden jedoch, dass wir die aufregende Zeit in Rumänien jetzt schon vermissen und immer ein breites Lächeln auf dem Gesicht haben, wenn wir daran denken. Mir fällt ein, dass meine Freundin gefragt hat, ob und wie mich das Erlebnis im Ausland verändert hat. In dem Moment wusste ich nicht genau, was ich zu dem Thema sagen soll und noch jetzt stelle ich mir immer wieder die Frage: „Wer war ich davor und wer bin ich jetzt?“
Im Fensterglas taucht mein Spiegelbild auf und ich mustere mein Gesicht aufmerksam. Ich sehe genauso aus wie früher, stelle ich lächelnd fest und lenke meinen Blick wieder auf die vorbeiziehende Landschaft.
Genau wie diese Zugreise hatte auch mein EFD einen Startpunkt. Die Suche nach einem Projekt hatte ich eigentlich schon sehr zeitig begonnen, da mein Traum schon lange gewesen war, nach der Schule ins Ausland zu gehen. Im Anschluss an einige Internetrecherchen habe ich den Europäischen Freiwilligendienst entdeckt und mich auch sofort um eine Entsendeorganisation gekümmert. Doch ein passendes Projekt konnte ich damals nicht finden. Etwas frustriert schaute ich mich nach weiteren Möglichkeiten um und wurde auch fündig – ein Aufenthalt bei der Jeunesse Musicales in Kanada wurde mir in Aussicht gestellt und ich war sofort Feuer und Flamme. Ich wurde jedoch mehrere Monate hingehalten bis ich im Mai letzten Jahres dann eine Absage erhielt. Ich war aufgeschmissen, da ich mir eingeredet hatte, dass es funktionieren würde. Mit einem Mal stand ich ohne Projekt da und jeder weiß, dass nach dem Abitur alle Freunde und Verwandten fragen, welche Pläne man für das kommende Jahr hat. Es fühlte sich schrecklich an, dass ich immer Sätze wie „Ist noch nicht sicher“ oder „Ich weiß es noch nicht genau“ sagen musste.
Also setzte ich mich wieder vor meinen Computer und legte erneut mit der Suche nach einem europäischen Freiwilligendienst los. Ich fand nur zwei geeignete Projekte, doch überraschenderweise bekam ich von einer rumänischen Organisation sofort eine Rückmeldung und wurde zum Skype-Interview eingeladen. Ab da lief dann alles wie am Schnürchen und schnell hatte ich die Zusage von der American International School of Transylvania in Baia Mare, Rumänien. Natürlich war ich sehr glücklich, denn ich wusste endlich, wohin mich mein Weg führen würde. Allerdings fiel mir recht schnell auf, dass ich über das osteuropäische Land eigentlich nichts wusste, beziehungsweise viele Vorurteile hatte. Das musst du ändern, habe ich zu mir gesagt und mich im Buchladen mit Büchern über Rumänien eingedeckt. Glücklicherweise konnten dadurch viele meiner Klischees demontiert werden und das Pre-departure Training meiner Sendeorganisation hat mich zusätzlich beruhigt, denn uns wurde versichert, dass wir nicht alleingelassen werden würden.
Ich werde vom Schaffner, der mein Ticket kontrollieren möchte, für einen Augenblick aus den Gedanken gerissen. Ich erinnere mich an den Moment, als ich mein Flugticket nach Rumänien in den Händen gehalten habe und dann plötzlich alleine im Flugzeug saß, auf dem Weg ins Unbekannte. Ich war voller Vorfreude gewesen, aber natürlich auch etwas nervös, denn trotz der Projektbeschreibung wusste ich nicht genau, was mich erwarten würde. Im Nachhinein fällt mir auf, dass ich mir doch erstaunlich wenig Gedanken gemacht und mich einfach auf meinen Freiwilligendienst, die fremden Kulturen, Sprachen et cetera eingelassen habe. Glücklicherweise, denn viele Sorgen wären umsonst gewesen, weil irgendwie alles sehr gut zusammengepasst hat. Von meiner Organisation über die Wohnung bis hin zu meinen Kollegen und den Aktivitäten während des Freiwilligendiensts Das Ziel meiner Organisation war es, rumänischen Kindern andere Sprachen (vor allem die Englische) spielerisch näher zu bringen. Die Aufgabe von uns Freiwilligen war es, die Aktivitäten zu organisieren und vor allem neue Ideen mit einzubringen.
Ich bin wirklich froh, dass mein altes Ich diesen Schritt ins Ausland gewagt hat, denn ich fühle mich heute sehr viel reifer. Ich musste mich landestypischen Gepflogenheiten anpassen, in fremden Sprachen auf unbekannte Menschen zugehen, sie um Hilfe bitten, ihnen, wie auch mir selbst, vertrauen und vor allem die Dinge mit viel Humor nehmen. Außerdem habe ich zahlreiche Aktivitäten für Kinder organisiert und sie damit glücklich gemacht und mit meinen zwei Mitbewohnern eine tolle Wohngemeinschaft gegründet. Die Beiden gehören heute zu meinen besten Freunden, obwohl ich zugeben muss, dass es anfangs durchaus nicht einfach war auf einmal mit Unbekannten zusammenzuwohnen. Es gab nicht nur unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich Ordnung und Sauberkeit, sondern auch kulturelle und sprachliche Verschiedenheiten, wodurch es hin und wieder zu Missverständnissen kam. Wir haben trotzdem immer das Beste daraus gemacht, Kompromisse gefunden und sind über uns selbst hinausgewachsen.
Der Zug hält für ein paar Minuten an einem Bahnhof. Ich schaue den Menschen zu, wie sie ein- oder aussteigen. Dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung und meine Reise geht weiter. Ich frage mich, ob auch ich während meines EFDs Momente hatte, in denen ich „anhalten“ musste, weil ich mit einem Problem konfrontiert wurde. Mir kommen einige Aktivitäten in den Sinn, die ich organisiert habe. Ein Mal waren zum Beispiel 30 Kinder angemeldet und am Ende standen fast doppelt so viele vor der Tür. In solchen Situationen muss man dann einfach das Beste draus machen – wir haben in dem Fall beschlossen, nach draußen zu gehen, weil dort mehr Platz war. Letztendlich hatten alle Kinder Spaß dabei. Ich bin den Mitgliedern meiner Organisation zu großem Dank verpflichtet, denn sie haben uns während des gesamten EFDs fortwährend unterstützt – und das nicht nur wenn die Arbeit betroffen war. Im Austausch mit anderen Freiwilligen habe ich erfahren, dass das durchaus nicht der Normalfall war.
Ein weiteres Erlebnis, das mir gezeigt hat, dass nicht immer alles glatt gehen kann, war eine Wanderung mit meinen zwei WG-Mitbewohnern Wir wollten in der Nähe von Baia Mare auf einen Aussichtsturm, mussten jedoch auf dem Weg zahlreiche Hindernisse überwinden, wie zum Beispiel die Verständigung mit Einheimischen, mangelnde Wegbeschreibung, schlechte Wanderwege oder der Zweifel an uns selbst. Zum Glück hatte uns aber der Ehrgeiz gepackt und wir wollten nicht umdrehen, bevor wir das Vorgenommene erreicht hatten. Irgendwie haben wir es dann auch geschafft – erschöpft, aber überglücklich.
Das war für mich ein Moment, in dem mir bewusst wurde, dass man sich manchmal richtig durchbeißen muss. Denn wenn man sein Ziel erreicht hat, hat sich alles gelohnt und man weiß es wirklich zu schätzen.
Gegen über von mir unterhalten sich zwei Reisende auf Englisch und ich habe kein Problem, ihrem Gespräch zu folgen. Eigentlich hatte ich mein EFD unbedingt in England machen wollen, weil ich mein Sprachniveau verbessern wollte. Letztendlich bin ich in Rumänien gelandet, habe jedoch mit einem Engländer und einer Dänin, die vier Jahre in England gelebt hat, zusammengewohnt. Ich glaube, eine bessere Art um mein Englisch zu verbessern hätte ich mir nicht wünschen können. Noch dazu hatte ich die Möglichkeit, Grundlagen der rumänischen Sprache zu lernen. Mir fällt auf, dass meine Begeisterung für Sprachen seit dem Freiwilligendienst noch größer geworden ist – ich habe sogar eine richtige Leidenschaft entwickelt. Zum Beispiel habe ich kürzlich begonnen, Schwedisch zu lernen, einfach weil es mir Spaß macht und mein EFD hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, in einem anderen Land mit den Einheimischen kommunizieren zu können.
Ein Vogelschwarm folgt jetzt schon eine ganze Weile den Zug und ich denke daran, dass auch ich von vielen Menschen während der Zeit in Rumänien begleitet wurde. Ich habe so unglaublich nette Leute aus verschiedenen Ländern kennengelernt, vor allem während des On-arrival Trainings in Sibiu bin ich auf viele andere Freiwillige getroffen. Wir haben uns dann im weiteren Verlauf unseres EFDs in ganz Rumänien besucht. Das war richtig toll, weil man sich wie ein Teil einer großen Familie gefühlt hat. Zu den meisten habe ich immer noch Kontakt und ich hoffe, dass es weiterhin so bleibt. Meine Reiselust ist auch nach dem Freiwilligendienst nicht abgeebbt. Zum Beispiel habe ich mich danach entschieden, WWOOFing auszuprobieren – WWOOF steht für World Wide Opportunities on Organic Farms. Es gibt viele verschiedene Projekte auf der ganzen Welt und ich für meinen Teil war in Frankreich auf einem Bio-Bauernhof, wo ich einer sehr sympathischen Familie beim Melken und anderen Tätigkeiten geholfen habe. Das war auch eine tolle Erfahrung und ich werde WWOOFing auf jeden Fall nochmal ausprobieren.
Der Zug ist in meiner Heimatstadt angekommen und ich freue mich auf mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde. Zurück bleibt die Erinnerung, aber ich weiß, dass ich genauso wie diese Reise und auch den europäischen Freiwilligendienst nie vergessen werde.
Von außen betrachtet habe ich mich nicht verändert, aber in mir drin weiß ich, dass mein Freiwilligendienst mich ungemein bereichert und gewandelt hat – und das, obwohl es ein vergleichsweise kurzes EFD von „nur“ sechs Monaten war.
Ich bin unglaublich dankbar, dass ich diese Möglichkeit hatte und ich würde den europäischen Freiwilligendienst ohne zu zögern jederzeit weiterempfehlen, weil solche Projekte meiner Meinung sehr wichtig für Europa sind. Erst dadurch habe ich gelernt, die EU richtig wertzuschätzen. Die Zeit im Ausland hat zudem meinen Blick auf die Welt verändert, denn ich bin heute viel offener gegenüber Menschen aus anderen Ländern und Kulturen und konnte mich von vielen Vorurteilen befreien. Das ist mir besonders aufgefallen, als ich wieder in Deutschland war und beispielsweise den Flüchtlingen hier ohne vorgefertigte Meinung begegnen konnte.
Vor allem in schwierigen Situationen bin ich heute selbstsicherer und lasse mich nicht aus der Ruhe bringen, denn ich bin mir meiner Stärken bewusst. Ich habe also auch vieles über mich selbst gelernt und kann voller Zuversicht in die Zukunft blicken, denn eine Reise in die weite Welt ist immer auch eine Reise in das eigene Ich!