Meine Genese
„Du reist herum und besuchst Leute, ohne sie vorher zu kennen? Hast du keine Angst?" Caroline wagt einen Rückblick auf die Zeit ihres Europäischen Frewilligendienstes und alles, was danach kam.
"I’ve experienced the impact EVS had on my life. For me my life can be divided in two parts: Before and after EVS."
(Sjoerd, in 'One year after', 2007)
„Du reist herum und besuchst Leute, ohne sie vorher zu kennen? Hast du keine Angst? Das könnte ich nicht!“
„Ne, wovor denn!?“
Ich konnte die Tragweite meiner Antwort erst erfassen, nachdem sie sich gesetzt hatte. Hatte ich wirklich keine Angst? War das wirklich ich, die das gerade gesagt hatte, ohne mit der Wimper zu zucken? War das wirklich ich, die sich darauf freute, an unbekannte Orte zu reisen, dort unbekannte Menschen zu treffen und teilweise sogar bei ihnen zu übernachten?
Rückblick:
Mein Lieblingsort? Wo ich mich als Kind am sichersten fühlte? Selbst Verwandte und Freunde mussten sich so einiges einfallen lassen, wenn sie mich zu Gesicht bekommen wollten. Ich lugte nur mit großen Augen hinter Mamas Rockzipfel hervor. Also wurden sie erfinderisch. Sie lockten mit Gummibärchen - roten Gummibärchen. Ich stürzte darauf zu, griff sie mir und war sogleich auch wieder verschwunden.
Ich war zu schüchtern, um zwei Häuser weiterzugehen, bei meiner besten Freundin zu klingeln und zu fragen, ob sie zum Spielen auf den Hof kommen wolle. Ich kannte ihre Familie, mochte sie, fühlte mich dort wohl und in Sicherheit. Aber den Schritt in die mir so bekannte Umgebung, den traute ich mir dann doch nicht zu.
Und jetzt war ich die, die herumreiste, alles das tat, was früher außer Frage stand, weil es nur die ganz Mutigen soweit bringen?
Ohne Zweifel, das war wirklich ich. Doch was war passiert?
Mein Europäischer Freiwilligendienst.
Wer nicht weiß, ob er das Leben als Studentin in einer fremden Stadt alleine meistern kann, muss eben erst etwas anderes machen. Was lag da näher, als den noch größeren Schritt zu wagen und ein Leben in einem anderen Land zu beginnen? Also planen, wochenlang erfolglos verschiedene Aufnahmeorganisationen anschreiben, endlich eine finden, Reise buchen und los fliegen.
In welchen manischen Momenten die Vorbereitungen gelegen haben mussten, wurde mir erst bewusst, als ich mich allein in einem kleinen Park in Bristol wieder gefunden hatte. Ganz allein.
Richtig panisch wurde ich, als ich die Reise zu meiner „Heimat für die nächsten sechs Monate“ antrat: Minehead in Südwestengland.
Ich wurde mir schlagartig dessen bewusst, dass ich zwar an der Bushaltestelle von jemandem abgeholt werden sollte, wusste jedoch nicht von wem und erst jetzt realisierte ich, dass ich auch nicht wusste, an welcher! Es gab doch sicher mehr als eine!
Je näher ich dem Ziel kam, umso unschlüssiger wurde ich, ob ich nicht einfach umkehren sollte. Sofort.
Vielleicht lähmte mich meine Angst und machte ein Umkehren undenkbar. Vielleicht war es aber auch das Meer. Das Meer, das sich plötzlich aus dem Nichts vor mir erhob.
Unsicheres Absuchen der Menschen an Bushaltestellen. Dann zwei strahlende Mädchen. Ich sah sie und wusste: Ich bin angekommen.
Momente, die sich eingebrannt haben.
Ich lernte. Ich verbesserte meine Sprachfähigkeiten: („If you have a look out of the window, you can see Wales sometimes. “ Meine etwas unpassende Antwort “Wow, there are whales and dolphins around?” resultierte aus meiner Begeisterung für Delfine.) Erkundete die ersten zwei Wochen die Umgebung, traf meinen Tutor, andere Freiwillige, die bald Freunde wurden, und wurde von meiner Arbeitsstelle überrascht. Meine erste Reaktion, als ich erfuhr, dass ich mit geistig Behinderten Erwachsenen arbeiten müsse? „Oje, das KANN ich doch gar nicht (und will ich das überhaupt??).“ Ich konnte es nicht nur, ich begann die Arbeit, die Menschen zu lieben, jeden einzelnen.
Es war eine aufregende Zeit, in jeder Hinsicht. Es war die beste Entscheidung, die ich bisher in meinem Leben getroffen hatte. Ich stürzte mich nach und nach einfach in alles, das mir über den Weg lief. Es war spannend, es war Angst erregend, es gab Rückschläge, es war eine vollständige Exposition der verschiedensten Lebensumstände, es war alles andere als leicht. Aber das Wichtigste dabei war, dass ich lernte, abzuspringen und zu landen – mitten in meinem neuen Leben, das zwar viele Überraschungen und Herausforderungen bereithielt, aber mich auf irgendeine Art und Weise immer wieder zu belohnen wusste. Per Anhalter oder allein umherreisen, Fischaugen probieren, Knöpfe annähen, Smalltalk halten, ein fremdes Land zu meiner Heimat machen? Alles kein Problem! Ich wuchs. In jeder Hinsicht. Ich war zwar immer noch etwas schüchtern, aber kein Vergleich mehr zu dem kleinen Mädchen. Ich wusste nun, dass es sich lohnte, hinauszugehen und dem Unbekannten zu begegnen.
Sechs Monate waren viel zu schnell vorbei.
Es folgten Studium, Workcamps, Sprachkurse, viele Reisen und tolle Erfahrungen, bis ich mich erneut auf richtig glattes Eis begab: Mein Future Capital! Diese Arbeit beinhaltete es, einen Fragebogen zu entwickeln, ein Buch zu schreiben, in Europa herum zu reisen um für mich größtenteils fremde ehemalige Freiwillige besuchen, diese zu interviewen und dann daraus einen Film zu schneiden. Welche Grundlagen und Vor-Erfahrungen ich hatte? Wenige bis keine.
Auf dieser Reise traf ich auch besagten Mitbewohner einer ehemaligen Freiwilligen, der mir bewusst machte, dass ich plötzlich zu den Menschen gehörte, die sich mutig ins Abenteuer stürzen. Es war mir alles zu selbstverständlich geworden, als dass ich es ohne die Frage nach meiner Angst bemerkt hätte! Ich hatte nicht nur einfach keine Angst, ich FREUTE mich sogar auf neue Begegnungen mit neuen Menschen und sah allem positiv entgegen.
Mit meinem Buch und Film über das Zurückkehren nach dem EVS, auf die ich viele positive Rückmeldungen aus erster Hand, also ehemaliger Freiwillige, bekommen hatte, durfte ich erneut die Erfahrung machen: alles ist irgendwie möglich und lohnt sich!
Erneuter Auslandsaufenthalt, sechs Monate Praktikum als Psych. Cand. in Neuseeland.
Ganz ehrlich. Ich liebe dieses Land, seine Leute, seine Kultur, es machte mich noch glücklicher als England. Ich kam an und wusste, dies ist mein Land, hier bin ich zu Hause.
Aber auswandern? Wohl kaum.
Dafür gibt es die verschiedensten Gründe. Der Hauptgrund ist komplex: 27 Länder, 500 Millionen Menschen, kurze Wege, 23 offizielle Sprachen, unterschiedliche Kulturen; vertraut und trotzdem immer wieder fremd und unbekannt, darum immer wieder spannend - und deshalb so wahnsinnig überzeugend: EUROPA.
Was ist geblieben von meinem Freiwilligendienst? Ich; die Person, die ich heute bin, mit Stärken und Entwicklungspotential.
Mein Studium wird bald zu Ende sein, etwas Neues wird beginnen. Was ich arbeiten werde, steht noch nicht völlig fest. Aber alle Träume, alles, bei dem meine Augen anfangen zu leuchten, meine heutigen roten Gummibärchen lassen sich letztendlich auf meinen Europäischen Freiwilligendienst zurückführen: Arbeit mit Behinderten oder etwas im Internationalen Bereich. Irgendwo in Europa.
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