Meine ersten 30 Stunden in Estland
Erste Begegnungen mit der estnischen Gelassenheit haben svenschka schon etwas verwundert. Zum Beispiel an jenem Morgen, an dem ein fremder junger Mann ins Wohnzimmer hineinschlich, in dem sie momentan wohnt, und sich einfach für eine Stunde auf das Sofa zum Schlafen hinlegte.
Ich bin gut in Tallinn angekommen. Juta, meine Mentorin, und Oksana, meine ehemalige Tutorin und Mitbewohnerin (vorerst), haben mich abgeholt. Mein neuer Tutor Aron war zu spät, angeblich wie immer.
Ursprünglich sollte ich in zwei Jugendzentren arbeiten, in Jüri, einem Vorort von Tallinn, und in Lagedi, einem kleinen Dorf bei Jüri. Das Jugendzentrum in Jüri wird momentan allerdings saniert und die Stadtoberen haben sämtliche Gelder gestrichen, so dass es einfach nur eine riesige Baustelle ist. Da ist die Arbeit zurzeit unmöglich, ich hoffe in einem Monat wird sich das ändern, zumindest ist das so geplant. Aber, die estnische Gelassenheit spricht dagegen. Ich glaube, es war wirklich so, dass die NICHTS geplant hatten, bevor ich hergekommen bin. Zumindest haben sie gestern erst mit der finanziellen Verwaltung gesprochen.
Heute habe ich mit Aron ein Konto bei der Hansapank eröffnet und anschließend eine estnische Sim-Card gekauft, ansonsten funktioniert mein Handy hier nicht. SMS bekomme ich zwar, kann aber keine verschicken. Jedenfalls hat mein Handy blöderweise eine Sim-Lock, so müssen wir erst ein altes Handy besorgen. Danach wurde ich zu meinem Arbeitsplatz, dem Jugendzentrum in Lagedi gebracht. Leben tu ich aber in Tallinn (Gott sei Dank!), in Lagedi werde ich mit Aron arbeiten.
Alle drei sind sehr nett, Oksana arbeitet leider nicht mehr fürs Jugendzentrum (deshalb ehemalige Tutorin), war aber eben als meine Tutorin bestimmt. Ich habe noch eine weitere Tutorin, Triinu, die ich allerdings noch nicht kennen gelernt habe, da sie in Jüri arbeitet und dieses Jugendzentrum eben geschlossen ist. Aber die Zeit wird schon noch kommen...
Die nächsten Tage werden wir alle zusammen kochen und bestimmt am Wochenende feiern gehen. Alle sind nämlich sehr jung, Aron und Oksana sind 24 und Juta ist 23. Triinu wird auch um die Ecke sein. Sie sind alle sehr lustig und sehr nett. Das erleichtert schon mal Vieles.
Mir wurde gesagt, dass um dese Jahreszeit in Lagedi nichts los ist und ich vermutlich den ganzen Tag dort im Internet surfen kann. Heute traf das jedoch nicht zu, da die Kiddies Computerspiele gespielt haben. Stattdessen habe ich mit Aron ein russisches Spiel gespielt (siehe Foto) und ungefähr drei Stunden lang Mensch ärgere dich nicht. Und er hat grundsätzlich gewonnen! ;-) Ich muss das ändern...
Oksana ist sehr gesellig und redet viel, was mir außerordentlich gut in den Kram passt. Sie meinte gestern zu mir, dass ich mich nicht wundern sollte, wenn viele Leute herkommen. Das hier wäre zwar ihre Wohnung, aber irgendwer würde hier immer mitwohnen. Gestern Abend hat sie dann noch den Bruder ihres Exfreundes beauftragt, mir seine Schlüssel heute vorbeizubringen.
Um viertel vor 8.00 Uhr ging plötzlich die Tür zum Wohnzimmer auf, in dem ich schlafe. Ein junger Kerl kam rein, der eine beschwichtigende und entschuldigende Geste machte, sich auf das andere Sofa legte und dort eine Stunde schlief. Dann ist er aufgestanden und gegangen. Wir haben dabei kein Wort gewechselt. Eben kam er wieder und meinte an der Gegensprechanlage: "Hey, I'm the one who slept with you." Des Englischen ist er nicht besonders mächtig, aber lustig und sehr nett. Wir haben uns unterhalten, als er seine Sachen abholte, er wohnte bis vor kurzem nämlich auch hier. Er hat mir versprochen, noch einmal wiederzukommen. Seinen Namen konnte ich mir jedoch nicht merken ;-)
Am Freitag ist eine Filmnacht im Jugendzentrum von Lagedi geplant. Das Gute ist, dass die Filme immer in Englisch mit Estnischen Untertiteln sind, dann wird es auch für mich nicht langweilig. Ich wohne in einer Kaserne Marke Sowjetstyle. Schon sehr unschön und genau so, wie man sich Osteuropa so vorstellt. Um mal alle gängigen Vorurteile zu bedienen -) Hier gibt es aber auch superschöne Flecken.
Ende September ist ein Ausflug mit den Jugendlichen von Jüri und Lagedi geplant, das werde ich organisieren (Haha! ICH! Die vertrauen mir blind!). Im November ist ein Guidetreffen der Pfadfinder geplant, das ich auch organisieren soll. Thema ist 'Hollywood and the Oscar', das wird eine Art kostümierte Party. Zu dem Ausflug mit Jüri und Lagedi habe ich mir bereits Gedanken gemacht, ich habe im Sommer beim Workcamp eine Estin aus Viljandi kennen gelernt, die sich auch in der Jugendarbeit betätigt. Sie hatte vorgeschlagen, einen Austausch mit den Jugendlichen zu machen. Da werde ich mich morgen, wenn ich Zugang zu meiner Email habe (an Oksanas Computer funktioniert das irgendwie nicht), drum kümmern.
Ein paar Ideen habe ich auch, was ich unternehmen und machen könnte: mit den Kindern einen St.-Martins-Zug im November und im Dezember eine Weihnachtsbäckerei, mit den Jugendlichen einen Welt-Club, in dem jede Woche ein anderes Land besprochen wird, sowohl in Geografie, Natur, Land und Leute und Kultur, außerdem könnte man dann mit ihnen auch kochen. Wie weit das aber umsetzbar ist, ist eine andere Frage... Geld fehlt an allen Ecken und Enden.
Vorhin habe ich für Aron gekocht und der seltsame Kerl, der heut morgen bei mir im Zimmer geschlafen hat, war eben auch die ganze Zeit über hier. Sie sind gerade eben erst gegangen. Oksana ist immer noch arbeiten, seit heut morgen um 7.00 Uhr. Ich hoffe, ich werd sie heut noch zu Gesicht bekommen. Und sie sollte Hunger haben, es ist noch so viel Essen übrig. Obwohl ich denke eher nicht, sie hat nur Tomatenketchup, eine halbe Gurke und Joghurt im Kühlschrank.
Und dann findet sich dort noch etwas Spezielles, das nennt sich Haapekoor und ist eine Art Sour Cream, aber irgendwie ganz anders. Damit wird Salat gemacht, sehr lecker. Außerdem bin ich Merevaik-abhängig, von einer Art Frischkäse, aber gaaaaanz anders als deutscher, viel leckerer. Das gibt es mit sooooo vielen Geschmacksrichtungen, das ist der blanke Wahnsinn. Heute habe ich eine gegriffen, die ich im Sommer auch hatte - zumindest dachte ich es, weil das Bild auf dem Cover die gleiche Farbe hatte. Waren aber nicht Pfifferlinge, sondern Huhn. Und das schmeckt noch genialer ;-)
So, das soll’s erstmal gewesen sein...