Mein Herzschlag in der Stille
Letztes Jahr, fast zur gleichen Zeit, stand ich an einem anderen Fenster, in einer anderen Wohnung, 200 Kilometer weiter südlich und konnte meine Abreise kaum erwarten. Ich wollte dem Kaukasus entkommen, ohne zu wissen, dass er sich bereits tief in mein Herz, in meine Seele gegraben hatte.
"Ich bin noch nicht bereit, mich von Georgien zu verabschieden.", sage ich am offenen Fenster stehend und blick ins nächtliche Tiflis hinaus. Die Stadt ist in Stille gehüllt. Die Lichter der Häuser und Straßen bilden eine Karte, fordern mich auf, mein Leben darauf zu zeichnen. Die Hitze des Tages ist einer angenehmen Sommernacht gewichen, eine kleine Windbrise streichelt sanft mein Gesicht. In wenigen Stunden holt mich das Taxi, um mich zum Flughafen zu bringen, zurück nach Hause, zurück in die Ordnung, weg vom Chaos des Kaukasus. Letztes Jahr, fast zur gleichen Zeit, stand ich an einem anderen Fenster, in einer anderen Wohnung, 200 Kilometer weiter südlich und konnte meine Abreise kaum erwarten. Ich wollte dem Kaukasus entkommen, ohne zu wissen, dass er sich bereits tief in mein Herz, in meine Seele gegraben hatte.
Ein Jahr später bin ich wieder zurück. Überrascht über mich selbst. Ich habe gegen meine eigenen Überzeugung, nicht zweimal an den gleichen Ort zu fahren, nicht zweimal in der gleichen Stadt Urlaub zu machen, verstoßen. Alle Vorsätze und Regeln habe ich für Tiflis, Georgien und den Kaukasus ignoriert. Habe mich aufs Neue in den Bann ziehen lassen, die grünen Hügel, die am Marschrutka-Fenster vorbeifliegen, bewundert, auf Georgien und das Leben getrunken, getanzt, gelacht.
Während ich nun am Fenster stehe, den Rauch meiner Zigarette in die Sommernacht entlasse, zieht sich mein Herz vor Wehmut zusammen. Ich verspreche mir, dass mein Abschied vom Kaukasus nicht für immer sein wird, nicht sein kann. Vielleicht belüge ich mich selbst, um mein Herz wieder zu entkrampfen. Vielleicht glorifiziere ich Georgien, weil es während meiner turbulenten Freiwilligenzeiten mein Sicherheitsanker war. Immer, wenn mir in Aserbaidschan alles zu viel wurde, mir alles über den Kopf wuchs, floh ich nach Georgien und ließ mich von der entspannten Lebenseinstellung der Georgier, ihrem Wein, ihren Essens- und Tringelagen mitreißen. So konnte ich die Realität für einen Moment vergessen. Die Hinterhöfe, die so oft im Kontrast zu den schönen Fassaden der Hausvorderseite stehen, die sturen Kühe, die Straßen blockieren, die Berggipfel, das Hupen, die Musik, die Gerüche - sie sind wie ein Tornado, in dessen Mitte, im Ruhezentrum, ich für einen Augenblick mit verwunderten Augen stehe, bevor ich wieder mitgerissen werde. Nein, ich kann Georgien und den Kaukasus nicht lolassen. Noch nicht.
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