Medizin in globaler Perspektive und ein lokaler Wintereinbruch
Zeitraum 17.09-30.09
Ja, ich weiß, ich hänge leider sehr mit meinem Eintrag hinterher, aber mein Bericht über die vergangenen Wochen/Monate kommt jetzt als Entschädigung einfach in mehreren Portionen :) In der Woche nach unserer Lofotenreise ging ich tatsächlich regelmäßig zur Uni – dies lag einmal daran, dass ich ausnahmsweise weder Besucher hatte noch selbst unterwegs war und dass die Vorträge und Vortragenden außergewöhnlich spannend waren: In dieser Woche drehte sich für uns alles um das Fach „Global Health“ und wir hörten vielseitige persönliche Erfahrungsberichte, wie Medizin in den ärmsten und benachteiligten Teilen dieser Welt praktiziert wird.
Da war der einer Spezialeinheit der Norwegischen Armee angehörende Soldat, der im Rahmen einer UN-Intervention nach Mail geschickt wurde, um Ebola zu bekämpfen, und uns mit seinem Bericht über die „death camps“ und schockierenden Bildern ganz schön Angst einjagte, der international äußerst kontrovers betrachtete norwegische Notarzt und linkspolitische Aktivist Mads Gilbert, der im Gazastreifen bei Stromausfall im Licht seiner Stirnlampe Bombenopfer zusammenflickte und Nils Daulaire, der ehemalige stellvertretende Sekretär für globale Angelegenheiten des US-Gesundheitsministeriums unter Obama, der sich nach Trumps Amtsantritt für eine Migration nach Norwegen entschieden hatte, an verschiedenen internationalen Kampagnen in den ärmsten Ländern der Welt in der Verbesserung von Kindesgesundheit mitwirkte und unter anderem sieben Sprachen fließend spricht. Sie machten uns deutlich, wie unzureichend (oder teilweise praktisch nicht vorhanden) medizinische Versorgung in vielen Teilen der Welt ist und zeigten aber auch Chancen auf dies zu verbessern und Möglichkeiten, wie auch wir unseren Teil beitragen können. Es war beeindruckend, aber gleichzeitig auch etwas beängstigend, hatten wir doch das Gefühl in diesen Vorlesungen „Superhelden“ unserer Gesellschaft gegenüber zu stehen, deren Mut und Engagement wir niemals nacheifern könnten. Allein schon die Leidenschaft, mit der sie die Vorlesungen hielten, riss uns Studenten sehr viel mehr mit, als es jeder gelangweilte Chirurg je vollbringen konnte.
Berührt hat mich auch die uns in diesem Rahmen gezeigte Dokumentation „Bending the Arc“. Darin wird die Geschichte von einem amerikanischen Medizinstudenten, einem jungen Arzt und einer Aktivistin erzählt, die von selbstloser Hilfsbereitschaft getrieben praktisch aus dem Nichts ein funktionierendes Gesundheitssystem in Haiti aufbauen, in Peru Slumbewohner mit multiresistenter Tuberkulose erfolgreich behandeln, Aids in Ruanda bekämpfen und zeigen, dass es möglich ist, auch den Ärmsten der Welt gute Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Der Film war so beeindruckend, dass ich ihn euch gerne allen zeigen würde, leider ist er bisher nur bei öffentlichen Vorstellungen verfügbar…mehr Infos findet ihr unter: http://bendingthearcfilm.com/
Nach dieser spannenden Woche hatte ich mal wieder einen Gast zu erwarten: meine Cousine Doro hatte sich Tromsø als Endpunkt ihrer vierwöchigen Schwedenwanderung ausgesucht und mit im Gepäck brachte sie außer Tee und Schokolade auch den Winter. Ja, Ende September sanken die Temperaturen hier tatsächlich urplötzlich auf den Gefrierpunkt und in kürzester Zeit waren alle umliegenden Gipfel schneeweiß, sogar in der Stadt fiel Schnee. Nach einem kurzen Moment der Enttäuschung beschlossen wir das Beste aus der Sache zu machen, warfen unsere Camping- und Hochgebirgspläne über den Haufen und passten unser Programm den Gegebenheiten an. Wir hatten ein paar abenteuerliche Schneewanderungen, einmal inklusive Wildbachüberquerung, bei der wir barfuß durchs Wasser waten mussten um die rettende Hütte zu erreichen, in der wir uns erst einmal eine Stunde am Kamin wieder aufwärmen mussten. Free Waffles, ein Bonfire mit heißer Schokolade, Oktoberfest und Koch- und Backorgien (ich kann nun selbst Sauerteig herstellen und Laugenbrezeln backen) bescherten uns nach den nasskalten Wanderungen gemütliche Abende.
Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Uni (zu dem unter anderem in der vorherigen Woche das norwegische Königspaar der Eröffnungsfeier beiwohnte) gab es kostenloses Frühstück und freien Eintritt ins Polarmuseum. Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und lernten so einiges über die Geschichte der Nordpolexpeditionen, Überwinterungen der Eisbär- und Walfischfänger auf Svalbard und durften den Penisknochen eines Walrosses bestaunen. Nachdem Doro dann am Samstag sogar noch ihren Vorsatz, in jedem Reiseland im Meer zu baden, erfüllt hatte (ich schlotterte schon beim Zusehen), machten wir uns am Sonntag beide in verschiedene Richtungen auf, ich nach Århus zu Valentin und sie nach Hause und zurück in den Sommer.