Let's talk about
Was hatte ich erwartet? Was bekam ich?
Da saß ich nun da. Mittwoch Abend, ich fror und wartete. Das Cafe der Uni ist leider nicht allzu gut isoliert. Mein Handy hatte nur noch 3% Akku. „Verdammt, wie soll sie mich gleich erreichen?“ Als ich gerade die Hoffnung aufgeben wollte, dass sie das Cafe noch finden würde, kam sie zur Tür hinein. Eine schlanke, hübsche Frau begrüßte mich und reichte mir die Hand.
Was hatte ich erwartet? Ein informatives Gespräch, vielleicht maximal eine Stunde lang, in denen mir die Bedingungen für einen kleinen Nebenjob (Deutsch privat unterrichten) erklärt werden.
Was bekam ich? Zweieinhalb Stunden durchzogen von verschiedensten Gesprächsthemen, von Skifahren, Reisen in Deutschland, Israel, Kanada, dem deutschen Bildungssystem bis zu meiner Arbeit, der Weihnachtsfeier, Verjüngungstipps und einem Jiaozi-Rezept (chinesische Maultaschen). Sehr interessant, bereichernd, aber nach einem arbeitsreichem Tag sind solche Gespräche auf Englisch doch recht anstrengend.
Ich versuche einige Eindrücke festzuhalten.
„Deutsche sollen in China investieren.“ China werde bald die stärkste Wirtschaftsmacht. Deshalb sei es nur klug in China zu investieren. BMW habe vor Kurzem einen vorbildlichen Schritt gewagt und sei eine Kooperation mit einer Universität eingegangen. Diesem Beispiel sollten mehrere deutsche Arbeitgeber und -nehmer folgen.
„Du kannst die Brücke sein.“ Mir wurde meine Vermittlerrolle bisher nur im kulturellen Sinne nahe gelegt. Nun hörte ich zum ersten Mal, dass ich doch eine wirtschaftliche Brücke sein könne. Ich solle meinen Freunden, Bekannten, meiner Familie sagen, wie großartig China sei. Deutsche Lehrer sollten hierhin kommen. Ich solle engangierte Deutsche ermutigen nach China zu reisen und hier zu arbeiten. Als ich auf mein Alter hinwies und darauf, dass ich noch nicht über allzu viele 'Business-Kontakte' verfüge, sagte sie nur: „Behalte meine Worte für die Zukunft im Hinterkopf!“ Sie fragte mich nach den Berufen meiner Eltern. Es schien - weniger aus persönlichem Interesse, sondern mit dem Hintergedanken: „Wie kann mir dieser Kontakt noch mehr nützen?“
„Nur Reisen ist ja zu wenig.“ Sie berichtete mir von einer 26-tägigen Europa-Tour, die sie 2015 gemacht hatte. Zum Beispiel besuchte sie Wien, Stuttgart, Berlin. Ganz begeistert war sie, dass man deutsche Städte super einfach mit Stadtplänen erkunden könne. Als ich ihr die Länder aufzählte, die ich schon bereist hatte, war sie begeistert. „Dein Pass muss doch sehr bunt sein.“ Ich erklärte ihr, dass man zum Reisen in Europa doch keinen Pass benötige. Anschließend erzählte sie mir von ihrem Wunsch mit einigen Studenten und Schülern nach Deutschland zu reisen. Schließlich sollten sie mal aus ihrem langweiligen Lernalltag ausbrechen und vom Schreibtisch aufstehen können. Sie sollten Erfahrungen sammeln, vor Ort. Ihre Erwartungen an die Reise waren wie folgt. Sightseeing sei nicht erfolgversprechend. Anstatt dessen sollten sie Universitäten und Schulen besuchen. So könne man die Studenten und Schüler dazu ermutigen später in Deutschland zu studieren. Sie fragte mich, ob ich nicht Reiseunternehmen kenne, die solche Touren planen und organisieren. Ich empfahl ihr Austauschprogramme wie Erasmus.
Dieses profitorientierte Denken störte mich, ehrlich gesagt. Aus dem Lernalltag ausbrechen, verreisen, um dann im Ausland Universitäten und Schulen zu besuchen? Entschuldige, aber wie kann man diesen Widerspruch nicht erkennen? Ich sehe Reisen selbst, das Erleben von Städten und den Kontakt zu Einheimischen als Bildung, als 'genug Profit'.
Hätte sie mir nicht erzählt, dass sie vor 25 Jahren die Universität verlassen hat, hätte ich sie auf 30 geschätzt. Sie ist 51 Jahre alt. Keine Falten, glatte Haut. Sie lies mich ihre Haare anfassen. Klingt komisch, aber ich war baff. Ich hatte noch nie so dicke, feste, gesunde Haare angefasst. Ihre Haare wasche sie mit self-made Shampoo. Sie erzählte mir, sie koche seit 30 Jahren täglich frisch. Außer Haus gehe sie nicht essen, weil sie dann nicht wisse, was ihr Essen enthalte. Und oftmals erhalte es viele Chemikalien und sei genetisch verändert.
„Halte deinen Verstand fit!“ Sie liest jeden Tag. Über die chinesische Geschichte, frühkindliche Erziehung, allgemeine Pädagogik, Psychologie, spirituelle Themen. Einige Bücher berühren sie, sagte sie. Sie empfahl mir, es ihr gleich zu tun.
Sie prahlte ihre Kochkünste an. Um sich zu beweisen, wollte sie mich zum Essen einladen. Sie schrieb mir ein Jiaozi-Rezept auf. Das nutze sie einmal die Woche. Maultaschen sind in China sehr beliebt und gehören auf den wöchentlichen Speiseplan. Ihr Geheimrezept sieht folgende Zutaten vor: Hackfleisch, Wasser, Ei, Zucker, Salz, Pfeffer, Sojasauce, Wein, Zwiebeln, Fenchel, Sojaöl, Sesamöl und Pilze. Die Mengen wusste sie leider nicht auswendig.
„Ich habe in Deutschland so viele dicke Menschen gesehen. Wie hast du es geschafft, dünn zu bleiben?“ Ich glaube, das muss ich nicht weiter kommentieren.
Wir vereinbarten ein Sprachtandem. Ich bringe ihr zukünftig etwas Deutsch bei, sie übt mit mir Chinesisch. Wie verbindlich diese Absprache ist, kann ich nicht einschätzen.
Sie plant Weihnachtsfeiern für einen Kindergarten und eine Grundschule und bat mich um Hilfe. Sie sei etwas planlos und wisse nicht, was sie organisieren solle. Ich empfahl ihr Weihnachtslieder, Plätzchen, gemeinsames Basteln und einen Nikolaus. Sie wirkte motiviert und gleichzeitig hilflos. Ich bat ihr an, Kontakt zu einem Nikolaus herzustellen und Materialien zu besorgen. Ich glaube, sie hatte sich noch etwas mehr erhofft.
Ich bin immer noch am Überlegen, was ich von dieser Begegnung halten soll. Es ist eine beeindruckende Frau, gebildet, freundlich und kontaktfreudig. Dieses offensichtliche „Wir-haben-Kontakt-weil-wir -voneinander-profitieren-können“ ist, würde ich sagen, typisch chinesisch, für mich jedoch immer noch sehr ungewohnt. Ich versuche mich bei der Frage, wie weit ich mich auf eine Zusammenarbeit einlasse, darauf zu konzentrieren, ob ich mit dieser Arbeit weiterhin die Funktion meines Freiwilligendienstes erfülle.
Auf genaue so gehaltvollen Gespräche, face-to-face, freue ich mich weiterhin. Mein Wunsch bei meiner Anreise war es, mich auf neue Menschen, Gespräche und Begegnungen einzulassen. Ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg.