Let it snow in the show
Wie ich es schaffe einen Arzttermin zu bekommen, an den französischen Methoden zweifle, eine große Ladung Kultur konsumiere und den ersten Schnee erlebe
Montag, 16.11.2015
Ich habe nach einem langen Hin und Her endlich einen Arzttermin ergattern können, damit mir das „Certificate médicale“ ausgestellt werden kann. Das Ganze stellt sich schwieriger raus als gedacht. Während es in Deutschland auch durchaus möglich ist den Termin direkt in der Praxis auszumachen, haben die Franzosen hier davon noch nie etwas gehört. Als ich letzte Woche in die Praxis kam mit dem Vorhaben mündlich einen Termin auszumachen – die Option anzurufen traue ich mir dann doch noch nicht zu –, war ich doch etwas überrascht. Links von mir lag das Wartezimmer, rechts von mir zwei geschlossene Türen. An der einen Tür prangte der Name der Ärztin, an der anderen der Name des Arztes. Da war guter Rat teuer. Kurzerhand habe ich mich einfach in den Eingang gestellt und gehofft, dass eine der beiden Türen bald aufgehen würde und ich mein Anliegen schildern könne. Nach einer Viertelstunde Warten öffnete sich schließlich wirklich eine Tür. Ich natürlich direkt hineingestürzt. Die Ärztin ist total nett und gibt mir für in einer Woche einen Termin. Besser geht es gar nicht.
So, und darum stehe ich nun wieder im Wartezimmer und warte... Und warte... Ich kann nicht wirklich einschätzen wie lange ich warte, da ich mein Handy und somit auch meine Uhr vergessen habe. Naja, so lange wie in Deutschland warte ich jedenfalls nicht. Als ich im Behandlungszimmer Platz nehme, unterhält sich die Ärztin erst einmal mit mir und fragt mich etwas aus. Es kommt ja auch nicht alle Tag vor, dass jemand, der nicht Franzose ist, ein Certificate médical haben möchte. Nach dem Gespräch werde ich an zahlreiche Elektroden angeschlossen und muss erst einmal nichts machen. Nur still liegen. Gleichzeitig wird mein Puls gemessen. Das stellt sich dann schon als problematischer heraus. Ich kann es nämlich gar nicht haben, wenn etwas an meinem Arm immer enger wird. Aber heute klappt es erstaunlich gut. Nach dieser kleinen Alibi-Untersuchung denke ich, dass ich fertig bin und mache Anstalten mich wieder anzuziehen. Die Ärztin sagt mir allerdings, dass ich noch 30 Kniebeugen machen soll. „30?!?“ denke ich mir. Das ist ja doch ziemlich viel. Natürlich bekomme ich das hin, aber ich frage mich ob es da nicht auch Leute gibt, die an dieser Übung scheitern...
Schließlich setzt mir die Ärztin noch ihren Stempel unter meine Sportpapiere und kassiert dafür knapp 40 Euro ein. Ich kann es kaum glauben. 40 Euro dafür, dass ich 30 Kniebeugen machen durfte? Generell verstehe ich das Prinzip hinter dem Certificat nicht so wirklich. Natürlich müssen sich die Vereine versicherungstechnisch absichern, aber wenn ich krank wäre, würde ich doch freiwillig keinen Sport machen. Meiner Meinung nach ist das nur Geldmacherei. Aber gut, ich habe nun mal keine Wahl.
Bewaffnet mit meinen beiden Certificates und einem Rezept für Nasenspray – ganz am Ende habe ich dann nämlich noch einmal erwähnt, dass ich seit ich in Frankreich bin ständig erkältet bin. So zu sagen dauererkältet... Daraufhin hat sie mir direkt ein Rezept geschrieben - mache ich mich wieder auf den Weg nach Hause.
Nach der Arbeit, wo wir heute vordergründig Laub zusammen haken, schwinge ich mich noch einmal aufs Rad und mache mich auf den Weg zur Bücherei. Ich muss ein paar Bücher zurück bringen. Klug und organisationsbegabt wie ich bin packe ich auch direkt das Nasenspray-Rezept ein. Dann mache ich auf dem Rückweg noch einen Schlenker zur Apotheke. So der Plan.
Als ich schließlich aber vor der Apotheke stehe und in meiner Handtasche krame, kann ich das Rezept partout nicht finden. Das kann doch nicht sein! Ich bin mir ganz sicher, dass ich es eingepackt habe... Dann habe ich es vielleicht zu Hause vergessen. Dort angekommen kann ich es aber auch nicht finden. Und da fällt es mir ein: Ich hatte es zwischen zwei Bücher gesteckt, damit es nicht verknickt. Tja, und diese beiden Bücher habe ich abgegeben. Natürlich ohne das Rezept raus zunehmen. Manchmal ärger ich mich über meine eigene Blödheit...
Nach dieser Erkenntnis und dem Entschluss im Laufe der Woche noch einmal bei der Bücherei vorbeizuschauen – schaden kann es nun mal nicht – backe ich zum ersten Mal in diesem Winter Plätzchen. Ich bin total in Weihnachtsstimmung und lasse einfach mal außer Acht, dass wir erst Mitte November haben. Letztendlich endet die Aktion in einem großen Experiment. Ich bin hier dazu übergegangen, dass ich nach Gefühl und nicht nach Rezept backe. Das endet zwar darin, dass alles nicht immer perfekt zusammen passt, aber im Großen und Ganzen ist es doch immer genießbar. Und auch M. Befindet meine Kreationen als lecker.
Dienstag, 17.11.2015
Beim Badminton sind wir heute nicht viele. Insgesamt sind wir zu sechst. Das liegt daran, dass die anderen alle zu einem Turnier gefahren sind. So machen wir uns in der Halle aber eine schöne Zeit und können uns Platztechnisch richtig ausleben. Wir spielen auf einem Spielfeld Doppel und auf dem anderen Einzel und rotieren dann immer. Als ich mit L. Zusammen spiele, ist er sehr ambitioniert bei der Sache. Im Großen und Ganzen klappt es mit ihm aber ganz gut. Irgendwann in der Mitte des Spiels kommt es aber zu einer kleinen Kollision seines Schlägers und meines Arms. Das tut schon etwas weh. Aber gut, ich bin schließlich hart im nehmen. Nachdem er mich aber irgendwie noch einmal mit dem Schläger erwischt hat, gewöhnen wir uns an uns immer zuzurufen wer den Ball nehmen soll. Am nächsten Tag bemerke ich, dass ich noch einen riesigen blauen Fleck am Handgelenk habe. Ich überlege fieberhaft wo der nun herkommt, bis es mir schließlich einleuchtet. Vermutlich ist das mein Schläger gewesen. Tja, Badminton ist eben doch schwieriger als man immer denkt.
Ganz nebenbei finde ich auch noch heraus, dass ich mit dem Sohn einer meiner TAP-Kolleginnen zusammen spiele. Die Welt ist klein. Besonders in Orcier.
Mittwoch, 18.11.2015
Für den Nachmittag mit den Kindern haben sich T. Und ich etwas ganz Feines ausgedacht: Die Woche über sollten sie alle Müll sammeln und diesen heute mitbringen. Ich bin sehr gespannt, wer von den Kindern zum einen daran gedacht hat den Müll zu sammeln (Hürde eins), den Müll mit in die Schule (Hürde zwei) und von dort aus ins Centre (Hürde drei) mitgenommen hat. Da T. Und ich uns aber darauf eingestellt haben, dass die Kinder ihre „Aufgabe“ wieder vergessen, haben wir zwei über die Woche natürlich auch ganz fleißig gesammelt.
In der temps calme, die wir nun immer mit einem Sitzkreis und der kurzen Vorstellung unseres Programms beginnen, nehmen wir den Müll, der sich im Laufe der Woche bei uns angesammelt hat und kippen ihn vor den Kindern auf den Boden. Dies soll ihnen vor Augen führen, wie viel Müll wir, die Weltbevölkerung, produzieren. Wenn das, was da vor ihnen liegt nur das Resultat vom Konsum zweier Menschen innerhalb einer Woche ist, wie unglaublich viel ist das Ganze dann doch hochgerechnet auf die mehrere Milliarden Menschen.
Die Idee ist, dass wir mit dem Abfall eine Weltkarte gestalten. Dafür haben T. Und ich im Vorhinein Kontinente auf Karton aufgemalt und ausgeschnitten. Vor allem letzteres war schwieriger als gedacht...
Die Kinder teilen wir dann in Gruppen ein. Jede Gruppe kümmert sich um einen Kontinent und beklebt diesen mit Abfall in einer bestimmten Farbe. Ein bisschen ist das Ganze wie Ostereiersuchen. In dem riesigen Abfallberg suchen die Kinder nach rotem Abfall für Asien und etwas Grünem für Nordamerika.
Als die Kinder schon mehr oder weniger alle abgeholt sind, kommt M. (er ist in der Gruppe der Kleinen, bleibt aber immer bis ganz zum Schluss) zu uns. Er hilft total enthusiastisch T. Beim Bekleben der Arktis. Möglicherweise auch der Antarktis. Wir hatten beides aufgemalt. Jedenfalls bekommen sich E. Und ich nicht mehr ein, weil M. Mit einer herzzerreißenden Hingabe weißen Abfall sucht und Kleister auf den Karton schmiert.
Donnerstag, 19.11.2015
Da verliere ich am Montag mein Rezept fürs Nasenspray und bin jetzt schon wieder krank. Die ganze Zeit ging es mir eigentlich ganz gut. Und am Montag auf dem Rückweg von der Ärztin dachte ich mir noch: „Ach, das Nasensprayrezept ist ja vielleicht überflüssig. Es geht mir ja schon wieder viel besser.“. Aber mittlerweile könnte ich es wirklich gut gebrachen. Doch nicht nur meine Nase ist wieder zu. Auch mein Hals tut weh. Die Tatsache, dass es draußen um die 0 Grad sind, dadurch das Erkältungs-/Krankheitsrisiko noch mehr steigt und ich nächstes Wochenende für meinen Trip nach Straßbourg fit sein will, führt summa sumarum dazu, dass ich das Flagfootballtraining heute ausfallen lasse. Leider. Ich hatte mich schon total gefreut. Aber man kann eben nicht immer alles haben.
Freitag, 20.11.2015
Auf dem Weg heute zum TAP erkundigt sich T. Was wir am Wochenende so vor haben. Ich habe einen Impro-Theaterabend am Samstag ins Auge gefasst. Als er von meiner Theaterbegeisterung erfährt, lädt er mich heute Abend zu einem Theaterfestival ein. Als ich zu Hause noch einmal ein wenig recherchiere finde ich heraus, dass es sich um ein Festival handelt, das das gesamte Wochenende andauert. Es gibt die ganze Zeit Aufführungen und das Beste ist, dass das Ganze nichts kostet. Natürlich wird sich über Spenden gefreut (es ist der „chapeau“ am Ausgang anzutreffen), aber prinzipiell kostet es keinen Eintritt. Ein großer Pluspunkt. Denn Kultur ist hier doch eher etwas teurer und darum für mich als nicht ganz so reiche Freiwillige nicht unbedingt die erste Wahl. Dann investiere ich das Geld eher in ein paar Kaffeestündchen. Nun ja, jetzt ist die Chance von Kultur aber zum Greifen nahe und ich möchte sie nutzen. Abends fängt es allerdings an sehr stark zu stürmen und zu regnen. Dazu kommen Temperaturen um den Gefrierpunkt und die Tatsache, dass ich gar nicht so ganz genau weiß, wo ich überhaupt hin muss. Nach mehrmaligem Umentscheiden fälle ich schließlich den Entschluss zu gehen. T. Reserviert für mich eine Karte und ich mache mich mit dem Camion auf den Weg Richtung Massongy, was etwa 25 km von uns entfernt ist. Als ich M. sage was ich vorhabe und die Floskel „Wenn ich nicht wieder komme, bin ich dann vermutlich wortwörtlich vom Winde verweht...“ hinterher schiebe, merkt er nur an, dass ich damit vielleicht nicht unbedingt Witze reißen sollte. Schließlich hat der Camion von der Höhe und Breite her doch eine ganz beträchtlich große Windfangfläche... Total beruhigt durch diesen Einwand finde ich mich wenig später auf der Autobahn wieder. Wenn ich so überlege bin ich wirklich noch nie bei einem richtigen Unwetter unterwegs gewesen. Schon gar nicht mit einem Mini-Bus. Irgendwann ist dann wohl immer das erste Mal. Der Regen klatscht mit einer ziemlichen Wucht gegen die Windschutzscheibe, meine Sicht reicht nicht gerade weit. Obwohl ich auf der Autobahn, auf der ich mich gerade befinde, 110 km/h fahren dürfte, tuckre ich mit gerade mal 70 Sachen über die Straße. Mehr ist gerade einfach nicht drin. Dafür sehe ich zu wenig. Das Lenkrad muss ich die ganze Fahrt über festklammern damit ich in der Spur bleibe, da der Wind so stark ist.
Nach einem kurzen Ausflug in die falsche Richtung – gesperrte Straßen haben mir dann eine Strich durch meinen genial recherchierten Wegplan gemacht... Aber ich werde immer besser auch nach Beschilderung zu fahren. Alleine und im Dunkeln ist das zwar zusätzlich schwer, aber hej: Ich wachse täglich an meinen Herausforderungen – finde ich schließlich sogar Massongy. Mit dem Parken ist das auch immer so eine Sache. Um es mal auttotechnisch auszudrücken: Unser Gefährt hat nicht unbedingt die Abmaße eines Smarts. Darum nehme ich mir direkt den ersten Parkplatz, der mir über den Weg läuft. Er befindet sich vor einem Friseursalon und die Dame in dem Salon schaut mich ganz pikiert an. Da ich wenig Lust habe am Ende des Abends zum Parkplatz zu kommen und den Platz ohne Camion wieder zu finden, gehe ich vorsichtshalber in den Salon und frage nach, ob ich rechtens geparkt habe. Nachdem auch das geklärt ist, mache ich mich auf die Suche nach der Kirche. Dort in der Nähe soll nämlich das Festival sein. Den (vermutlichen) Gemeindesaal finde ich im Regen ohne Probleme. Vor dem Eingang schüttle ich zunächst meinen sehr durchnässten Regenschirm und danach mich selbst aus. Ich möchte schließlich nicht so aussehen wie jemand, der gerade eine Wanderung im Regen gemacht hat, wenn ich ins Theater gehe.
Um halb neun soll die Vorführung losgehen. Durch meine Parkplatz-Eskapaden habe ich mich etwas verspätet und bin darum ziemlich froh bei T. Noch eine Karte reserviert zu haben. Als ich mich in dem vermeintlichen Vorraum des Veranstaltungssaals befinde, sind aber noch gar nicht so viele Leute da. Dabei sind es nur noch zehn Minuten bis zum Beginn des Spektakels. Ich setze mich so unauffällig wie möglich an einen Tisch im Vorraum und mustre die Leute, die hier herum stehen und auf ihre Crêpes (die werden nämlich hier verkauft. Und Suppe. Und Wein.) warten. Es macht mich etwas stutzig, dass ich vor allem von Kindern umgeben bin. Das Stück heißt übersetzt „In der Küche von Vater Igor“, was mich stark auf irgendetwas Kommunistisches bzw. Kritisch-politisches schließen lässt. Nicht unbedingt leichte Kost für Kinder zwischen sieben und zehn. Als es dann acht Uhr neunundzwanzig ist, werde ich aber doch unruhig. Das kann doch nicht sein, dass man noch gar nichts sieht. Keiner scheint daran interessiert zu sein in den Saal zu kommen. Beherzt frage ich schließlich den netten Crêpes-Verkäufer ob ich überhaupt richtig bin. Der verweist mich auf ein Gebäude auf der anderen Seite der Straße. Ich stürze wie der Blitz aus dem Gemeindesaal und überquere im strömenden Regen die Straße. Auf der anderen Straßenseite angekommen finde ich den Eingang aber nicht. Erst mit drei anderen Frauen, die sich auch verspätet haben, gelingt es mir die Pforte zu diesem einmaligen Kulturerlebnis zu durchschreiten. In dem Gebäude ist es sehr gemütlich. Beinahe würde ich sagen, dass es sich um ein altes Kino handelt.
Am Eingang werde ich herzlich begrüßt. Alle scheinen bereits zu wissen wer ich bin. Die nette Dame am Empfang legt mir ans Herz, dass ich keine Scheu haben solle am Ende noch zu bleiben um Fragen zu stellen. Als ich in den Saal trete begrüßt mich T.s Freundin S., die ich bereits an meinem ersten Tag in Frankreich getroffen habe. Sie strahlt mich an und zeigt mir meinen Platz. Ich habe eine perfekte Sicht auf die Bühne. Da das Spektakel aber noch nicht beginnt, schaue ich mich etwas im Saal um. Mein Blick schweift nach hinten. Über dem Zuschauerraum ist ein kleiner Technikraum situiert. Und genau dort sitzt T. Und winkt mir zu. Okay, jetzt weiß ich, dass ich wirklich richtig bin. Er hatte mir heute Nachmittag schon erzählt, dass er die Technik machen würde. Für mich klang es aber eher so, als ob er nur kleine Scheinwerferchen justieren würde.
Neben T. Und S. Entdecke ich auch noch meine Kollegin M., die bereits schon ziemlich lange auf der Arbeit fehlt. Komisch, dass sie fit genug zu sein scheint um Theater zu spielen. Aber mal schauen, vielleicht spielt sie ja eine Kranke. Man weiß ja nie.
Das Stück ist genial. Für meinen Geschmack ist es genau die richtige Mischung aus Abstraktion und Realismus. Bei der Kulisse handelt es sich um einen alten Wein-/bzw. In diesem Fall eher Wodkakammer. An dieser Stelle könnte ich eine sehr tiefgehende Theateranalyse schreiben. Wenn ich noch Zeit finde, folgt die vielleicht noch mal später. Das Szenario ist folgendes: Im tiefsten Russland befinden sich zwei Männer und eine Frau in einer Kneipe. Sie ist die Küchenhilfe und gleichzeitig die Frau des Älteren. Der andere Herr der heimliche Geliebte von ihr. Drei Leute – das kann ja nie gut gehen. Es kommt, wie es kommen muss. Intrigen über Intrigen. Gleichzeitig wird auf der politischen Ebene auch noch einmal heftig kritisiert. Zunächst vordergründig der Kapitalismus (schließlich befinden wir uns thematisch gerade in einem eisigen sozialistischen Wald). Mit dem Erscheinen von westlichen Botschaftern trifft aber neben Konsumenten des reichlich vorhandenen Wodkas auch gleichzeitig leise Kritik am Kommunismus ein. Die Botschafter passen dem Kneipeninhaber gar nicht in den Kram. Alles Schnüffler. So jemanden kann man hier nicht gebrauchen. Da sich kurz vor dem Eintreffen des ersten Besuchers außerdem herausgestellt hat, dass die Dame, um die sich die Männerherzen reißen, hunderte von Menschen auf dem Gewissen hat – allesamt hatten sie nicht in ihre kommunistische/sozialistische Sichtweise gepasst... - und darum von dem netten Mädchen von nebenan zu einer Killermaschine mutiert ist, ist das Interesse die Botschafter los zu werden verständlicher weise noch größer. Kurzer Hand sperrt man sie einfach mit der Dame, die schnell in der Kältekammer versteckt wurde, ein. Es ertönt ein ohrenbetäubendes Schreien und der Zuschauer kann erahnen, dass der Botschafter es nicht mehr als Ganzes aus der Kammer schaffen wird. Mit jedem weiteren Botschafter, der sein Schicksal in der Kältekammer findet, steigt zum einen die Anzahl der Blutstropfen auf der weißen Schürze der Dame und gleichzeitig auch die Verbundenheit der beiden Männer. Während sie am Anfang noch Rivalen waren, gilt es nun die Dame, die zunehmender mehr durch dreht, irgendwie zu beruhigen.
Ich möchte nicht zu viel verraten – wer weiß, vielleicht möchte sich jemand das Stück ja doch mal anschauen -, aber letztendlich sind alle über und über mit Blut besudelt.
Herrlich, dieses politische Theater. Ich stelle fest wie sehr mir das Theater in den letzten Monaten gefehlt hat. Auch, wenn ich selbst nicht aktiv gespielt habe, ist es doch auch schon erfüllend passiv an dem Spektakel teil zu haben. Und erstaunlicher Weise habe ich beinahe alles verstanden. Diese Tatsache bestätigt meine These wiederum: Theater besteht aus mehr theatralischen Zeichen (Achtung, kleiner Theaterexkurs...) als aus den linguistischen. Und genau aus diesem Grund habe ich auch trotzdem vieles Verstanden. Sprache ist wichtig, aber nicht das Wichtigste. Das Wichtigste im Theater ist das Zusammenspiel der vielen verschiedenen Zeichen. Wenn ich vokabeltechnisch etwas nicht verstanden habe, so hat sich mir der Inhalt des Gesagten schließlich doch noch durch Mimik und Gestik der Schauspieler erschlossen. Kurz um: Das Theater hat sich in den letzten drei Monaten nicht verändert. Irgendwie beruhigend.
An meine DS-Zeiten erinnert, freue ich mich unheimlich auf die Besprechung und Fragerunde nach der Aufführung. Diese soll allerdings nun wirklich in dem anderen Saal (dem, vor dem ich anfangs stand) stattfinden. Gemeinsam mit einem Großteil des Publikums mache ich mich auf den Weg und suche mir einen Platz. Im Saal sind Tische aufgestellt und so setze ich mich mit der Dame an einen Tisch, die bereits eben gerade den Platz neben mir in Anspruch genommen hat. Da es noch nicht direkt los geht, unterhalten wir uns etwas.
Schließlich geht es weiter. Allerdings nicht mit einer Fragerunde, sonder mit dem nächsten Programmpunkt. Entweder habe ich da etwas Falsches verstanden, oder es war sowieso so geplant. Wie dem auch sei. Auf der Bühne beginnt eine Ein-Mann-Show, die mich etwas an die Märchenstunden mit meinem Opa erinnern. Er (also der Mann auf der Bühne) hat mehrere Instrumente mitgebracht und auf jedem Tisch mehrere Menüs verteilt. Sein Auftritt besteht darin, dass er zu jedem Gang, die in Frankreich ja sehr zahlreich vorhanden sind, ein paar Geschichten erzählt. Seine Geschichten untermalt er mal hier, mal da mit musikalischen Lauten. An sich eine sehr schöne Idee. Allerdings dauert sein „Mahl“ etwas mehr als zwei Stunden. Zu so später Stunde ist das dann doch sehr schwere Kost... Aber ich verstehe beinahe alles und das macht mich stolz. S. Und T., die links neben mir sitzen schlafen teilweise beinahe ein. Ein klares Indiz, dass das Programm etwas zu lang ist.
Nach dieser appetitanregenden Einlage, bleiben alle, die wollen, noch da und essen gemeinsam. Es ist eine nette Runde. Als wir uns dann gegen ein Uhr dreißig verabschieden, ärger ich mich, dass ich den Camion so weit außerhalb geparkt habe. Insbesondere da der Weg dorthin wirklich nur sehr spärlich mit Straßenlaternen beleuchtet wird.
Nach einer Irrfahrt, bei der ich mich plötzlich im gespenstischen Industriegebiet Thonons wieder finde, bin ich gegen kurz vor Zwei schließlich auch zu Hause. Zwar müde, aber auch glücklich. Glücklich, endlich wieder mit Theater in Kontakt gewesen zu sein. Glücklich, den Abend ausgiebig genutzt zu haben.
Samstag, 21.11.2015
Obwohl es gestern Abend ja doch verhältnismäßig spät geworden ist, stehe ich relativ früh auf. Schließlich muss ich mich noch einmal der Suche meines Nasensprayrezeptes widmen... Bei eisigen Temperaturen (aber glücklicherweise ohne Wind) wage ich mich mit dem Rad den Berg hinauf und versuche mein Glück in der Bücherei. Dort ist zum allerersten Mal eine andere Dame am Ausleihtisch. Ich schildre ihr meine Lage. Sie fragt mich, ob ich noch weiß um welche Zeitschriften es sich handle. Nebenbei sagt sie, dass wir das Rezept sicherlich finden. Ob ich denn wüsste für was genau das Rezept sei? Kuchen? Braten? Da dämmert es mir... Sie denkt ich hätte ein Rezept in einer Zeitschrift gefunden, besagte Zeitschrift aber abgegeben ohne mir das Rezept vorher herauszuschreiben. Nach einer kurzen Richtigstellung der Lage, einem intensiven Suchprozess und dem erfolglosen Nachschauen in den abgegebenen Büchern, muss ich leider einsehen, dass ich das Rezept vermutlich nicht mehr wieder bekommen werde.
Resigniert mache ich mich wieder auf den Heimweg. Sehr abenteuerlustig nehme ich aber mal einen anderen Weg als sonst. Prompt finde ich mich auf der Straße runter nach Thonon wieder. Hm, da wollte ich jetzt eigentlich nicht hin... Um das Schlimmste abzuwenden biege ich in einen Waldweg ein. Nach einem kleinen Umweg finde ich schließlich nach Hause.
Gerade rechtzeitig, denn es beginnt zu schneien. Der erste Schnee! M. Und ich stehen am Fenster und beobachten wie sich die Landschaft um uns herum langsam aber sicher in ein Puderzucker-Wunderland verwandelt. Ich versuche alle fünf Minuten Fotos immer an der selben Stelle aus unserem Fenster zu machen, damit man dann später die rasanten Schneeentwicklungen verfolgen kann. Anfangs gelingt mir das noch ganz gut. Nach und nach, vergesse ich aber in regelmäßigen Abständen Fotos zu machen...
Nachmittags beschließen wir Evian einen Besuch abzustatten. Trotz fehlender Winterreifen (vor allem ich hatte da einige Einwände. Schließlich wissen wir ja nicht, ob die Straßen nicht vielleicht vereist sind...) machen wir uns auf den Weg und finden sogar einen kostenlosen Parkplatz. Als wir durch die Gässchen laufen wird mir bewusst, dass ich etwas vergessen habe. Meine Mütze. Es ist so unglaublich kalt! Darum freue ich mich sehr als ich eine Galerie finde, in der man kostenlos eine kleine Ausstellung angucken darf. M. Freut das eher weniger. Aber wenigstens ist es warm. Das hält dann auch ihn einige Minuten drinnen. Die Künstlerin ist sogar auch anwesend und so lausche ich einigen ihrer Ausführungen. Sie hat immer Viere-Reihen von Alltagssituationen, Orten oder Gegenständen gemalt. So kommt beispielsweise eine Reihe von Staubsauger (beinahe der gleiche, den wir auch zu Hause haben), Milchkanne, Kühlschrank und Toaster zu Stande. Nach diesem kleinen kulturellen Exkurs schlendern wir weiter durch die Kälte, flüchten aber sehr schnell in einen kleinen Teeladen. Die Auswahl ist gigantisch. Neben den Standartteesorten gibt es auch „Kir Royal“ und „Caipirinha“. Das Ganze riecht dann aber auch entsprechend chemisch.
Nach einem kurzen Ausflug in die Kirche, in der wir das Glück haben einem Orgelspieler lauschen zu dürfen, beschließen wir, dass es zu kalt ist um noch weiter zu laufen. Darum suchen wir wieder den Teeladen auf und trinken dort ein Tässchen Kaffee. Die Atmosphäre ist total herzlich und die Bedienungen machen den Eindruck, als ob das Arbeiten eher ein Hobby als wirkliche Arbeit sei.
Schließlich fahren wir wieder nach Hause und müssen feststellen, dass das Internet mal wieder nicht funktioniert. Der Schneefall hat sich leider eingestellt. Als ich abends einen kleinen Spaziergang mache, liegt aber noch relativ viel von dem kalten Weiß, welches mich so sehr erfreut.
Sonntag, 22.11.2015
Da das Internet heute wieder funktioniert, starte ich Morgens einen großen Skypemarathon. Es macht Spaß, ist aber auch anstrengend. Es gibt dann immer so viel zu verarbeiten und manchmal fühle ich mich als hätte ich Sport gemacht. Vielleicht Gehirnjogging?
Für nachmittags habe ich mir vorgenommen auf ein Chorkonzert zu gehen. Ja, dieses Wochenende steht ganz im Zeichen der Kultur. Freitag Theater, Samstag Kunstgalerie. Warum dann nicht heute Musik?
Gut gelaunt und mit Handschuhen – ich lerne schließlich dazu... Der Schnee ist mittlerweile zumindest von den Straßen verschwunden, sodass ich ohne Probleme mit dem Fahrrad herum fahren kann. Kalt ist es aber trotzdem. Und dass bekommt man beim Fahrradfahren besonders dann zu spüren, wenn man bergauf, bergab fährt. So, wie es bei mir eben der Fall ist. - mache ich mich auf den Weg nach Allinges. Als ich im Gemeindesaal ankomme bin ich doch etwas überrascht. In dem Saal befinden sich nur ältere Herrschaften. Alle 70 plus. Ich senke den Altersdurchschnitt rapide. Naja, was soll's? Kann ja trotzdem ganz gut werden. Mit diesem Gedanken setzte ich mich etwa in die Mitte des Zuschauerraumes. Und was mich besonders freut: Alle schauen mich mit einem freudigen Blick an. Beinahe fühle ich mich wie eine Attraktion im Gemeindesaal Allinges.
Nach einer kurzen Wartezeit beginnt schließlich das Konzert. Es handelt sich dabei um die Intervention verschiedenster Chöre aus der Umgebung. Zuerst habe ich das Vergnügen einem Chor aus Lullin zu lauschen. Auffällig ist die Wahl der Lieder. Alles ist auf Französisch und schon älter. Ganz so habe ich mir das ehrlich gesagt nicht vorgestellt. Aber es kann sich ja auch noch entwickeln... Geduldig bleibe ich darum sitzen und freue mich richtig, dass mit der nächsten Gruppe – die im Übrigen beinahe nur aus Frauen besteht wie meine etwas ältere Sitznachbarin lautstark bemerkt. Nachdem ich einen Platz zur Seite gerutscht bin, war das Problem, dass sie nichts sieht aufgrund der Tatsache, dass ein Herr vor ihr saß, auch gelöst. - etwas Dynamik in den Saal kommt. Es klingt alles etwas schief, aber dafür bekomme ich wirklich den Eindruck, dass es den Sängern bzw. viel mehr Sängerinnen Spaß macht vor dem Publikum zu singen. Das Ganze wird immer mal wieder von der sehr gesprächigen und vorwitzigen Chorleiterin unterbrochen um das nächste Lied anzukündigen. Auf dieses kleine Bonbon des Nachmittags folgt eine Gruppe, die sich scheinbar auf die Epoche des Expressionismus konzentriert hat. Zumindest klingen die Versuche die Lieder mehrstimmig, im Kanon und mit Lautmalerei vorzutragen so. Nachdem ein Lied noch einmal von vorne begonnen werden musste, ist die Halbestunde Ruhm des Chors auch schon vorbei.
Ich denke mir, dass doch bald mal eine Pause kommen könnte. Es folgt aber keine Pause, sondern der Auftritt des fröhlichen Singvereins der Freunde von Annecy. Vielleicht wird das ja noch richtig gut. Als dann die choreografische Untermalung des Lieds „La Seine“ einsetzt und der Wellengang durch eine stark an Eurythmie angelehnte Tanzeinlage dargestellt wird, beschließe ich, dass mir das doch zu viel ist. So gerne ich alte Herrschaften beim Singen auch unterstütze – insbesondere das Glänzen in ihren Augen, wenn sie auf der Bühne vor Publikum singen dürfen, ist wunderbar – hätte mir das Ganze noch besser gefallen, wenn etwas aktuellere Lieder mit dabei gewesen wären.
Nach zwei-stündigem Programm gibt es die erste Pause, die ich nutze um nach Hause zu fahren. Ich bin schließlich mit den Rad gekommen und mein Licht ist nicht unbedingt das hellste. Blöd nur, dass ich eine relativ lange Strecke durch den dunklen Wald fahren muss. Darum gilt es noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen.
Als ich M. Von meinem kulturellen Ausflug erzähle, schaut er mich nur mit einem wissenden Blick an.