La multi ani! - Hoch soll'n sie leben...
Eingeladen zu sein auf einer Hochzeit verspricht, zumeist gutes Essen und viele gutgelaunte Leute kennen zu lernen. Findet die Hochzeit in einem fremden Kulturkreis statt, erfährt man bei dieser Gelegenheit auch noch viel über die Traditionen und andere Werte des fremden Landes. So wie mart in Moldawien.
"La multi ani" (=viele Jahre, auf die Melodie von "Hoch soll’n sie leben") war die Parole letzten Samstag, als Sergiu und Natalia sich das "Da"-Wort gaben. ...da stand ich also, und sie stand mir gegenüber, die strahlende Braut - ganz in Weiß, wartend auf den Bräutigam, und bezaubernd schön. Eigentlich alles ganz wie in Deutschland. Aber irgendwie doch nicht so ganz.
Die Hochzeit hatte natürlich schon viel eher begonnen als an diesem bewölkten Mainachmittag – mit den Vorbereitungen durch die beteiligten Familien, und mit dem "Stehlen der Braut". Vor der Hochzeit entführt der Bräutigam, in diesem Fall mit seinen Freunden, die Braut. Das geht auf einen alten Brauch zurück: der Junge entführt das Mädchen, heiratet es heimlich, und sagt dann dem Vater, er habe sie schon geheiratet. Zu spät also, um Widerspruch einzulegen. Heute geht es wohl meist gesitteter zu. Die Eltern wissen, die Tochter wird geraubt werden, für einen Tag oder zwei. Danach gab es (als ganz normaler Teil der moldawischen Hochzeit) Streitereien zwischen den Elternpaaren ums Finanzielle.
Und dann wurde es endlich ernst, ich stand mit der Familie der Braut Natalia, der großen Schwester meiner Mentorin Ana, in der kleinen 2raumwohnung im Telecentru, dem Stadtteil Chisinaus, wo Häuser schnell mal mehr kosten als vergleichbare in Deutschland. Es klingelt, untermalt von einem Hupkonzert, und der Bräutigam, Sergiu, erscheint, samt Familie und Trauzeugen.
Trauzeugen sind in Moldawien immer ein schon verheiratetes Paar, das der neuen Familie (Natalia ist im sechsten Monat schwanger) mit Rat und Tat zur Seite steht. Das macht die Suche schwer, denn das Trauzeugenpaar sollte möglichst nah stehen und sympathisch sein, dazu qualifiziert und hoch im gesellschaftlichen Ansehen. Lange wurde nach den beiden gesucht, und sogar Verträge wurden geschlossen. Sie waren gekommen, und hier strahlten sie nun mit den anderen um die Wette.
Als Sergiu Natalia hinausgeleiten will, stellt sich ihre kleine Schwester in den Weg, bewaffnet mit einem Messer, mit dem sie den Weg versperrt – “Du wirst dafür zahlen, uns Natalia zu stehlen!” Nach kurzem Verhandeln ist die Summe geklärt: 100 US-Dollar zieht Sergiu aus der Brusttasche…
Begleitet von einem Hupkonzert geht es ins Standesamt, gleich gegenüber der amerikanischen Botschaft. Davor warten andere Brautpaare und Stretchlimousinen mit transnistrischem Kennzeichen… vielleicht sind dort die Steuerbestimmungen für derartige Karossen günstiger. Das Standesamt: Ein Traum in Weiß, griechische Antike überall, überwältigende Feierlichkeit. Ärmstes Land Europas? Manchmal zweifle ich stark!
Erstmal mussten Herren und Damen, insgesamt etwa 20 Personen, in getrennten Räumen warten. Und dann betraten wir den eigentlichen Saal der Trauung. Eine festlich gekleidete Standesbeamte mit einer rot-gelb-blauen Schärpe (die Tricolore ist die rumänische Staatsflagge; versehen mit einem Emblem aber auch die moldawische) verlas die gewohnten Worte, die sich bei einem derartigen Anlass schicken, nach zwei “Da” und einem Kuss unterschrieben die Vermählten und die “Nanasi”, die Trauzeugen, mit goldener Feder, und die Eltern wurden von den Kindern geküsst.
Als die Eltern Natalias vor mir die Treppe zum Ausgang hinuntergingen, das sah schon sehr geknickt und bedrückend aus. Die Mutter war traurig über die Heirat, weil Natasha ausgezogen ist. Sie wohnt mit Sergiu nun auf meiner Straße (was immer noch 15 Minuten Fußmarsch bedeutet).
Ich schweife ab… Nachdem wir alle Sekt und Pralinen und die Toasts der Gäste genossen hatten, trug Sergiu Natalia die Stufen hinunter. Und gemeinsam traten sie als Mann und Frau, unter Rosenblüten, die die Gäste warfen, ins Tageslicht. Mit Rasseln und Hupen ging es in den Garten Botanica. Allein, die Strasse war voller Hochzeitsgesellschaften. Fast wunderte man sich mehr über “Nicht-Hochzeits-Autos” als über ebensolche – “Wow, tu l-ai vazut, ei nu fac nunta” (Wow, hast du das gesehen – die machen keine Hochzeit!) kam mir da in Radebrech-Rumänisch über die Lippen ;)
Auch im Park: Brautkleid über Brautkleid. Dabei ist dieser Park nur das zweitbeliebteste Ziel der Paare – normalerweise geht’s auf die Prachtstrasse “Stefan cel Mare” zum Stefan cel Mare-Denkmal, und danach für die Fotos in den Stefan cel Mare-Park.
Für neu Dazugekommene: Stefan cel Mare (der Grosse) verteidigte im 15. Jahrhundert die Rumänen gegen mächtige Feinde, wie Osmanen und Russen. Zum Beispiel schlug er bei einer Schlacht mit 40000 Soldaten die 120000 Gegner. Auf jedem Schlachtfeld ließ er nach dem Siege in Kloster bauen (Kampfstatistik: Kämpfe: 36, Siege: 34, Niederlagen: 2). Für die Verteidigung des Christentums wurde er dann vom Papst heilig gesprochen, was den endgültigen Überschuss an Namen erklärt: Stefan cel Mare si Sfint: Stefan, der Grosse und Heilige.
In der Zwischenzeit waren wir weit genug gewandert, und fuhren – alle schon recht müde – zum Restaurant. Jetzt ging die Party los: 150 Leute (eine kleine, gemütliche Hochzeit, wie mir versichert wurde). Zunächst begrüßte das Hochzeitspaar alle Gäste einzeln und stieß mit gutem moldawischem Wein mit jedem an. Hier stand bereits eine Schale für Spenden bereit. Zunächst wurden die Freunde des Paars begrüßt, dann zog die Familie des Bräutigams ein, dann jene der Braut – immer brav in einer Reihe aufgestellt. Als Nächstes: Der Gang durch das Blumentor, das die Jugendlichen mit den geschenkten Blumensträußen bildete.
Da saßen alle Gäste bereits, an drei verschiedenen langen Tafeln – wieder getrennt nach Herkunft. Die Jugendlichen durften als Letzte die Plätze einnehmen, die übrig blieben. Am Tischende, erhöht, eine Tafel mit Hochzeitspaar und Nanasi (sprich: “Nanasch”).
Im Hintergrund, falls man das Hintergrund nennen kann: ein inbrünstiger Hochzeitsgesang, “performed” von einem etwas steifen Mittvierziger. So einen guten traditionellen Gesang muss man sich in etwa so vorstellen: Ein Keyboard, das bereits eingespielte, sehr schnelle “Manele”-Rhythmen unterlegt. Ein Saxofon, das genauso schnell spielt. Und der Sänger, der mit seinem vibrierenden, hohen Gesang das Trommelfell endgültig überfordert. Meines zumindest.
Am gleichen Abend war ich in Kiew zum Songcontest eingeladen gewesen, vom deutschen ARD-Reporter – ich hatte Alain Forotti unter viel Mühe den Vorausscheid Moldawiens aufgenommen, und dafür hatte ich etwas gut. Aber die Hochzeit war halt toller, sogar als Zdob si Zdub. In diesem Moment war mir, als habe ich falsch gewählt.
Neben mir saß Tina, eine ehemalige Freiwillige eines anderen Projekts (das inzwischen wohl gestorben ist), die zum Besuch wegen eines Dokumentarfilmfestivals da war – das ich nun auch nicht besuchte… Während des Schmauses guter Dinge wie Hähnchen in eigenem Gelee (das, was ich immer überall kosten und, mit aufgesetztem Lächeln, für vorzüglich befinden muss), jeder Menge Fleisch, aber auch Brot, Salat und Süßigkeiten, sowie Alkohol (den Cognac konnte ich bis 22.00 Uhr erfolgreich abwehren) ging die Folge an Einlagen weiter: Jedes Geschenk, das gemacht wurde, wurde “getanzt”: Die Schenkenden trugen es hoch erhoben, tanzend, zu den Nanasi, die es für die wie ein Königspaar thronenden Frischvermählten entgegen nahmen: Tages- und Bettdecken, Kuchen, mehr Kuchen…
Nach etwa zwei Stunden des Sich-nicht-Unterhaltens (was vielleicht der eigentliche Sinn der lauten Musik ist), machten Tina und ich uns aus dem Staub. Auf zum Platz vor dem Regierungsgebäude, wo auf einer Bühne und mit Leinwänden Zdob si Zdub’s von allen erwarteter Sieg beim Grand Prix verfolgt und gefeiert wurde.
So voll hatte ich diesen Platz, normalerweise eine Hauptstraße, noch nicht gesehen. Und auch die Show, die eine Tanztruppe bot, war nicht schlecht. Bis auf den Tänzer mit pinkfarbenem Hosenlatz, der sich von Zuschauern provozieren ließ und ausflippte – hier in der Moldau sind Farben und Haarschnitte noch sehr konservativ verteilt. Das ukrainische Freiheitslied wurde von den Jugendlichen mitgesungen, bei Gracia lief andere Musik. Ich habe sie bis heute noch nicht gehört.
Zurück bei der Hochzeit, tanzten immer noch alle gemeinsam. Das ist ein sehr süßer Aspekt, der für mich Harmonie und Zusammenhalt widerspiegelt: Alle fassen sich an den Händen, bilden einen Kreis, und tanzen rechtsum, in einer für mich unnachahmbaren Schrittkombination. Und alle scheinen es zu lieben!
Später in der Nacht dann noch eine wichtige Zeremonie: Die Braut wurde vom Mädchen zur Frau: Der Schleier abgenommen, ein Tuch aufgesetzt, Frauenkleider symbolisch. Gezeichnet von Wein, Champagner, Wodka und Cognac, schlief ich beim Zuschauen auf dem Stuhl ein. Es war bereits 3.00 Uhr durch. Auch dies eine Tradition: Auf dem Land müssen die Moldawier nun einmal am Tage arbeiten. So ist nur nachts Zeit zum Hochzeit feiern.
Was ich nicht vergessen möchte, denn wie meine neue Gastschwester sagte: “In MD dreht sich alles ums Geld”: Wie bezahlt das Paar nur die Hochzeit? Nun, die Eltern helfen. Aber noch ein Aspekt kommt ins Spiel: Etwa um eins starten die Nanasi eine Runde um die Tische, bei der der Sänger sie begleitet: Jede Familie wirft, nach einem Toast auf das Paar, einen (zuvor ins Mikrofon genannten) Geldbetrag in den Korb – und trinkt einen symbolischen Schluck Wein mit dem Paar, das sich von der Loge bedankt.
Was gibt da so eine durchschnittliche Familie? Das kommt auf den Rang, die Nähe zum Paar, das Einkommen an. Von 50 Dollar bis 100 Euro sind akzeptiert, das Großmütterchen “bezahlte” mit selbst genähter Decke. Ich konzentrierte mich stark, um einen passenden „felerfraien ruhmenischen Sazt“ zu bilden – und ließ mein Taschengeld für zwei Wochen im Korb verschwinden.
“Was macht man, wenn man zu mehreren Hochzeiten eingeladen wird?” fragten wir danach Roman, der nach Brasov in Rumänien ausgewandert ist. “Man sagt ab” war die folgerichtige Antwort. Wer sich’s nicht leisten kann, kommt nicht.
Zu Moldawien und Geld aber noch zwei kleine Anekdoten. Erstens: Auf der Hochzeit war ein Typ, der wirklich hässlich und dumm aussah (für meine Augen) zusammen mit einem Mädchen, klein, zierlich, wunderhübsch. ‘Das sind Geschwister, das kann kein Paar sein’ war ich mir sicher. Roman erzählte mir über einen Partygast, der seiner Freundin einen Mercedes geschenkt habe. Ratet mal, wer es war. “Aber der sieht doch so dumm aus, wie kann er…?” höre ich mich fragen. Nun ja, er arbeitet als Schaffner auf der Strecke Bukarest – Chisinau. Es ist normal, den Schaffner direkt zu bezahlen. Manche wollen gekaufte Tickets gar nicht akzeptieren. Und Zigaretten sind in Rumänien viel teurer… So geht das also, hier Geld zu verdienen.
Die zweite Anekdote erzählte mir Nora, mit der ich eine Ausstellung der NGO mache, und die Ecotopia-Koordinatorin für AVI ist (wo etwa 500 Teilnehmer waren, die zwei Wochen umweltfreundlich und basisdemokratisch zusammen lebten, in einem Wald im Nordosten, Berichte dann später): “Was macht ein Moldawier, wenn er keine Lei mehr hat? – Er geht zur Bank, und tauscht 100 Dollar”…Ja ja, ich habe immer noch nicht herausgefunden, wo hier das Geld herkommt.
Was wurde aus Zdob si Zdub? Während des Geldeinsammelns (ich war noch nicht dran gewesen) kam ein Anruf von Snejana, die mit anderen Freunden einen Fernsehabend gemacht hatte: “You asholes, ZsZ needed two points to win, but Germany only gave one! Tuuttuuttuut…” – ‘Was, unmöglich, nein!!!’ Jetzt würde ich richtig bezahlen! Zwei Minuten später macht der Moderator eine Ansage: “… soeben beendet, und Zdob si Zdub wurden (er hob die Stimme in Boxmoderatormanier): sechster.” Enttäuschung im Saal. Erleichterung bei mir. Wenigstens nicht diese Punktesache… Gegen 4.00 Uhr dann war es genug, mit guter Hochzeitstorte abgerundet schloss sich der Abend im Taxi.
Noroc (Prost/Glück) de la Chisinau,
Euer mart
Bis zum nächsten Eintrag könnt ihr gern meine bisherigen Geschichten und mehr Fotos unter travelpod.com/member/mart travelpod.com/member/mart geführt sehen – falls ihr noch die Kraft habt ;)