Kirchentag
Es tut Johannson richtig gut, durch das historische Viertel zu laufen und sich in Ruhe schöne Sachen angucken zu können.
Ok,das mit der Mischung aus Urlaub und Uniarbeit stimmt natürlich nicht.
Heute hatte ich das erste Mal den ganzen Tag Zeit um Tourist zu spielen, und abgesehen von ein bisschen Polnisch üben nebenbei war da nix mit Arbeit. Gut, zuerst bin ich tatsächlich zur Uni gefahren, allerdings in die hiesige, d.h. nicht meine.
In der dortigen Philologie habe ich Zettel ausgehängt, das ich ein Tandem suche. Die Fakultät ist untergebracht in einem der Originalgebäude von wann auch immer genau die Uni hierher verlegt wurde (von Frankfurt O. übrigens) und treibt einem die Tränen in die Augen beim Gedanken was für ein speckiger Ostklotz den Dienst in Magdeburg tut. Überhaupt tut es gut endlich wieder Zeit für so was zu haben, durch ein historisches Viertel zu laufen und sich in Ruhe schöne Sachen angucken zu können. Und es klingt vermutlich spießig, aber ich bin den Tag über quasi nur von einer Kirche in die nächste gerannt.
Gesänge aus der Gruft
Denn auch danach blieb in diesen Komplex entlang der Oder, der Teile von Uni und Kirche und Mischformen beherbergt. Zuerst bin ich in ein Gebäude gleich nebenan gegangen, eine Art Schule wie ich vorn lesen konnte, aber scheinbar mit einigen sehenswerten Räumen und Gärten.
Erst drinnen sagte man mir, das es sich um eine katholische Mädchenschule handelte, und die Attraktion ein Mausoleum sei. Trotz Beschreibung habe ich eine Tür zu früh genommen, was mich in eine Kapelle daneben brachte. Das lohnte sich aber trotzdem, denn dort saß eine Schülerin mit ihrer Gitarre und sang ohne mich zu bemerken, in der Akustik des Raums so schön und klar wie aus Heimatmusikfilmen der 50er, in den Szenen wo Trachten-Liesel vor Panorama trällert und man immer denkt sowas geht ohne Playback sowieso nicht. Geht alles.
Das Mausoleum nebenan war zwar nicht viel mehr als ein gotischer Kirchenraum mit einem Hauptgrab in der Mitte und verschiedenen Grabplatten wichtiger Menschen drumherum. Aber die Infoblätter dazu brachten mich dazu, mich mal ausgiebiger zum Kiewer Rus zu informieren, denn daher stammten die hohen Damen und Herren.
Gold und Marmor mag ich sehr
Vielmehr konnte bzw. durfte man gar nichts besichtigen, und ich bin weiter in die Universitätskirche, in die ich auf keinem vorherigen Besuch reingekommen bin. Inzwischen hat man in Wroclaw außerdem den Audio Guide entdeckt, sodass ich mir das Haus mal im Detail angucken wollte. Gebaut wurde es von den Jesuiten, und wie schon deren Kirchen in Poznan (Posen) hat mich der Bombastbarock schwer begeistert. Da sie um 17 Uhr schon zumachen und ich vorher nochmal zur Uni wollte, hatte ich gar nicht genug Zeit, um genau genug hinzusehen und komme wohl morgen mit einem Buch dazu zurück.
Auch konnte ich mich immer weniger konzentrieren, denn langsam hing mir der Magen in die Kniekehlen. Praktischerweise ist gegenüber der Kirche, bzw. auch des historischen Hauptgebäudes der Uni, gleich mein örtliches Lieblingsrestaurant, eine Art private Mensa. Die steht bei mir ganz hoch im Kurs, seit ich dort bei meinem ersten Besuch in Wroclaw das erste Mal von Bigos begeistert wurde, und so leer wie die Unigeäude, so voll ist der Laden dort auch während der Ferien.
Anything goes in Ukraine
Zum Schluss war da noch eine Kirche, deren Bezeichnung mir nichts sagte. Das entpuppte sich als ein „Ukrainisches griechisch-katholisches“ Haus, was so viele Fragen aufwarf wie beantwortete. Zum Glück stand mir die Aufsichtsdame mit Rat und einer notwendigerweise aufwendigen Broschüre zur Seite, um die genaue Position im Gefüge der diversen Kirchen und Untergruppierungen zu verstehen. Das stellte sich als sowas wie „irgendwie orthodox, aber mit Papst“ raus, was an sich interessant genug war und mich auf den Gedanken brachte bei Gelegenheit doch mal die beiden wirklich orthodoxen Kirchen vor Ort zu besuchen. In die bin ich ja auf kaum einer Reise wirklich rein gekommen.
Mit Hinblick auf meine ehemaligen Mitbewohner schön: die Frau war selbst Ukrainerin. Und nach etwas Studieren verstand ich dann, das ihre Glaubensrichtung ein Überrest des Kiewer Rus war, und die nebenan begrabenen Leute dort das Christentum eingeführt hatten, kurz bevor es zur europäischen Großmacht wurde. Doch noch was gelernt heute.
Touristenführer
Und genug gelernt für einen Tag, gegen sieben setzte ich mich noch eine halbe Stunde an die Oder und las etwas, bevor ich mich für eine frühe Rückfahrt entschied. Auf dem Weg traf ich noch ein junges Touristenpärchen, die grad am Bahnhof angekommen waren und nicht wussten wohin. Er Neuseeländer, sie Südafrikanerin; ich war dankbar etwas Englisch sprechen zu können und hab ihnen gleich meine Stadtkarte überlassen. Sie haben sich dafür meine Nummer geben lassen und vielleicht gehen wir morgen noch was zusammen trinken. Mal sehen.