Kaleidoskopmomente
Schwere Schicksale und fehlende Struktur. Die Arbeit im Frauenhaus ist nicht einfach. Da heißt es oft einfach zupacken statt Stundenplanroutine. Trotzdem erlebt dasfraeuleintanzt auch schöne Momente. Von Kaleidoskopen in Wartezimmern – ein Lebenszeichen aus dem refuge.
Es gibt diese Tage, da komme ich mit einem Lächeln nach Hause. Obwohl ich nur schniefend und schnaufend den Bus bekommen habe. Obwohl wir in der Küche einen Wasserschaden haben, der dem Geruch nach etwas mit dem Abwasser zu tun haben muss. Und obwohl ich doch eigentlich mit meinem Placement nicht zufrieden bin.
Heute ist so ein Tag. Darcy* hat einen Job bekommen. Kurz bevor ich gehen muss, steht sie im Türrahmen des Büros, in den Augen ein ehrliches, ein so pures Lächeln. Die Hände fahrig vor Freude. Wie ein Kind, das Weihnachtsgeschenke auspackt. Die Narbe auf ihrer Wange sieht aus wie ein Grübchen. Und die neue Stelle ist wirklich ein Geschenk. Noch gestern haben wir diskutiert, ob Darcy und ihre Kinder vielleicht umziehen müssen. Raus aus dem Frauenhaus, dem sicheren „refuge“. Weil ein Mann ihren Aufenthaltsort herausgefunden hat, weil sie Opfer von Anfeindungen in der community wurde.
Das war nachdem sie von einem der zahlreichen Gerichtstermin zurückgekommen ist, der wieder mal erfolglos war. Die Richterin (!) meinte, sie „solle sich nicht so anstellen“ und entschied dann zu Gunsten von Darcys gewalttätigem Ehemann. Ein Mann, der sie und ihre Kinder jahrelang missbraucht hat. Mit Worten, mit Fäusten, mit Blicken – durch absolute Kontrolle. Danach konnte sie einfach nicht mehr, ist in Tränen ausgebrochen. Und ich am liebsten gleich mit. „Warum werde ich kriminalisiert, wo ich doch eigentlich ein Opfer bin?“, ihre Augen voller Unverständnis. Wut. Und Verzweiflung.
Nach solchen Momenten fällt es mir schwer, mich einfach wieder in den Bus nach Hause zu setzen, noch schnell den Quark fürs Abendessen einzukaufen und danach mit Freunden ins Kino zu gehen. Immerhin kann ich mich in den Bus setzen. Die Frauen, Mädchen und Kinder hier nicht. Sie müssen im refuge bleiben. Es ist ihr Zuhause - auf Zeit. Zwar ist das Frauenhaus sicherer und wärmer als die Orte, von denen sie geflohen sind, aber irgendwie auch nur ein Transitbereich. Das Wartezimmer zu einem neuen, hoffentlich besseren Leben. Ohne wort – und faustgewaltige Ehemänner oder Söhne oder Väter. Viele der Frauen schaffen das. Irgendwann wird auch im größten Wartezimmer jeder Name aufgerufen. Dann kommt ein Brief mit einem passenden Sozialwohnungsangebot oder die Einladung zum Vorstellungsgespräch.
Manche Frauen wählen aber auch den Weg zurück. Können nicht loslassen oder nicht klarkommen in einem Haus, in dem sich dreizehn Frauen aus allen Ecken Belfasts, Nordirlands und der Welt drei Küchen und vier Badezimmer teilen. Das Leben im refuge kann eine riesige Herausforderung sein. Wenn eine Frau entscheidet zu gehen, dann ist das okay. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle freiwillig hier. Viele der Bewohnerinnen haben in einer Notsituation die „Domestic Violence Helpline“ gewählt und wurden zu „Women`s Aid“ (WA), der Organisation, die die refuges betreibt, weitergeleitet. WA hat sich die Bekämpfung häuslicher Gewalt zur Aufgabe gemacht und will Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Jede Frau soll selbständig und unabhängig leben können. Die Sozialarbeiterinnen im refuge unterstützen dabei – am Ende aber verlässt jede Frau das Haus alleine.
Diese Eigeninitiative verlangt WA auch von seinen Mitarbeiterinnen. Das Frauenhaus ist wie ein Kaleidoskop. Ein buntes Muster zusammengesetzt aus den unterschiedlichsten Geschichten und Persönlichkeiten. Im einen Moment scheinen die Zahnrädchen perfekt ineinanderzupassen, die Abläufe reibungslos. Aber schon ein Stoß genügt; eine neue Mitbewohnerin, eine verschwundene Packung Milch, ein fremder Mann, der an der Tür klingelt - und das Muster ist ein komplett neues.
Als Freiwillige in diesem Farbenwirbel die tägliche Routine zu finden, das fiel mir am Anfang schwer. Zu oft saß ich schließlich mit der vierten Tasse Tee im Playroom, habe den Kindern der Frauen beim Spielen zugesehen und mich nutzlos gefühlt. Ich habe gezweifelt. An mir und meinem Projekt. Aufgeben?
Nee. Also habe ich gesucht, gefragt und gefordert nach anderen Aufgaben. Zugegeben, dass es nicht perfekt läuft, kostet Überwindung. Aber es lohnt sich, zumindest persönlich. Ich glaube, ich bin selbstbewusster geworden. Mein Leben lief bisher nach Stundenplan. Struktur wurde verlangt, aber auch bereitwillig gegeben. Im refuge muss ich selbst nach dem Stundenplan suchen.
Und irgendwann habe ich begriffen, dass ich mich vielleicht selbst ins Wartezimmer bugsiert habe. Dabei muss ich nicht darauf warten, dass mein Name aufgerufen wird. Ich kann etwas verändern. Auch wenn ich schließlich mit nur einer Frau Kekse backe oder den Smoothie alleine trinke, weil das mit „gesunder Ernährung und so“ hier noch nicht wirklich angekommen ist. Ich habe die Wahl. Und das ist ein verdammt großes Privileg. Selbstverantwortete Langeweile, die ist ein Luxusproblem. Die Wartezimmerlangeweile der Frauen und Kinder nicht. Ich bin hier, um gemeinsam mit ihnen die Wartezeit zu verkürzen. Da gibt es eben auch mal Teetage im Playroom. Und eigentlich ist doch genau das das Schöne an einem Kaleidoskop, oder? Morgen sieht das Muster schon wieder ganz anders aus.
*Name und Geschichte leicht abgeändert
Achso, angehängt noch ein paar Bilder aus meinem Leben außerhalb der Arbeit. Das gibt`s nämlich auch noch :P