Jõuluaeg - Weihnachtszeit
Woran man in einem sonst so überwiegend atheistischen Land merkt, dass bald Weihnachten ist.
Mitte Dezember ist es schon und viel zu warm. Durchgängige Plusgrade sorgen für abendlichen Dauerregen und verwandeln die grüne Landschaft, die doch eigentlich weiß sein sollte, in ein braunes Schlammparadies. Zugegeben der Wind ist eisig größtenteils und hier am Meer deutlich zu spüren, aber das macht den nicht gefrierenden Regentropfen auch nichts. Das Einzige, was man im vorweihnachtlichen Treiben der Menschen und im Verhalten der Tiere erkennen kann, ist die innerliche Vorbereitung auf einen langen Winter. Dabei hat es sogar den Anschein, dass die Esten in Zwischenmenschlichem auftauen - oder es liegt nur an ihrer Vorfreude auf Weihnachten. Es fällt auf, dass sie öfter das Gespräch suchen - auch zu Fremden - und sie lächeln einen durchaus auch mal an, im Gegensatz zu der sonst so eisernen Reglosigkeit in ihren Gesichtern :-) Wenn man nachmittags durch die Straßen der Altstadt wandert, die angenehm mit einer Mischung aus Touristen, Tallinnern, Esten, mittelalterlich Aussehenden und vielen Kindern bevölkert sind, es gerade beginnt dunkel zu werden und Tallinn zu einer richtig schönbunten Lichterstadt erwacht, weiß man nicht, ob es jemals einen Ort gab, der herzlicher und fröhlicher war. Straßenmusiker spielen auf teils ausgefallenen Instrumenten wie "Hang" oder in unterschiedlichen Kombinationen zusammen wie Geige, Cajonne, Gitarre und Xylophon. Dazu singen sie und ihre Stimmen verbreiten eine sonderliche Wärme im Innern der Vorbeilaufenden. Die Texte sind dabei in allen möglichen Sprachen, eben auch weil die Künstler aus unterschiedlichen Ländern kommen. Doch stören tut das hier niemanden. Es erfreut einen eher, weil man sehen kann, wie sehr sich die Hauptstadt dieses erst 24 Jahre alten ehemals sowjetischen Estlands zu einem globalen Flecken dieser Welt entwickelt hat. Ohne dass es so richtig jemand mitbekommen hätte - zumindest aus deutscher Sicht. Man glaubt hingegen gerne, dass Estland weiterhin sehr arm ist und weit hinter dem Wohlstand der Industrieländer zurückliegt, doch hat das nicht wirklich etwas mit der Realität zu tun. Es ist klein, ja, aber das modernste, kulturbewussteste und gefühlt freieste Land, an dem ich bisher war. Paris, Helsinki, Rom, Berlin, London.. sie können mit Tallinn in meinen Augen nicht mithalten. Auf der Arbeit haben wir nun fast alle "Proovid" (Proben) hinter uns und das Weihnachtstheater am Mittwoch kann kommen :) Da wir die Eltern der Betreuten und noch andere Gäste dazu erwarten, haben wir in den Gruppen verschiedene Handarbeiten zum Verschenken angefertigt. Zb Tassen bemalt und verziert, aus alten Eierkartons Wachsrosen hergestellt, mit Hilfe von Eierschalen und Silber- bzw Goldspray kleine Teller verschönert und "Piparkook" (Lebkuchen) gebacken. Am Dienstag steht dann noch der Besuch unseres Zentrums in der "Kaarlikirik" (Karlskirche) in der Nähe des Freiheitsplatzes an. Darauf freue ich mich mitunter am meisten!