Italien vor der Qual der Wahl
In wenigen Tagen sind die italienischen Staatsbürger zur Wahl aufgerufen. Nach dem Rücktritt des als Nachfolger Berlusconis eingesetzten ehemaligen Ministerpräsidenten Mario Monti, wurde das Parlament in Rom am 22. Dezember 2012 aufgelöst.
Höchste Zeit für Neuwahlen, zumal sich Italien in einer schweren Krise befindet, die weit über die Eurorettung der EU hinausreicht: Das Land selbst spürt die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nur zu gut, der Kampf gegen die Korruption geht nur schleppend voran und – für viele Italiener ein Zeichen – nun ist auch der Papst zurückgetreten.
Die Politik im bel paese ist nicht gerade leicht zu verstehen. Zuerst einmal: Was wird denn überhaupt gewählt? Da das Parlament Ende letzten Jahres aufgelöst wurde, müssen nun die beiden Kammern neu besetzt werden. Zum einen ist das der Senato della Repubblica (Senat - vergleichbar mit dem Bundesrat), der aus 315 Senatoren besteht, die als Vertreter der Regionen gewählt werden, maximal fünf weiteren Personen, die vom Staatspräsident zu Senatoren auf Lebenszeit ernannt wurden, sowie den italienischen Staatspräsidenten nach Beendigung ihrer Amtszeit. Die andere Kammer ist die Camera dei deputati (Abgeordnetenkammer - vergleichbar mit dem deutschen Bundestag), die aus 630 auf nationaler Ebene gewählten Abgeordneten besteht.
Wie kommt es dann nun dazu, dass alle immer nur von den verschiedenen Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten reden? Der Ministerpräsident ist, um etwas präziser zu sein, der presidente del consiglio dei ministri und damit der Regierungschef, der consiglio dei ministri (Ministerrat) ist nämlich die Regierung, die der Ministerpräsident nach seiner Wahl durch das Parlament bildet. Ein weiterer Grund für diese Vereinfachung ist auch, dass so viele Parteien ihre Wahllisten eingereicht haben, dass es für den Normalbürger schlicht unmöglich ist, den Überblick über alle zu behalten. Stattdessen sollen die Parteien bereits vor der Wahl Koalitionen bilden, die dann einen gemeinsamen Spitzenkandidaten auswählen, der von allen an dem Bündnis beteiligten Parteien unterstützt werden sollte. So viel zur Theorie.
Die Realität sieht aber leider anders aus, denn während Monti (scelta civica – bürgerliche Wahl) nicht offiziell Kandidat werden kann, da er ohnehin schon Senator auf Lebenszeit ist, wurde Silvio Berlusconi beispielsweise nicht Kandidat für die Führung der Koalition und damit den Ministerpräsidentschaftsposten, sondern Angelino Alfano, der ebenfalls Berlusconis Partei Popolo della Libertà (Volk der Freiheit) angehört. Trotzdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass der höchst umstrittene ehemalige Ministerpräsident noch einmal auf diesem Posten landet, sollte seine Koalition gewählt werden, was trotz aller Skandale und Probleme auch nicht ausgeschlossen ist. Falls überhaupt eine Koalition zustande kommt, denn im Moment – auch so kurz vor der Wahl - ist noch alles offen.
Ich könnte jetzt auch noch versuchen, die einzelnen Parteien und Kandidaten vorzustellen, manche Namen hört man vielleicht auch im Ausland, wie Pierluigi Bersani, der für Partito Comunista Italiano (kommunistische Partei Italiens) antritt, Antonio Ingroia (lista Rivoluzione civile – Liste ziviler Revolution) oder Beppe Grillo, ein Komiker, der durch die Gründung des MoVimento 5 Stelle (Bewegung 5 Sterne) und seine anti-politische Einstellung für große Aufregung gesorgt hat. Leider würde das vermutlich nicht mehr Klarheit schaffen, denn genau das ist es, was diese Wahl so schwierig macht: Nicht nur, dass es dem italienischen Volk an Werten fehlt, denen sie sich überwiegend anschließen können, ein großes Problem ist das Chaos, das jedem begegnet, der sich zu informieren versucht. Manche probieren es deshalb nicht mehr.
Besonders auch die Jugendlichen, die zum ersten Mal wählen gehen können, stehen vor der Qual der Wahl. Auf MTV werden sie regelmäßig mit einer eigens dafür initiierten Kampagne zur Wahl aufgerufen, nach dem Motto: „Wenn du dich nicht um die Politik kümmerst, kümmert sich die Politik nicht um dich!“ (weitere Informationen unter: iovoto.mtv.it), ein Jugendzentrum in meiner Stadt hat beispielsweise einen Abend zu den Wahlen veranstaltet. Sie interessieren sich für Politik insofern, dass sie sehen, was falsch läuft in Italien und dass sie etwas verändern möchten. Nur wie, wenn alle Informationsversuche, ihnen doch nicht sagen, wer eine Wendung bringen wird? Kann es denn dazu kommen, wenn die Politiker weitgehend dieselben bleiben, nur unter Umständen in anderen Positionen?
Das Fazit, ganz Italien interessiere sich nicht wirklich für Politik oder sei nur unzufrieden, scheint mir daher falsch. Ich habe viel mehr den Eindruck, dass es vor lauter Politik nicht weiß, wo ihm der Kopf steht – denn trotz der unzähligen Möglichkeiten fehlt es an „echten“ Alternativen. Bleibt abzuwarten, für wen sich die Menschen dann letztendlich entscheiden. Klar ist, dass die Auswirkungen dieser Wahl sich nicht nur auf Italien beschränken werden…
Detaillierte Informationen zu den einzelnen Bündnissen hat z.B. die Konrad-Adenauer-Stiftung: http://www.kas.de/italien/de/publications/33475/
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