In was für einem Land leben wir eigentlich? Ein Brief
Das katholische Online-Portal kreuz.net verfasst in ungeheurem Maße Hetzartikel gegen Homosexuelle, in denen diese auf menschenverachtende Weise mit einem Vokabular bedacht werden, das sich zuletzt zur NS-Zeit in deutschen Tageszeitungen gefunden hat. Kritische Kommentare werden von den Betreiber_innen der Seite konsequent gelöscht, diese hingegen ist allen Internetnutzer:innen frei zugänglich.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich wende mich heute an Sie in tiefer Betroffenheit. Ich glaubte, in einem Land zu leben, in dem jeder Mensch eine Chance erhält, ein freies, glückliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass dabei ein Unterschied herrscht zwischen den Geschlechtern, der Herkunft, der finanziellen Situation und eben auch der sexuellen Orientierung, habe ich dabei nie verleugnet. Doch wann immer ich einen amerikanischen Politiker bei öffentlichen Auftritten von der “Heilung” Homosexueller und der Gefahren, die von jenen “Abnormalen” ausgehen sprechen hörte, fühlte ich mich dankbar, in einem Land zu leben, in dem dies niemals passieren könnte, ohne drastische Konsequenzen nach sich zu ziehen. Trotz der Tatsache, dass gleichgeschlechtliche Paare bei der Eheschließung diskriminiert werden und Homosexuelle kein Blut spenden dürfen, bin ich immer von einer allgemein gültigen Toleranz ausgegangen.
Bis heute. Deutsche Medien berichteten allerorts vom plötzlichen Tode Dirk Bachs, zahllose Nachrufe gedachten seiner Karriere als Komödiant. Eine Plattform betrachtete Bachs Tod jedoch von einer ganz anderen Seite.
Das katholische Portal “kreuz.net” schrieb in einem Bericht mit dem Titel “Jetzt brennt er in der ewigen Homo-Hölle” vom 2. Oktober 2012 unter anderem Folgendes: “Bach war ein homosexueller Sittenverderber. Es ist davon auszugehen, daß seine Unzucht ihn so früh ins Grab brachte.”
Leser_innen werden in einer Rubrik rechts auf der Seite auf weitere “Artikel” zu ähnlichen Themen verwiesen. Die Verantwortlichen der Seite beschreiben hier unter anderem die (hier positiv bewertete) Gesetzeslage Malaysias, nach der “homosexuelle Handlungen” mit Auspeitschen und langjährigen Gefängnisstrafen geahndet werden. Zudem besitze Malaysia ein Programm, das bereits im Kindesalter Homosexualität austreibe.
Überraschend eigentlich, dass eine katholische Webseite ein Land wie Malaysia zu “gesunden Gesellschaften” zählt, wo sich doch die Regierung nach wie vor weigert, Israel als Staat anzuerkennen und den Namen Abrahams als Schimpfwort verwendet. Auf der anderen Seite kann man wohl von Schlimmerem ausgehen als von Doppelmoral auf einem Portal, welches “Medieninhalte” mit Titeln wie “Die Homo-SS im Anmarsch” und “Seuchen-Homos” betitelt und die Gesamtheit aller Homosexuellen als Drogensüchtige und Missbrauchstäter bezeichnet (eine kleine Bemerkung am Rande – alle Artikel scheinen sich ausschließlich gehen männliche Homosexuelle zu richten, dies scheint mehr im Sinne der Propaganda zu funktionieren).
Ich möchte gar nicht weiter die Verschriftlichungen auf dieser Seite debattieren, da es sich bei diesen Inhalten Zweifelsohne um gefährliche Hetze handelt, die schon mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes unvereinbar ist. Mehr noch als das erinnern die Parolen erschreckend an NS-Propaganda, die Homosexualität unter anderem als “grundsätzlich heilbares Übel” bezeichnete. Schwule und Lesben wurde nicht nur in Konzentrationslager verbannt, sie wurden dort zudem noch einer gesonderten grausamen “Behandlung” unterzogen.
Würde eine solche Internetseite aber gegen Juden anstatt gegen Homosexuelle in Deutschland ins Netz gestellt, würde sie (vollkommen zu Recht!) binnen Kurzem verboten. Mir ist nun unbegreiflich, wie ich mit einem einzigen Klick auf eine Reihe von menschenverachtenden Schriftstücken zugreifen kann, die gegen alles Sprechen, wofür unser Land steht. Wie jede_r Erdenbürger_in mit Zugang zum Internet auf eine solche Seite zugreifen kann.
Wer nur einen Blick auf die Seite wirft, kann feststellen, dass es sich hier nicht um Äußerungen im Sinne der Meinungsfreiheit handelt. Vielmehr finden sich eine Vielzahl gefährlicher Lügen und Hetzparolen gegen Homosexuelle. Auf religiöser Ebene wird argumentiert, Gott hasse alle “Homo-Gestörten” (ein Begriff, der wiederholt benutzt wird, synonym zu “Perverse”, “Sittenverderber” oder im allgemeinen Sprachgebrauch abseits dieser Webseite “Homosexuelle”), zudem werden Statistiken gefälscht oder falsch ausgelegt, nach denen Homosexuelle auf Grund ihrer “Krankheit” eine geringere Lebenserwartung haben.
Diese Seite richtet sich an Anhänger des christlichen Glaubens und fordert sie unumwunden dazu auf, Homosexuelle zu verabscheuen und gleichgeschlechtliche Sexualität und Partnerschaft als sittenwidrig zu verdammen.
Ich frage Sie, und ich bin wirklich neugierig: Ist so etwas tatsächlich legal? Schließlich ist die Seite weiterhin online und aktiv, somit kann sie ja eigentlich nicht gesetzeswidrig sein. Also meine zweite Frage: Warum? Wie kann das sein, im Land von „Einigkeit und Recht und Freiheit“, in einem Land, in dessen Grundgesetz sich im zweiten Artikel folgender Paragraph findet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“?
Da es sich bei diesem Sittengesetz nicht um ein Buch handelt, in dem diese Regeln festgehalten wurden, stellt sich die Frage, ob hierin die Rechtfertigung liegt – wenn die katholische Kirche Homosexualität als illegitim ansieht, dürfen ihre Anhänger auch solche Parolen verbreiten, da das Recht auf religiöse Freiheit höher wiegt als das auf individuelle Unversehrtheit in jeglicher Form (selbst angenommen, solche und ähnliche Reden würde Gewalt gegen Homosexuelle NICHT anregen)?
Ich frage Sie. Ich weiß keine Antwort. Ich bin entsetzt und beschämt.
Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort. Es ist mir zugegebenermaßen schwer gefallen, in diesem Schreiben sachlich zu bleiben. Um meine haltlose Entrüstung gegen solche Schriften jedoch nicht ganz unter Paragraphen verschwinden zu lassen, beende ich mein Schreiben mit einem Zitat vom Twitter-Account eines Fans des US-amerikanischen Schauspielers Morgan Freeman (in deutscher Übersetzung):
„Ich hasse das Wort 'Homophobie'. Es ist keine Phobie. Du hast keine Angst. Du bist ein Arschloch!“
Hochachtungsvoll,
Frauke Seebass
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