Im Ausnahmezustand: Frankreichs Kampf gegen den Terror
In Deutschland herrscht gerade eine aufgeheizte Diskussion über eine Gesetzesreform in Bayern: Um potentielle Terroristen aufzuhalten, sollen nun Gesetze des Personen- und Datenschutzes gelockert werden um Verdächtige besser zu überwachen und notfalls auch in Untersuchungshaft zu nehmen. All dies geschieht im Namen der Sicherheit und zum Schutz, aber auf Kosten der Freiheitsrechte.
Was bei uns in Deutschland noch Gegenstand großer Diskussionen ist und breiten Protest erfährt, ist in Frankreich längst zum Alltag geworden. Nach unzähligen Tragödien mit vermuteten islamistischen Hintergrund, so beispielsweise die Angriffe auf Charlie Hebdo oder die Attentate in Paris und Nizza, wurde 2016 der Ausnahmezustand in Frankreich ausgerufen und bis Ende 2017 sechsmal verlängert. Was zunächst relativ harmlos klingt und zum vermeidlichen Schutz der Bürger dienen soll, hat allerdings dramatische Auswirkungen:
Der Ausnahmezustand ist ein Instrument der Politik, um im Falle der Gefährdung des Staates oder der Bürger gewisse Gesetze außer Kraft zu setzten und damit Stabilität wiederherzustellen. So werden Freiheitsrechte beschnitten um Sicherheit zu gewährleisten - Ein Trugschluss? Denn was genau bedeutet der Ausnahmezustand für einen Staat und seiner Gesellschaft?
Konkret bedeutet das, dass der französische Innenmister und die Polizei eigenständig Webseiten sperren können, sie können Vereine auflösen oder Demonstrationen verbieten, im Extremfall auch Hausarreste für Individuen verhängen oder auch nächtliche Hausdurchsuchungen durchführen - Und das alles ohne richterlichen Beschluss, also nur nach Ermessen der Ermittler. In Zahlen drückt sich die Situation wie folgt aus: Allein in den ersten sechs Monaten nach der Verhängung des Ausnahmezustands wurden 3.549 Hausdurchsuchungen getätigt, woraus 592 Anklagen folgten, allerdings kam es nur in 10% der Fällen letztlich zu Haftstrafen. Zu wenig? Das kritisieren Bürgerrechtler*innen oder auch Organisationen wie Amnesty International: Diese berichten von demütigen bis gewaltsamen Praxen der Polizei, auffällig ist auch, dass gerade Menschen mit Migrationshintergrund und Muslime generell verdächtigt und schärfer überwacht werden. Das legt auch eine Studie der Pariser Universität SciencesPo nah: Diese belegt, dass über die Hälfte der französischen Sicherheits- und Streitkräfte dem rechtspopulistischen Front National zugeneigt sind. Das könnte darauf hinweisen, dass gewisse rassistische und islamfeindlich Muster die Arbeit der Polizei und des Militärs durchziehen.
Die Regierungen (nicht nur in Frankreich, beispielsweise auch in der Türkei, wo gerade erst der Ausnahmezustand verlängert wurde) rechtfertigen all diese Eingriffe in Bürgerrechte, in die persönlichen Freiheiten und die politischen Rechte mit dem Schutz vor Terror. Tatsächlich konnten einige Attentate verhindert werden und potentielle Gefährder verhaftet, aber provoziert diese Praktik nicht auch Widerstand? Wer ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht stellt, stigmatisiert und marginalisiert Individuen und heizt auch die gesamtgesellschaftliche Debatte um Integration an.
Mittlerweile wurde der Ausnahmezustand in Frankreich aufgehoben, aber viele Notstandsbefugnisse sind durch eine neue Gesetzgebung 2016 in das allgemeine Recht Frankreichs integriert worden. Darin liegt tatsächlich ebenfalls eine Gefahr des Ausnahmezustands: Diese präventive Politik wird in den Alltag integriert, Einschränkungen normalisiert und wenig öffentlich darüber diskutiert. Gerade mit einem Blick auf die Geschichte sollten wir unsere erkämpften Rechte als demokratische Bürger nicht so leicht aufgeben und sollten jeden Einschnitt diskutieren, auch wenn er zum Schutz und zur Sicherheit dient.